Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher
Dresden, Freitag, 17. und Sonnabend, 18. Juli 1817
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Mein lieber Herzensbruder!
Hab dir recht lange nicht geschrieben und muß mich recht anklagen einestheils, obwohl ich wirklich so in Arbeit, Verdruß, und wieder Arbeit vergraben bin, daß meine Gesundheit recht angegriffen ist, und ich seit ein paar Monaten immer kränkle. das wird aber auch schon wieder beßer werden und ich will nur jezt mein Referat nachholen, und deine lieben guten Briefe beantworten. d: 10t März schrieb ich dir zum leztenmale. d: 13t kam Wohlbrük an und gab Gastrollen* und wohnte bei mir. die Ferien vor Ostern benuzzend, beschloß ich eine Ueberraschung und reiste d: 22t Abends 9 Uhr hier ab mit Baßi nach Prag, und so schnell, daß ich d: 23t noch zur Hälfte der Zauberflöte zurecht kam. die Freude meiner geliebten Lina, und aller Freunde kannst du dir denken. d: 27t erhielt ich deinen Brief vom 13t nachgeschikt*. d: 28t dirigirte ich Silvana selbst. So wie ich nur den Kopf ins Orchester stekte, gieng ein unmenschliches aplaudiren und Bravo schreyen los, das gar kein Ende nehmen wollte. Jedes Musikstük wurde aplaudirt, an jedem Akt Schluß Bravo Weber geschrien. es gieng aber auch vortreffllich, Orchester und Chöre besellte der alte Geist, und alles war wie elektrisirt, und Wonnetrunken. da fühlten sie erst recht was sie verlohren hatten*. den 1t Aprill muste ich wieder fort. die Trennung that wehe, aber das lange Jahr hatte doch durch diese Ueberraschung einen wohlthätigen Abschnitt bekommen, und uns für die übrige Zeit gestärkt. d: 2t kam ich in Dresden an, besorgte d: 3t alle Direktions Geschäfte, und fuhr d: 4t früh schon wieder nach Leipzig, wohin mich Wohlbrük begleitete. d: 8t führte ich da mein Kampf und Sieg auf, und spielte KonzertT. und fuhr denselben Abend noch wieder zurük nach Dresden wo ich den 9t zur Vorstellung der Adelina zurecht kam, in der Weixelbaums auftraten. d: 12t schrieb ich in der Nacht eine Musik zu dem Trauerspiele Yngurd von Müllner. d: 13t war Joseph. d: 14t Yngurd d: 15t Ostade. d: 16 Adelina. wo Thurner im ZwischenAkt auf der Oboe herrlich blies. d: 22t war zum 1t male Helene. d: 30t‡ kamen Grünbaums an. d: 3t May. war Joh: v: Paris zum 1t male. d: 11 das Lotterieloos, zum 1t. d: 18t Blaubart zum 1t mal. in alle dem sang die Grünbaum mit dem ungeheuersten Beifall, und ging von da nach Berlin. d: 31t‡ das Hausgesinde. d: 4t Juny das Waisenhaus. d: 15t Das Geheimniß. d: 16t erhielt ich deinen Brief vom 5t unterdeßen kam die Grünb: von Berlin zurük, wegen Abwesenheit eines Mitgliedes muste nachstudirt werden. und sie sang abermals im Joh: v. Paris*. und den 18t geschah das unerhörte daß zum erstenmale, und eher als die Italiener, die deutsche Oper zum König nach Pillnitz gerufen wurde. wo die Grünb: im Lottoloos sang*. das war ein Triumph. d: 27t führte ich mit der ganzen Kapelle das VaterUnser von Naumann in der Kirche zum besten der Armen auf. ging trefflichT. d: 28t kam Papa Beer hier durch nach Karlsbad*, und Treitschke und Schreivogel von Wien, die auf Rekrutirung herumreisen, und mit denen ich viel von dir sprach. d: 30t bekam ich abermals einen Ruf nach Berlin als KapellMster, und das ist jezt die wichtige LebensEpoche in der ich wie ein Esel zwischen den 2 Heubündeln stehe, und