## Title: “Handbuch beim Studium der Harmonie” von Heinrich Christoph Koch (Teil 1/2) ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030983 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Handbuch beym Studium der Harmonie von Heinrich Christoph Koch, Fürstl. Schwarzburg-Rudolst. Cammermusikus. Leipzig. 1811. Wenn irgend eine Kunst oder Wissenschaft eine Vervollkommnung der Lehrmethode bedarf, so ist es die Compositionslehre. Nirgends ist das Bestreben, dem Lehrbegierigen gründlich und systematisch geordnete, und mit Klarheit und Consequenz vorgetragne Lehrbücher in die Hand zu liefern, rühmlicher, und besser angewendet, als hier. Seit vielen Jahrzehenden drehen wir uns, getheilt in zwey Parteyen, um zwey Grundideen, in Marpurgs systematisirendem Kopfe, aus Kirnbergers klarem Anschauen, entsprungen, noch aber besitzen wir kein Lehrbuch, in welchem die eine oder andre jener beyden, an sich vortrefflichen, von ihren Urhebern nur sehr roh ausgeführten Grundideen genügend ausgebildet, mit der so nöthigen Klarheit und Consequenz dargelegt, und in wissenschaftlich geordneter, und dem Lehrling faßlicher Form vorgetragen wäre. Der Verf. des vorliegenden Werkes, welcher als musikalischer Schriftsteller, vorzüglich durch seine frühere Anleitung zur Composition, Leipzig 1787, schon Bedeutenheit erlangt hat, liefert hier eine Umarbeitung jenes frühern Werkes, worin er in der Verdeutlichung des Marpurgischen Systemes schon vieles geleistet hatte. Auch hier bleibt er diesem Systeme treu, wiewohl er sich bestrebt, auch denen, welche lieber nach dem Systeme der Aufhaltungen (dem Kirnbergerschen) lernen, oder lehren wollen, brauchbar zu seyn, und deshalb z. B. den Terzdecimenaccord zwar erst als eignen siebenstimmigen Grundstammaccord herleitet, dann aber auch zeigt, wie er nach Kirnbergers Grundidee auch als bloße Umstaltung eines einfachen Grundaccordes sich erklären lasse, zu welchem Zwecke denn eine eigne, nach dem System der Aufhaltungen eingerichtete Tabelle S. 143–157 bestimmt ist. Schon aus dem bis jetzt Gesagten erhellt, daß die Absicht des Verf. nicht dahin geht, ein neues System der Harmonie aufzustellen, sondern nur die schon bestehenden Grundsätze zu läutern, und zweckmäßig geordnet vorzutragen, und Rec. kann nicht anders, als ihm in voraus im Allgemeinen bezeugen, daß das vorliegende Werk im Ganzen diese Forderungen sehr gut erfüllt. Der Verf. bewährt klare Ansichten und eine glückliche Darstellungsgabe, er ist nicht überall technisch trocken, sondern flicht am schicklichen Orte ästhetische Ansichten und Winke ein (z. B. §. 3 u. 276, Anm.). Sein Styl ist rein, geringe Abweichungen abgerechnet (wie z. B. „die Intervallen“ statt Intervalle S. 16, 68 u. s. w., doch nicht überall, s. S. 239, – und den Pleonasm „hinreichend genug“ S. 99 u. 139.). Nach dieser Würdigung im Allgemeinen gehen wir zur speciellern Beschreibung des Buches über. Es zerfällt in zwey Hauptabtheilungen, die erste, die Grammatik des Satzes und den musikalischen Syntax, die zweyte den Contrapunct enthaltend; jene bestimmt, die Elemente, woraus Tonstücke gebildet werden können, aufzuzählen, diese aber, aus jenen Elementen ein Tonstück bilden zu lehren. Die erste Abtheilung handelt also von Tonverhältnissen, Tonarten, Ton, Tonleitern, Tonstufen, Accorden, Fortschreitung der Intervalle, und von außerwesentlichen Noten, durchgehenden und Wechselnoten. Sie beginnt mit Festsetzung der Begriffe von Tonverhältnissen, und der aus den letzten hervorgehenden Beziehungen. Ungern findet Rec. hier gleich Anfangs den Ton folgendermaßen definirt: „Alles, was unser Ohr empfindet, ist Wirkung eines von einem Körper erregten Luftstroms, welcher die Nerven des Gehörs trifft, und demselben die Art seiner Schwingungen mittheilt“, eine Phrase, welche von einem Witzlinge leicht gemißdeutet, und ins Komische