Carl Maria von Weber an Friedrich Kind in Dresden
Oldenburg, Freitag, 25. August 1820
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Mein herzlieber Freund!
Man mag immerhin den festen Willen haben recht oft an seine Lieben zu schreiben, es geht nun einmal auf der Reise nicht. das Kommen und Gehen, Aus und Einpakken, Besuche geben und nehmen, drängt sich so dicht an einander, daß man kaum Zeit behält das Ausgabebüchlein in Ordnung zu halten. Zu Erzählen werde ich vielerley haben. Zu Schreiben wohl weniger. Es ist mir bisher sehr gut gegangen, mitunter wohl über Gebühr, denn wenn mir dann die Menschen überall so sehr entgegen kamen, mich so hoch erheben wollten, da fiel es mir immer gar schwer aufs Herz, wie wenig ich dieß noch eigentlich verdient haben könnte, indem ich ja fast noch gar nichts so recht Bedeutendes in der Welt geleistet habe. Nun übermüthig werde ich nicht werden, dafür wird es in Dresden manches Abkühlungsmittelchen geben. Schönes Wetter und Gesundheit hatten wir noch bis Hanover, wo mit einemmale Regen, Uebelsein, und endlich gar auf dem Wege nach Bremen ein Umsturz des Wagens die Unbehaglichkeit voll machte. Der Schrekken war bei lezterem besonders für meine arme Lina das ärgste, denn ohne Schaden lief es Gottlob ab. Sehr traurig macht uns aber beide der Gedanke, daß ich wohl meine Frau werde in Hamburg zurüklaßen, und allein die Reise nach Koppenhagen werde machen müßen. wir wollen uns nichts vorzuwerfen haben, und beßer ist beßer*.
Die Begebenheiten in Halle werden Sie wohl durch Förster erfahren haben*. von da gieng ich ins Alexisbad. Eine herrliche Gegend. Aus der Umgegend lernte ich da viel interessante Menschen kennen. Es ist unglaublich viel Sinn für Musik in Thüringen, und ich fand sogenannte Dilletanten die aller Ehre werth waren. Den 3. August hatte die Badedirektion Feyerlichkeiten für Preußens und Sachsens König angeordnet und Vater Augusts Gesundheit bei Tische klang wahrlich recht ordentlich aus aller Herzen; das muß ich als Musikant verstehen. Hermstedt zierte den Tag mit einem Concert. d. 6. mußte ich eine musikalische Unterhaltung geben. d. 7. fuhr ich nach Braunschweig. Der Lärm der Meße ließ mich nicht zum ertönen kommen. Hr. Dr. Klingemann erzeigte sich sehr artig und gefällig*, ins Theater kam ich nur zur halben Entführung aus dem Serail, die recht gut in dem freundlichen Hause gegeben wurde*. d. 11. reisete ich nach Göttingen, wo ich d. 17. Concert gab. War in Halle viel Enthusiasmus gewesen, so gränzte er hier ans Tolle. Was mich um so mehr überraschte als ich es diesen zierlichen und sehr kurz gehaltnen Herren nicht zugetraut hätte. ein Ständchen mit 3maligem schallenden Vivat mir gebracht, krönte den Abend, und lezteres wiederholte sich noch oft nachdem ich mit den Studenten gesprochen hatte. Heeren, Blumenbach &c. nahmen sich alle, ungemein freundschaftlich und thätig*, und werde ich mich seiner Zeit bei den Herren Empfelern* noch bestens bedanken. Da fällt mir ein daß ich von Halle noch des überaus freundlich, ja fast zärtlichen Empfanges der Schützen Hendel Doktorin erwähnen muß. Leider sah ich sie nur einmal, denn sie kam erst den Tag vor meiner Abreise von Lauchstädt zurück*. Eberhard sprach ich auf seinem neu angelegten sehr lieblichen Garten*. In Hanover d. 19. August gings durchaus recht fatal. Wir beide krank. Ramberg krank, v. Knipphausen nicht da. Herzog von Cambridge nicht da. Dr. Blumenhagen nicht getroffen &c. &c. kein Theater, keine Künstler, desto mehr Regen. Die einzige wahrhaft erfreuliche Erscheinung war mir Hr. Legationsrath Rudloff an den ich durch unsern Breuner‡* empfohlen, einen sehr artigen Mann fand. d. 20. fuhr ich daher wieder ab, wurde d. 21. am hellen Tage, auf ebenen Wege umgeworfen, und kam Abends in Bremen an. Hier gab ich den 22. meine Briefe ab und bestimmte vorläufig mein Concert auf den 2. Sept. nun bin ich seit Vorgestern hier, und gehe wenn ich bei Hofe gespielt und Concert gegeben habe, über Bremen nach Hamburg, u. s. w.
