## Title: “Handbuch beim Studium der Harmonie” von Heinrich Christoph Koch (Teil 2/2) ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031017 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Handbuch beym Studium der Harmonie, von Heinrich Christoph Koch &c. (Beschluß der in No. 66 abgebrochenen Recension.)Daß die Regel trüglich sey, läßt sich leicht durch Beyspiele zeigen, man darf nur, ohne irgend die Tonart A moll zu verlassen, A mit 4 6 im Basse anschlagen, und die Melodie aufwärts etwa von d'' bis a'' führen, so werden die Stufen f'' und g'', und folglich grade das Umgekehrte der Regel nothwendig, nach welcher die Tonleiter aufsteigend fis und gis seyn soll. Ebenso wird, sobald der Dominantenaccord der Tonart, E dur mit der Septime, im Basse liegt, eine von a'' nach e'' abwärts gehende Melodie gis'' und fis'' ergreifen müssen, also grade wieder das Umgekehrte der gemeinüblichen Regel. Daß diese also nichts taugt, ist augenscheinlich. Sollte es denn nicht consequenter seyn, so wie man die harte Tonleiter aus den einzelnen Tönen, welche die drey Hauptaccorde der Tonart bilden, construirt hat, ebenso die weiche zu construiren? Jene ist nichts anders, als die einzelnen Töne, aus welchen die drey Hauptaccorde der harten Tonart bestehen, in eine Reihe gestellt; stelle man dann ebenso auch die Elemente der drey Hauptaccorde der weichen Tonart in eine Reihe, die Töne, woraus die drey Accorde A moll, D moll und E dur bestehen (denn groß ist ja doch immer die Terz des Dominantenaccords), und man erhält eine Tonleiter, welche freylich von der bisher in den Lehrbüchern angegebenen abweicht, nämlich: a, h, c, d, e, f, gis, a, welche aber dafür nicht den Mangel wie jene hat, daß die drey wesentlichsten Accorde der Tonart nicht ausgeübt werden können, ohne etwas an der angeblich natürlichen Tonleiter zu ändern. Der Grund, warum in A moll dennoch öfters fis statt f, und g statt gis vorkommt, ließe sich dann gar wohl aus der Lehre von durchgehenden Noten entwickeln, in welcher allein wohl der zureichende Grund liegt, aus dem Gesetze, daß eine durchgehende Note von der folgenden nur höchstens eine große Tonstufe entfernt seyn soll, weshalb denn, je nachdem f oder gis der eben zum Grunde liegenden Harmonie näher ist, das gis in g, oder das f in fis verwandelt wird, um die Nebennote der wesentlichern bis auf eine große Stufe näher zu bringen. Diese flüchtige Andeutung einer Idee, welche Rec. ehestens an einem andern Orte näher ausführen wird, soll und kann übrigens ihrer Natur nach nichts weniger seyn, als ein Tadel gegen das Kochische Werk, welches vielmehr die bis jetzt allgemein recipirte Lehrart mit aller der Klarheit und Consequenz ausführt, deren sie ihrer Natur nach fähig ist. Den Tonleitern folgt die Lehre von den Intervallen, und diesen endlich die Accordenlehre. Sehr faßlich und consequent lehrt der Verf. erst die consonirenden, dann die dissonirenden Accorde, erst in ihrer Urgestalt kennen, dann in ihren Umstaltungen durch Verdoppelung, Auslassung und Verwechslung; von diesem allen weiß Rec. im ganzen nur Gutes zu sagen, und nur wenige Bemerkungen mögen hier einzeln stehn. Bey Gelegenheit der Auslassung der Terz hätte Rec. gewünscht, die Bemerkung zu finden, daß die Terz des Dreyklanges auf der Dominante weit eher ausgelassen werden kann, als die des tonischen Accordes, bey welchem sie eigentlich nur zugleich mit der Quinte fehlen darf, so daß c 0 wohl, schwerlich aber c 5 ohne 3 erlaubt ist. Bey der Lehre von den Verwechselungen der Accorde muß Rec. warnen, sich nicht durch den Ausdruck Grundton irre machen zu lassen, welchen der Verf. jedem Baßtone, auch der verwechselten Accorde beylegt. (§. 