Über die Sängerin Marianne Schönberger, Gastspiel in Weimar
Madame Schönberger in Weimar.
Auch uns ward das Vergnügen, Mad. Schönberger, geb. MarconiΔ, in drei Gastdarstellungen, als Murney, Joseph und Titus zu bewundern*. Ihr vorausgegangener Ruf, und die vielen, sich oft höchst seltsam widersprechenden UrtheileΔ über ihre Stimme und das dadurch neugeschaffene Rollenfach für ein weibliches Wesen, – spannte die Erwartungen desΔ Ref. auf dasΔ äußerste.
Er suchte sich sehr davor zu hüten, irgend eine vorgefaßte Meinung mit in das Schauspielhaus zu bringen. Er kam mit jener ruhigen Stimmung, die für jeden zu erwartenden Eindruck empfänglich, und allein fähig ist, besonnen darüber zu urtheilen. Die ersten Töne der Mad. Schönberger überraschen sehr, durch das Neue der Erscheinung;Δ aber in kurzem gewöhnt sich das Ohr daran, und man ist dann im Stande nicht nur dem schönen gefühlvollen Vortrage und Δ richtigen Spiele volle Gerechtigkeit wiederfahren‡ zu lassen, – nein, man wird gewiß auch von der mei|stens vortrefflichen Methode, der Biegsamkeit der Stimme, und den beinahe stets sehr Δ richtig vertheilten Verzierungen, zu lautem Beifall und Enthusiasmus hingerissen.
Wie man übrigensΔ nur je einen AugenblickΔ darüber zweifelhaft seyn konnte, ob Madame Schönberger eine Tenorstimme habe, – ist Referenten unbegreiflich*. Die Natur müßte in der Bildung der Stimmwerkzeuge, hier eine noch nie Statt gefundene Ausnahme gemacht haben. Mad. Schönberger besitzt eine der schönsten, vollsten, klingendsten Altstimmen. Der Mangel an bedeutenden, für einen solchen UmfangΔ geschriebenen Rollen, bestimmte Sie (nach Ihren eigenen bescheidenen Aeußerungen) zu Versuchen in Männer-Rollen – in höheren Tenorpartien. Der erfolgende BeifallΔ krönte Ihre Unternehmung, obwohl Niemand behaupten kann, daß Sie den eigentlichen Tenor ersetzen könneΔ. Wenn Sie auch dieselben Töne beherrscht, so beherrscht Sie sie doch in andern Verhältnissen. Es ist (akustisch zu sprechen)Δ wohl dieselbe Quantität im Tone, aber eine andere Qualität. Es ist dasselbe, als wenn z. B.Δ eine Melodie auf der Violine oder Bratsche (Alt) in dem UmfangeΔ der Octave vom tiefen g bis zumΔ eingestrichenen, vorgetragen wird; sie gewiß viel tiefer zu klingenΔ scheinen wird, als dieselbe Melodie, in denselben Tönen, auf dem Violoncell (Tenor) gespielt. Da, wo eine Männerstimme in Ihrer natürlichen Lage und Bequemlichkeit singt; wo sie noch mehrere Töne nach oben und unten bis zu ihrer Gränze hat, – ist schon die äußerste (tiefste)Δ Gränze der Altstimme. Δ Die stete Uebung der Mad. SchönbergerΔ, Ihre Stimme in der tiefsten Region derselben zu gebrauchen, gab Ihr Δ endlich auch eine für Altstimmen ungewöhnliche Kraft in der Tiefe. DochΔ in den höheren Regionen Δ, in den Tönen f, g, a etc. des Te|nors, entfaltet sich die Stimme der Madame Schönberger in Ihrer eigenen schönen Sphäre, und da diese Töne selten von Tenoristen, mit vollkommner Leichtigkeit, ohne die Hülfsmittel der Kopfstimme, desΔ Falsets etc., erreicht und beherrscht werden, so ist natürlich hier bei Mad. Schönb. ein großer Reiz und Zauber zu finden, und die Täuschung für den Zuhörer am größten. Δ