nicht weis was ich thun sollT. zum Unglük ist auch mein Cheff der Graf Vizthum abwesend, komt aber in einigen Tagen wieder*, und somit muß sich die Sache bald entscheiden. Auf jeden Fall ist dieser Antrag gut denn das beßere wähle ich. du siehst aus dieser kurzen Uebersicht wo hundert von Briefen, Aufsäzzen, Gesellschaften, Korekturen, Gastrollen, Proben pp nicht gerechnet sind, wie ich überladen mit Arbeit war, und daß man darunter wohl erliegen kann. doch jezt zur Beantwortung deiner Briefe. No. 1 der vom 13t März. Ich bin hier vorder Hand auf ein Jahr angestellt, dem aber immer | die lebenslängliche Anstellung folgt, daß ist hier so Stilü. Es ist sehr still im Leben, und daher sehr zur Häußlichkeit gut. treffliche Dichter, und einzelne liebe Menschen. Musikalische Seele wie wir sie brauchen aber keine einzige. Viel Verdruß durch die Kabalen der Italiener, und manche wandelbare Aussicht für die deutsche Oper in die Zukunft. der Tenorist Mieksch lebt allerdings noch, und ist mein sehr guter Freund. Neumann aber ist todt. die herrliche Feyer bei Empfang deiner wohlverdienten Medaille hätte ich mit ansehen mögen*. das sind herrliche Augenblikke im Leben, die gar manches wieder aufwiegen. von D moll habe ich eine Ewigkeit nichts gehört. ich schrieb ihr theilnehmend nach jener unglüklichen Feuersbrunst*, und habe seitdem keine Zeile mehr von ihr gesehen. den Brief an Schlesinger habe ich auch zur ungebühr lang liegen laßen, da ich aller Welt Antwort schuldig bin. habe ihn aber doch endlich spedirt. Von deiner Kirchen Musik hoffe ich allerdings etwas einmal aufzuführen, sobald ich an den Dienst komme. vielleicht ist auch etwas dafür zu haschen. doch braucht es damit noch Zeit. bei uns geht alles hübsch langsam aber solid.
Vergeblich habe ich deiner Ankündigung gemäß gehofft das Graf F dur einmal hieher kommen würde. dafür ist aber Graf Odonell hier* mit Junghs Schwester, die dem Hans ähnlich sieht. ich habe keine Zeit viel hinzugehen und bin erst einmal dagewesen. Graf und Gräfin sind aber ein paar artige angenehme Leute. Wenn du nur einmal zu mir kommen Könntest lieber Bruder. Wenn der hiesige KirchenCompositeur abfahren wollte, das wäre ein Posten für dichT; Nun kömt Zeit, kömt Rath. Mit Freuden habe ich gesehen daß du fleißig warst und etwas Neues für die Kirche geliefert hast. Melde mir ja den Effekt der Aufführung. Es ist freilich traurig daß die Verleger von unserm Schweiß sich mästen, wenn es aber nur recht unter die Menschen komt dann ist es doch gut. und das wird mit deinem Requiem bei Steiner gewiß der Fall sein*. Meyerbeer führt oder hat in diesem Augenblik schon aufgeführt eine Oper von sich in Venedig*. Er bleibt noch ein Jahr in Italien und geht dann nach Paris. Grünb: haben in Berlin in ihrem Concert, eine Arie und eine Hymne von ihm gegeben*, die beide außerordentlich gefielen. die Hymne ist sehr einfach, fließend und doch mit neuen Wendungen gedacht.
Was Weixelbaums betrifft, so sind das elende gemeine Menschen, die mit dem erbärmlichsten Komödianten Charakter begabt sind. Hier, haben sie mir und andern dieselben Geldborg Geschichten gemacht*, und trotz alle ihrer niederigen Aufführung ist es doch möglich daß Sie engagirt werden. so bald dieß geschieht werde ich gewiß für dein Geld sorgen*. willst du es aber sicherer so schreibe nach Carlsruhe wo sie engagiert sind.