Es würde mir eine große Freude sein, von Ihnen mein theurer Freund einige Zeilen in Hamburg post restante zu finden. Es ist heute eben ein voller Monat, daß ich Dresden verließ, und es kömt uns schon recht lange vor. Doch ist erst ein Drittheil der Urlaubszeit verflossen, und ich werde Noth haben alles was ich mir vorsetzte in dieser Zeit noch zu vollbringen. Ich benüzze jeden Augenblick und gönne mir wohl eigentlich zu wenig Erholungszeit, doch fliegen die Tage im Vergleich mit ihrer gemessenen Zahl unglaublich.
Ich hoffe zu Gott daß diese Zeilen Sie und die Ihrigen gesund und heiter treffen. Den verehrten und geliebten Gliedern des LiederkreisesT unsere herzlichsten Grüße aus der Ferne. Wie oft gedenken wir Eurer.
Ich freue mich recht auf die Erinnerungen, die ich von der Reise nach Hause bringen werde. Die Gegenwart wird einem doch meistens durch den ihr anklebenden Schmutz in etwas vergällt.
Nun, Gott stärke uns alle, und segne Euch, und behaltet lieb Eure ewig treusten Freunde Mann und Frau Weber. Oldenburg, d. 25. August 1820.
Editorial
Summary
entschuldigt langes Schweigen; berichtet seit Abreise: Wagen-Unglück, Feierlichkeiten in Alexisbad, Besuch in Braunschweig, Konzert in Göttingen, missliche Situation in Hannover, Reise n. Bremen, wo er am 2.Sept. auf ein Konzert hofft; bittet um Brief nach Hamburg, Grüße an Liederkreis
Incipit
“Man mag immerhin den festen Willen haben”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition in 2 Text Sources
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1. Text Source: Freischütz-Buch, Leipzig 1843, pp. 151–154* ,
Corresponding sources
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MMW II, S. 249–250
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2. Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 32, Nr. 119 (21. Juni 1832), Sp. 948–950
Thematic Commentaries
Text Constitution
Obwohl Kinds Freischütz-Buch der spätere Druck, wurde dieser der Übertragung zugrundegelegt, da er näher am Originaltext ist
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“Breuner”sic!
Commentary
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“… sich sehr artig und gefällig”Die Begegnung ist im Tagebuch nicht eindeutig dokumentiert; vermutlich galt dem Theaterdirektor einer der „Besuche“ am 9. oder 10. August 1820.
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“… dem freundlichen Hause gegeben wurde”Vgl. den Tagebucheintrag vom 10. August 1820.
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“… alle, ungemein freundschaftlich und thätig”Besuche Webers bei A. H. L. Heeren sind im Tagebuch am 14. August 1820 notiert, die Begegnung mit J. F. Blumenbach nicht. Ihm dürfte Weber am 13. August ein Empfehlungsschreiben von F. Kind überbracht haben.
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“… meiner Abreise von Lauchstädt zurück”Im Tagebuch ist die Begegnung nicht dokumentiert; nach Webers Beschreibung müsste sie am 1. August 1820 stattgefunden haben. Laut Tagebuch der deutschen Bühnen, Jg. 5, Nr. 9 (September 1820), S. 376 beschloss das Leipziger Theaterensemble am 31. Juli 1820 mit Donna Diana seine sommerlichen Gastvorstellungen in Lauchstädt.
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“… den ich durch unsern Breuner”Vermutlich Fehler des Setzers.