## Title: Dramatisch-musikalische Notizen (Dresden): “Das Waisenhaus” von Weigl ## Author: Weber, Carl Maria von ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030129 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Dramatisch-musikalische Notizen.Als Versuche, durch Kunst-Geschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurtheilung, neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern.#lb# Von Carl Maria von WeberMittwoch, den 4. JuniDonnerstag d: 5t Juny 1817 wird zum erstenmale auf unserer Bühne gegeben: Das Waisenhaus, Oper in 2 Akten von Treitschke, Musik von Joseph Weigl. Ein deutsches Original-Werk 1808 für und in Wien geschrieben. Das Glück, das diese Oper und ihre nächste Schwester, die Schweizer-Familie, in Wien und dem größten Theile Deutschlands machte, brachte für kurze Zeit eine Anzahl Rührungs-, Leidens- und Schmerzens-Opern in Schwung, deren Sentimentalitäts-Leben aber außer jenen beiden genannten dem baldigen Tode nahte, und mit dem Bergsturze (Oper in 2 Akt. von Weigl 1812) diese Epoche beschloß. Es ist immer anziehend, zu sehen, wie Künstler und Publikum sich gegenseitig bestimmen, bilden und leiten. Wie ein gelungenes Werk, das die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog, nicht nur Nachahmer und Nachäffer von allen Seiten entstehen macht, sondern wie es auch den Schöpfer desselben bestimmt, auf dem einmal mit Erfolg betretenen Wege fortzuwandeln, und sich lieber denen sicher den Effect bewirkenden Mitteln zu vertrauen, und sie beizubehalten, als durch neue Versuche, den schön lockenden Beifall des Augenblicks und der Zeitgenossen aufs Spiel zu setzen. Daher kommt es wohl, daß selbst bei bedeutenden Meistern, z. B. Winter etc. immer nur eines ihrer Werke den Culminationspunkt macht. Obwohl von jeher Joseph Weigl eine ungemeine Fülle weicher, schmeichelnd eindringender Ideen zu Gebote standen, und alle seine Arbeiten belebten (tadellose Correktheit versteht sich von selbst), so scheinen doch auch die obengenannten Opern eine eigene Kunst-Periode seiner CompositionenArbeiten zu bezeichnen. Merklich unterscheiden sie sich in Stil und Haltung von denen früher seinen Ruf begründenden WerkenCompositionen, von welchen ich nur, La Principessa d'Amalfi, und hauptsächlich – neben einer Anzahl der Melodiereichsten und üppigreizendenüppig reizendsten Balletmusiken – L'amor marinaro (Der Korsar aus Liebe) nenne. Dieser Gattung schließt sich noch seine Uniform an, doch schon weniger; und nur das Waisenhaus und die Schweizerfamilie haben ganz diese weichliche, fleißige und kenntnißreiche Sammtmalerei, die seine Arbeiten zu den Lieblingen des Publikums erhobgemacht haben. Seine Art und Weise zu schreiben, gehört recht eigentlich der Wiener Musikschule an, – durch die Gediegenheit und in allen Theilen sorgfältige Feile der Werke Mozart's und Haydn's begründet. Hervorstechend ist bei Weigl die Neigung zu ungeraden Takt-Arten, die Stimmführung der Violine in den höhern Lagen, und das Streben jedes Musikstück möglichst melodisch abgerundet zu geben, und mehr dadurch, als durch die höchste Richtigkeit und Wahrheit des Declamatorischen, die scenische Foderung zu erfüllen. Vielleicht entwickelte sich dieß aus den vielen Ballet-Musiken, die er schrieb. Dem Geist der ernstenernstern dramatischen Gattung scheint sich sein Talent nicht gerne zu schmiegen, und sein, Hadrian, trägt keinesweges den Stempel der Größe, die dieser Stoff zu verlangen berechtigt ist, weßhalb er auch keine sehr beachtete Aufnahme in der Musikwelt fand. Dagegen hat man Oratorien von ihm, die würdevoll und meisterhaft geschrieben sind. Joseph Weigl, 1765 zu Wien geboren, machte seine ersten Studien nach Albrechtsberger und unter Salieri's Leitung, besuchte auch Italien und schrieb daselbst mit Glück. Doch brachte er den größeren Theil seines Lebens in Wien zu, wo er als K. K. Kapellmeister und Operndirector angestellt ist. Für die Kammer hat er sehr wenig geschrieben. Aber noch verdient Erwähnung, daß er sich bei dendenen Opern, die seine Theilnahme zu erregen wissen und deren Leitung er übernimmt, als ein trefflich Dirigirender auszeichnet.