55. 57). Weniger Anlaß zu Mißverstand gäbe es, wenn man hier dem unzweydeutigen Ausdrucke Baßton treu bliebe, da so viele Tonlehrer den Ausdruck Grundton zu etwas ganz andern aufsparen. Auch ist es so ziemlich allgemein hergebracht, den Ausdruck Umkehrung nicht von Versetzungen des Baßtons einzelner Accorde, sondern nur von Umkehrung einer ganzen Stimme über oder unter die andre zu gebrauchen; um die ohnehin schon so schwankende musikalische Terminologie möglichst zu fixiren, hätte Rec. gewünscht, daß auch Hr. K. nicht von Umkehrungen, sondern von Verwechselungen der Accorde gesprochen, und den Ausdruck Umkehrung dem doppelten Contrapuncte aufgespart hätte. Die Lehre von den dissonirenden Accorden stellt der Verf. vom sogenannten dissonirenden Dreyklange an, nach Marpurgs Grundzügen, bis zum Terzdecimenaccorde, mit alle der Ideenklarheit dar, welche nöthig ist, um eine so vereinzelte nnd complicirte Lehre leicht faßlich zu machen: um aber auch denen nützlich zu werden, welche nicht nach diesem, sondern nach dem einfachern Systeme der Aufhaltungen lernen, oder lehren wollen, fügt der Verf. als Anhang eine Tabelle bey, welche alle bisher nach dem Marpurgischen System abgehandelten Tonverbindungen, auch nach dem Systeme der Aufhaltungen erklärt, wodurch das Lehrbuch denn begreiflich an Gemeinnützigkeit außerordentlich gewinnt, indem es dadurch beyden Hauptparteyen beynahe gleich brauchbar wird. Als Anhang zur Accordenlehre wird die Lehre von der Bezifferung nach der herkömmlichen Methode beygebracht, und demnächst von der Grammatik des Satzes übergegangen zu dem, was der Verf. harmonischen Syntax nennt, nämlich zur Lehre von Verbindung der Accorde und zur Fortschreitung der sie constituirenden Intervalle, erst der Consonanzen, (Quinten- und Octavenverbot, sehr ausführlich S. 72-189), Folgen und Reihen der in der Tonleiter liegenden Dreyklänge in verschiedenen Lagen und Verwechselungen (S. 190–205), von der Quarte und derselben Fortschreitung vielleicht zuviel (da selbst der Gang 5 – 6 – 73 – 4 – 5Gals eine Freyheit des Satzes, oder doch etwas besonderes angeführt, und entschuldigt wird). Dann die Lehre von Fortschreitung der dissonirenden Intervalle. Diese letztere beginnt wie billig mit der Lehre von Vorbereitung und Auflösung. Vorbereiten nennt der Verf., und dieß freylich wieder im Einklange mit seinen Vorgängern: den Ton, der als Dissonanz erscheinen soll, unmittelbar vorher als Consonanz hören lassen (§. 141). Die Definition ist aber zu eng, wie gleich folgendes Beyspiel: 7 ⌒ 4 – 35 ⌒ 9 – 8G | C –beweist. Statt „als Consonanz“ hätte Rec. lieber gelesen: als ein Intervall, welches unvorbereitet eintreten darf, wohin denn manche Dissonanzen gehören, wie z. B. die Septime f zum g  des obigen Beyspiels, welches ganz fehlerley die dissonirende Quarte (Undecime) zum folgenden C accorde vorbereitet. Ebenfalls zu eng ist die gemeinübliche und vom Verf. ebenfalls beybehaltne Definition vom Auflößen, wornach diese Operation darauf beruht, „daß derjenige Ton, der als Dissonanz erschienen ist, im folgenden Accorde in eine Consonanz trete“ (§. 141). Auch hier zeigt das Beyspiel: 7 ⌒ 4 – 75 ⌒ 9 – 5G | C Fisdaß die dissonirende Quarte f  ganz fehlerfrey in das dissonirende e übergehen kann, weil diese Septime selbst frey anschlagen darf, und auch hier möchte statt „in eine Consonanz“ lieber zu setzen seyn: in ein Intervall, welches unvorbereitet eintreten kann. Rec. weiß es zwar wohl, daß Fälle der oben erwähnten Art als Ausnahmen von der Regel, als „Vorausnahme einer durchgehenden Note“ u. s. w. erklärt zu werden pflegen. Allein, warum sollte man denn nicht die Regel gleich so geben dürfen, daß die gebräuchlichsten Harmonieenfolgen sich nach und aus der Regel erklären lassen, nicht als Ausnahmen von ihr. Doch auch diese Bemerkungen können und sollen nicht als Tadel gegen das vorliegende Werk gelten, sondern nur als Vorschläge und Wünsche zu größerer Vereinfachung des Lehrsystems. In §. 