Eine weitläufigere Auseinandersetzung könnte Ref.Δ zu weit führen, und er muß jetzt schon befürchten, seine Leser zu sehr ins Abstracte geleitetΔ zu haben, wo ihn nur das Anziehende und Interessante des Gegenstandes, über dessen Verfolgung man sich leicht selbst verliert, – entschuldigen kann. Die Rolle des Murney gab Mad. Schönb[.] mit einer Vollendung im Gesang und Spiel, bei der fast nichts zu wünschen übrig bliebΔ; eben so gerechter Beifall wurde ihr in der Rolle des Joseph.Δ
Als Titus entfaltete die geschätzte Künstlerin, welche eben so ausgezeichnet als anspruchslos ist,Δ ihre ganze Kunstfertigkeit und entzückte allgemein; wozu ihr vortreffliches, gedachtes, würdevolles Spiel das SeinigeΔ beitrug. Δ
Im November 1812*.T. f. z. Z.*Editorial
Summary
über das Gastspiel der M. Schönberger in Weimar Ende Oktober 1812
General Remark
Zuschreibung: autographer Entwurf (s. Überlieferung); vgl. Bartlitz, S. 66; lt. TB, 16. November 1812 an Bertuch geschickt; vgl. auch TB Übersicht November 1812
Creation
15. November 1812 (laut A); am 16. November 1812 (Versand laut TB)
Tradition in 2 Text Sources
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1. Text Source: Journal des Luxus und der Moden, vol. 27, issue 12 (Dezember 1812), pp. 799–801
Corresponding sources
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MMW III, S. 77–78
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Kaiser (Schriften), S. 327–329 (Nr. 54)
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2. Text Source: Draft: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (V), Bl. 36b/v (ab Mitte) und Bl. 39a/rPhysical Description
- über dem Manuskript: “Mad: Schönberger in Weimar”; Incipit: “Auch uns ward das Vergnügen Mad: Sch: in 3 Gastdarstellungen”; datiert: “Gotha d: 15t 9ber 1812.”
- Beginn auf B. 2V eines DBl., (Format ca. 35,6x21,1 cm, Ränder ausgefranzt, Papier stark vergilbt; WZ: Adler mit gespreizten Flügeln und Orden(?) darunter MATSCHDORF (?), Gegenmarke: CFS, Kettlinien 2,4–2,6 cm); Forts. auf Bl. 1r von anderem DBl. (Format 33,7x20,4 cm, WZ: bekröntes Ornament mit Horn, Gegenmarke: IGB, Kettlinien 2,5–2,7 cm, Ränder ausgefranzt); Manuskriptseiten sind in der Jähns-Mappe nicht zusammenhängend einsortiert, sondern liegen getrennt; mit Webers Pag. versehen S. 70/71, links neben dem ersten Textabschnitt Vermerk Webers über ED
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“wiederfahren”sic!
Commentary
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“… Joseph und Titus zu bewundern”M. Schönberger trat in Weimar am 24. Oktober als Murney im unterbrochenen Opferfest von P. Winter, am 28. Oktober als Joseph in der gleichnamigen Oper von Méhul und am 31. Oktober als Titus in Mozarts La clemenza di Tito auf; vgl. Eduard von Bamberg, Drei Schauspieler der Goethezeit : Karl Friedrich Leo, Karl Wolfgang Unzelmann, Marianne Schönberger-Marconi, Leipzig 1927, S. 48–53 und die von Weber besuchten Vorstellungen im TB (Joseph am 28. Oktober und Titus am 31. Oktober). Zur Vorstellung des unterbrochenen Opferfestes am 24. Oktober war Weber noch nicht in Weimar eingetroffen, vgl. auch 1812-V-56.