gezogen werden könnte. Auch könnte der Ausdruck Luftstrom leicht zur unrichtigen Idee einer wirklichen locomotiven Strömung verleiten. An die Bestimmungen von Klang, hohem und tiefem Ton, schließt sich die sogenannte Schöpfung der Tonleiter durch die bekannte Theilung der Saite, und aus der natürlichen Scala der Blechinstrumente, Horn oder Trompete, die Darstellung der Intervalle in der Form von Zahlenverhältnissen, und überhaupt von der rationellen Musik soviel, als man auch sonst jedem Lehrbuche voranzuschicken pflegt. So wenig Rec. hieran etwas auszusetzen findet, so möchte er doch behaupten, es wäre überhaupt besser, aus einem Lehrbuche der Composition dergleichen Einschaltungen aus dem Gebiete der Akustik und rationellen Musik lieber ganz auszulassen. Die Lehre der Composition gleich mit Aufstellung der Resultate der rationellen Untersuchungen eröffnen, und auf diese Resultate als Axiome oder Postulate ein in sich selbst consequentes Lehrgebäude aufführen, ist genug gethan, genug um Componiren zu lehren, und nöthig ist es wohl nicht, dem Schüler, dessen Zweck es ist, dieses zu lernen, einige doch immer unvollständige Teinture beyzubringen von dem rationellen Theile der Tonkunst, welche für sich selbst ein eignes Fach ausmacht, und eignes Studium erfordert, welchem der Lehrbegierige sich einmal in der Folge eigens widmen mag, welches aber zum Componiren immer so entbehrlich ist, daß man wohl Mozart und Haydn werden kann, ohne irgend zu wissen, daß die Octave sich zum Grundtone verhalte wie 1 : 2, und die Quinte wie 2 : 3. Und wird überdieß der Lehrling, welcher hier vollständige mathematische Consequenz erwartet, nicht irre gemacht werden, wenn er sieht, daß die natürliche Tonleiter des Blechinstrumentes ihm in C dur den Ton b und nicht h darbietet? Wird es ihn nicht in Abgründe von Zweifeln versenken, wenn er mitten in der Progression 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, plötzlich nach 9 den den Sprung 9–10, 15–16, 8–15, 5–9 findet? (§. 18, S. 25.) Wenn er vollends nur die harte Tonleiter aus der Natur sich entwickeln sieht, indeß die weiche, nur durch willkührliche Versetzung und Umkehrung der Terzen gemacht wird (§. 21), und nirgends weder durch die Theilung der Saite hervortritt, noch auf dem Blechinstrumente anspricht? Wird er nicht versucht, die letztere, als weniger in der Natur gegründet zu betrachten, indeß doch bekanntlich die meisten Nationalgesänge roher Naturmenschen und Völker grade auf die weiche Tonart gegründet sind. Sollte es darum nicht zweckmäßiger seyn, ihm lieber alle diese Zweifel und Anstände zu ersparen, die Elemente als gegeben, als unbestrittenen Lehrsatz, vorauszusetzen, und daraus sodann die Lehre der Composition zu entwickeln? Nach den bisher erwähnten Prämissen werden die Begriffe von Tonarten und Tonleitern (Tonfamilien) aus den Elementen der drey Hauptaccorde der Tonart (Tonischen- Dominanten- und Unterdominantenaccordes) entwickelt. Als Hauptaccorde (Grundstammaccorde, §. 45) der Tonart A moll, nimmt der Verf. die Accorde: A moll, D moll und E moll an; den Ton gis also als bloß zufällig erhöht 1) bey Tonschlüssen, 2) Halbcadenzen oder Quintabsätzen, und 3) „wenn die melodische Tonfolge einer Stimme sich stufenweis aufwärts bis in die Octave des Grundtones fortbewegt, d. h. wenn die siebente Stufe in die Tonica steigt“, in welchem letzten Fall denn, um den übermäßigen Secundensprung zu vermeiden, auch das f in fis verwandelt wird, und die A moll Tonleiter folglich aufsteigend fis gis, absteigend aber g f hat, wodurch denn der gemeinübliche Satz begründet wird, die A moll Tonleiter habe aufsteigend fis gis, absteigend aber g f. Rec. gesteht gern, daß ihm dieser Satz nie hat einleuchten wollen, und daß auch Hrn. K. Darstellung ihn von dessen Richtigkeit nicht hat überzeugen können. Der Beschluß folgt.