144 findet sich ein Satz, dessen zureichenden Grund Rec. durchaus nicht einzusehen, noch demselben beyzupflichten vermag. Die Vorbereitung einer Dissonanz, heißt es dort, kann mittelst aller consonirenden Intervalle, die Quarte ausgenommen, geschehen; man vergleiche folgende gewiß tadellose Sätze: 6 – 5 – 5 6 – 5 – 54 ⌒ 4 – 3 4 ⌒ 4 – 3G | G – C | C –Ahnliche Beyspiele führt der Verf. selbst in der Anmerkung zu diesem Paragraphen an, und erklärt sie sehr kunstreich als Ausnahmen von der Regel; allein Rec. scheint es, als würden mit der unnöthigen Regel auch die unnöthigen Ausnahmen füglich hinwegfallen. Sehr wahr hingegen berichtigt der Verf. (S. 239) die ebenfalls bis jetzt gemeinübliche Regel: daß die übermäßigen Intervalle aufwärts aufgelöst werden, und erinnert, daß ja z. B. bey der übermäßigen Quarte f h nicht der obere Terminus dissonire, sondern der untere, folglich nur von Auflösung dieses f die Rede seyn könne, welches sich aber nicht aufwärts, sondern (am natürlichsten wenigstens) abwärts auflöse. Dergleichen Ausmerzen altherkömmlicher, aber unrichtiger Grundsätze macht dem klaren Sinne des Verf. Ehre. Ebenso freut es Rec., zu sehen, daß er die Behauptung wagt, der eigentliche verminderte Dreyklang komme doch nur auf der zweyten Stufe der weichen Tonleiter vor, und die auf andern Stufen vorkommenden dem verminderten Dreyklange ähnlichen Tonverbindungen seyen eigentlich nicht wahre verminderte Dreyklänge, sondern nur erste Verwechselungen des Dominantenaccordes mit ausgelassenem Grundton. Freylich eine Behauptung, über welche mancher ältere Tonlehrer einen Stein auf den Verf. werfen wird, mit welcher aber Rec. gern einverstanden ist. Den Schluß dessen, was der Verf. musikalische Rhetorik nennt, macht die Lehre von den Nebennoten und Durchgängen, Anticipation und Retardition. Ungern vermißt Rec. hier bey der Lehre von Durchgängen die Erklärung der Sätze: e f d e c d hc h a g u. s. w.welche gewissermaßen eine Ausnahme bilden von dem Gesetze, wornach der durchgehenden Note die folgende Note stufenweise angehängt seyn soll. Der Verf. geht nun von der Accordenlehre zu dem einfachen Contrapuncte selbst über, welcher Lehre er jedoch erst noch einige Vorkenntnisse von Tact, Modulation, Ruhepuncten (Periodenendungen, Absätzen u. dgl.) und sonstige Regeln und Maximen im Allgemeinen vorausschickt. Vorzüglich rühmenswerth ist die Klarheit, mit welcher der Abschnitt von Tact und Rhythmus abgehandelt ist. Hiernächst wird der Schüler endlich zu praktischen Uebungen im Contrapunctiren übergeführt. Der Verf. bleibt hier seiner frühern, in seiner Anleitung zur Composition angewendeten Methode treu, mit dem zweystimmigen Satze anzufangen, von da zum drey- und vierstimmigen überzugehen. Vieles ist schon gegen diese Methode eingewendet worden, und viele, ja die meisten Tonlehrer befolgen den grade entgegengesetzten Weg, beginnen mit dem vierstimmigen Satze, und enden mit dem zweystimmigen. Jene Methode soll Haydn befolgt haben, Vogler hingegen meint, man solle erst Most keltern, ehe man Weingeist abdestillirt. Anerkannt ist es, daß der zweystimmige Satz seine eignen Schwierigkeiten hat, wäre es auch nur, weil darin kein Accord vorkommt, in welchem nicht wenigstens Ein oder zwey Intervalle ausgelassen werden müssen, und