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“… habe, – ist Referenten unbegreiflich”Zum Disput um Marianne Schönbergers Stimme vgl. Webers früheren Bericht über das Gastspiel der Sängerin in Darmstadt (1810-V-09) sowie den Generalvermerk in 1811-V-76.
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“… Im November 1812”Der Entwurf ist mit 15. November datiert, s. Quellenbeschreibung.
Readings
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Text Source 1: “Mad. Schönberger, geb. Marconi”Text Source 2: “M: Sch:”
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Text Source 1: “Urtheile”Text Source 2: “Meynungen und Urtheile”
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Text Source 1: “des”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “auf das”Text Source 2: “aufs”
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Text Source 1: “durch das Neue der Erscheinung;”Text Source 2: “und zwar nicht ganz angenehm.”
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “anständigen”
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “schönen und”
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Text Source 1: “übrigens”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “einen Augenblick”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “Umfang”Text Source 2: “Umfange”
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Text Source 1: “. Der erfolgende Beifall”Text Source 2: “und der Erfolg”
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Text Source 1: “könne”Text Source 2: “könnte”
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Text Source 1: “(akustisch zu sprechen)”Text Source 2: “nach akustischen Grundsäzzen”
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Text Source 1: “Es ist dasselbe, als wenn z. B.”Text Source 2: “Ja daßelbe ist es, wenn”
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Text Source 1: “dem Umfange”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “bis zum”Text Source 2: “zu dem”
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Text Source 1: “zu klingen”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “(tiefste)”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “und eben so umgekehrt.”
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Text Source 1: “der Mad. Schönberger”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “natürlich”
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Text Source 1: “Tiefe. Doch”Text Source 2: “Tiefe; aber ewig wird man doch da das Mettall vermißen was nur einer Männerstimme in jener Lage eigen ist. Auch ist M. Sch. durch die bey diesen tiefen Tönen nothwendige, etwas unnatürliche Oeffnung der Luftröhre genöthigt, sehr oft Athem zu holen, um die erforderliche Kraft jedem Tone geben zu können. Ref. kann nicht beßer es bezeichnen als mit einem Vergleich aus dem Orgelbau, die Lufterzeuger /: Blasebälge, Lungen :/ sind nicht ursprünglich auf diesen großen Luftstrom berechnet der bey der Erzeugung der tiefen Töne, nach akustischen Grundsäzzen nothwendig ist.”
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “hingegen”
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Text Source 1: “des”Text Source 2: “,”
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “Schnell verwischt ist aber der gute Eindruk von M: Sch: wie sie ein paarmal in Fermaten, Verzierungen that über die möglichen Gränzen der Männerstimme hinaus ins Reich des Diskantes geräth. Freylich ist es eine große Versuchung, einen großen Umfang zeigen und dadurch überraschen zu können, aber von einer so einsichtvollen Künstlerin läßt sich das Vermeiden dieses Mißstandes doch künftig erwarten.”
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Text Source 1: “Eine weitläufigere Auseinandersetzung könnte Ref.”Text Source 2: “Ref: könnte eine weitläufigere Auseinandersezzung”
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Text Source 1: “geleitet”Text Source 2: “geführt”
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Text Source 1: “blieb”Text Source 2: “bleibt”
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Text Source 1: “eben so gerechter Beifall wurde ihr in der Rolle des Joseph.”Text Source 2: “im Joseph mußte Ref: die sonderbare mit d. Sache in scheinbarem Widerspruch stehende Bemerkung häufig hören, daß die Sch: beynah zu männlich in dieser Rolle sey. es läßt sich hierüber nichts sagen, aber etwas wahres liegt darin.”
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Text Source 1: “, welche eben so ausgezeichnet als anspruchslos ist,”Text Source 2: No text present.
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Text Source 1: “das Seinige”Text Source 2: “viel”
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Text Source 1: No text present.Text Source 2: “Auch wurde Sie durch ihre Umgebungen würdig unterstüzzt besonders von der Künstlerin die den Sextus mit gewohnter Vollendung gab.”