An meiner Jägersbraut arbeite ich so fleißig als meine vielen Geschäfte es mir zulaßen 4-5 Nr: sind schon skizzirt. Was gäbe ich drum wenn des Freundes und Bruders Rath und Beyfall mich unterstüzzen und erheben könnte. So muß ich ohne allen Antheil von Außen für mich allein Schreiben. Ende Septemb: gehe ich nach Prag, heyrathe meine gute Carolina, mit der ich täglich mehr Ursache habe zufrieden zu sein, und bringe mit ihr die Mutter nach Mannheim zum Sohn, suche unterwegs ein paar Thaler zu verdienen, und ziehe dann ein in meinen häuslichen Tempel, ob hier oder in Berlin?T, das weis Gott.
Nun lebe wohl, mein vielgeliebter HerzensBruder.
Gott segne dich und deine Arbeiten. lebe Gesund und heiter und behalte
lieb deinen bis in den Tod
treuen Bruder
Weber
Dresden d: 18t July 1817.
Editorial
Summary
Abriss seiner Tätigkeit seit März 1817; listet die in Dresden zur Aufführung gebrachten Opern auf; berichtet über seinen Ruf nach Berlin; betr. verschiedener gemeinsamen Bekannten; habe Gänsbachers Brief an Schlesinger weitergeleitet; arbeite an der “Jägersbraut”, von der bereits 4–5 Szenen skizziert seien; erwähnt Gottfried Webers “Tonsetzkunst”, die “auf unsere Grundsätze gebaut”, einzigartig sei
Incipit
“Hab dir recht lange nicht geschrieben und muß mich recht”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
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Text Source: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bibliothek (A-Wgm)
Shelf mark: Weber an Gänsbacher 45Physical Description
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- am unteren Rand der Versoseite Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns (Tinte): “Eigenhändig von C. M. v. Weber”
Corresponding sources
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Nohl 1867, S. 264–267 (Nr. 43)
Thematic Commentaries
Commentary
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“… Wohlbrük an und gab Gastrollen”Zu den ersten Gastauftritten vom 16. bis 18. März 1817 vgl. die Aufführungsberichte in der Abend-Zeitung vom 25. März bis 1. April 1817.
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“d: 30t”recte “27.”
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“d: 31t”recte “1. Juni”.
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“… abermals im Joh: v. Paris”In der Vorstellung am 19. Juni 1817 sang A. Hunt anstelle der abwesenden E. Zucker die Lorezza, Th. Grünbaum sang die Prinzessin von Navarra; vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 3. Juli 1817.
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“… die Grünb: im Lottoloos sang”Th. Grünbaum sang die Adele.
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“… Beer hier durch nach Karlsbad”J. H. Beer reiste laut Karlbader Kurliste (1817, Nr. 903) am 2. Juli 1817 in Karlsbad an und stieg im Haus „zur silbernen Kanne auf der neuen Wiese“ ab.
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“… theilnehmend nach jener unglüklichen Feuersbrunst”Zum Brand auf den gräflich Desfour’schen Besitzungen (vermutlich in Hradek) vgl. auch Webers Briefe vom 28.–31. Januar 1817 an Caroline Brandt sowie vom 10. März 1817 an Gänsbacher.
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“… Steiner gewiß der Fall sein”Die Stimmen-Ausgabe des Requiems (VN: 2597) war Ende 1816 bei Steiner erschienen; vgl. die Anzeige in: Wiener Zeitung, 1816, Nr. 351 (16. Dezember), S. 1395.
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“… Oper von sich in Venedig”Die Uraufführung von Romilda e Costanza fand nicht in Venedig, sondern in Padua statt.
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“… andern dieselben Geldborg Geschichten gemacht”Zur Zahlung Webers und Rückzahlung an ihn vgl. die Tagebuchnotizen vom 14. April und 13. Mai 1817.
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“… gewiß für dein Geld sorgen”Auf der Rückreise von Italien nach Deutschland (vermutlich 1816) machten die Weixelbaums in Innsbruck Station und liehen sich Geld (10 fl.) von Gänsbacher, das sie diesem schuldig blieben; vgl. Denkwürdigkeiten, S. 84 (mit Bezugnahme auf Webers Brief: „Ähnliche Schuldenstreiche machte er auch in Dresden, wie mir Weber schrieb“).
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“… ein treffliches theoretisches Werk angefangen”Der erste Verlagsvertrag bezüglich der Publikation der Theorie der Tonsetzkunst datiert vom 28. August 1816; vgl. Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek . Die erste Ausgabe erschien in drei Bänden (1817/1818/1821).