es also eine eigne Schwierigkeit ist, die Stimmen so zu führen, daß sie immer auf diejenigen Intervalle gelangen, welche nicht ausgelassen werden dürfen; dann, daß der zweystimmige Satz in gar vielen Fällen die Grundharmonie zweifelhaft läßt, wie nur z. B. in dem Satze: c cC Awo dem zweyten Accorde sowohl der Dreyklang F als a zum Grunde liegen kann. Von der andern Seite aber ist auch nicht zu leugnen, daß der Anfänger, welcher gleich über vier Stimmen auf einmal disponiren soll, dadurch in ein gewisses Embarras versetzt, und nicht wissen wird, wo hinaus mit alle den Reichthümern; des häufigern Anlasses zu fehlerhaften Verdoppelungen und verbotenen Fortschreitungen nicht zu gedenken. Vielleicht wäre auch hier der Mittelweg golden. Drey Stimmen sind leichter zu übersehen, geben weniger Anlaß zu Verdoppelungen und unrichtigen Fortschreitungen, als viere, und bieten doch auch dem Tonsetzer mehr Mittel zu Vervollständigung der, der Harmonie wesentlichen Töne, als bloß zweye. Vielleicht läßt sich auch hierüber nicht grade im allgemeinen absprechen, beyde Methoden führen zum Ziele; und jedem Lehrer muß unbenommen seyn, diejenige zu wählen, welche ihm und seinen Schülern am meisten zusagt. Uebrigens geht der Verfasser bey diesen Uebungen überall mit äußerster Sorgfalt und Geduld, und, um dem Fassungsvermögen des Schülers ja nicht vorzuspringen, allmälig progressiv zu Werke: er läßt ihn einen Cantus firmus: I. im einfachen zweystimmigen, 1) gleichen Contrapuncte, A. mit einer Unterstimme begleiten, welche a) erst bloß aus den Grundtönen der drey wesentlichsten Accorde der Tonart (mit seltner Einschaltung des verminderten Dreyklangs auf dem Subsemitonium, eigentlich des 5 6 Accords) bestehen darf; dann b) werden auch Verwechselungen dieser Accorde, später erst c) die zufälligen Accorde der Tonart, noch später erst d) dissonirende Harmonieen, und ganz zuletzt e) auch zufällige Ausweichungen angebracht. B. Dann folgt die Begleitung des festen Gesanges im einfachen zweystimmigen gleichen Contrapuncte mit einer Oberstimme, und dann erst geht es 2) zum ungleichen einfachen zweystimmigen Contrapuncte, welche Uebung wieder in zwey den obigen A und B correspondirende Abtheilungen zerfällt, welches auch 3) beym vermischten Contrapuncte der Fall ist, welchem ebenfalls der Verf. erst die ganze Lehre vom einfachen zweystimmigen Contrapuncte bis er II. zum drey- und III. vierstimmigen Satze übergeht, welchen er mit ähnlicher Sorgfalt und Genauigkeit behandelt. Man sieht, wie vollständig und consequent das Schema ist, welches der Verf. hier befolgt. Er gibt dabey dem Schüler sorgfältig den Grund jeder gesetzten Note an, läßt ihn nirgends im Finstern tappen, und setzt ihn so in den Stand, in künftigen Fällen sich selbst zu rathen. Die große Vereinzelung lasse der Lehrling sich ja nicht verdrießen; hier führt der langsamste Gang am schnellsten zum Ziele, da im Gegentheile das zu schnelle Hinwegeilen über die ersten Uebungen unfehlbar eine Unbehülflichkeit im mechanischen Theile zurückläßt, welche in der Folge, wenn der Geist einmal die Fittige schwingen soll, sich ihm wie Erdklumpen an die Füße hängt. So weit hat der Verf. sich sein Ziel gesteckt, und folglich die Lehre vom doppelten Contrapuncte, von der Fuge, von Instrumentation und Instrumentaleffect ec. nicht mit in seinen Plan aufgenommen. Er hat aber das, was er zu geben sich vorsetzte, mit so vielem Glücke gethan, und so günstige Beweise seines Berufes zum Tonlehrer abgelegt, daß man wünschen muß, er möge die oben angedeuteten Fächer in einem Gegenstücke zu dem vorliegenden Werke bald ebenfalls abhandeln. Gottfried Weber.