Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Montag, 23. Juni 1817 (Nr. 59)
Settings
Show markers in text
Context
Absolute Chronology
Preceding
- 1817-06-20: to Brandt
- 1817-06-23: from Waldmüller
Following
- 1817-06-26: to Schubert
- 1817-06-26: from Baermann
Direct Context
Preceding
- 1817-06-19: to Weber
- 1817-06-23: from Weber
Following
- 1817-06-27: to Weber
- 1817-06-26: from Weber
Mein guter vielgeliebter Muks
Wenn ich heute keine Haue von dir kriege, so habe ich von Glük zu sagen, denn ich bin so daß ich mich selbst nach Herzenslust durch karbatschen möchte. seit 3 Tagen bin ich in einem abscheulichen Zustande gewesen. eine unendlich drükende Hizze und Gewitterluft, verbunden mit einiger Anstrengung, haben mich so abgespannt, daß ich durchaus unfähig war das Geringste zu thun, von einem Winkel des Zimers in den andern lief, um Kühlung zu suchen, und am Ende immer üblerer Laune ward, denn du weißt wohl daß wenn ich nicht arbeiten kann, ich am aller brummigsten bin. Nachdem d: 20t Grünb. um ½ 12 Uhr abgereißt waren*, und ich ihr 2 Bußen für mich, und 1 für dich gegeben hatte, so schrieb ich Nachmittags an Louis und den Vater, wozu Gott seinen Seegen geben möge. dann kam Bassi und wir mach[t]en einen sehr weiten Spaziergang*, von dem ich um 10 Uhr sehr ermüdet zurükkam. d: 21t hatte ich von 9–1 Uhr Proben von Lodoiska pp Mittag im Engel. den ganzen Nachmittag verträumt und verschlafen, in der unbehaglichsten Stimmung. Gegen Abend etwas componirt*, aber nicht viel.
d: 22t abermals Proben. Nachtische kam ein schrekliches Gewitter, und um meinen üblen Humor nur etwas zu vertreiben, fuhr ich im entsezlichsten Regen mit Bassi auf das Baad, von da in den Engel. Heute bin ich von 7 Uhr an schon geplagt gewesen mit Proben aller Art, und Anordnungen für das Kirchen Concert*. auch kam Heute H: Tenorist Stümmer von Berlin an, der singen soll. da kam denn Dein lieber, muthwillig heiterer Brief No: 63 recht als Balsam auf die viele Schererey an. bist ja ein Erz Schelm, lieber Schneefuß. wirst mir fast übermüthig. Nun Gott sey Dank, das habe ich gern, und wenn du so fort fährst, und zugleich hübsch auf dich Acht giebst daß du nicht einmal über die Schnur haust so werde ich gewiß einen ditten fetten Hamster bekommen. u bist ein Narr mit deinem Zanken. aber ich läugne es auch gar nicht, daß ich, – obwohl wirklich ohne alle Ursachen zum Klagen zu haben, – doch eben nicht sehr vergnügt bin, und daß ist wohl ganz natürlich; Meine Mukkin fehlt mir. ja, ja, du bist mein Alles, du must mich für alles lohnen, du must dich freuen wenn es gut geht, und mich zu neuer Arbeit stärken. o! du hast ein wichtiges Amt, was gar nicht so leicht zu erfüllen ist, die Welt wird künftig Alles von dir fodern. Ja ja, geliebte Lina, die Sehnsucht nach dir und deiner liebenden Theilnahme, erfüllt mich ganz und gar, und läßt es mich für den Augenblik doppelt schwer empfinden so allein zu stehen. Doch Gott sei Dank mit jedem Tage rükt ja dieses seinem Ende näher. Ach, sei froh wenn ich schon d: 20t Sept: kome, wer weiß was da noch dazwischen komt, da es gerade die RükkunftZeit des Königs von Pillnitz ist. Was du mir von dem Sonneverbrannten sagst, mag nicht arg sein, denn mir scheint aus dem Ganzen eine gewiße Selbstzufriedenheit zu leuchten, die mich vermuthen läßt, daß die Mukkin gar nicht so übel aussieht, und weder schwarz noch Mager ist. du bist aber ein schöner Langschläfer, das muß ich sagen, während ich armer Hund, schon alle Tage um 6 Uhr | auf dem Plaze sein muß. und 8 Tage lang hat Err nichts zu thun. Nun, Gott segnes, bei mir kömts dafür 3 und 4 fach.
Wenn Dir der Drin kleine Eifersucht nicht gefällt, so nim dir nur ein Beyspiel dran für die Zukunft. Ja ja, jeder Mensch ist anderst Allein, und im Strudel der LebensVerhältniße, da bewährt sich erst das wahre Gute, und die ächte Bildung, die frey von allem Egoißmuß nur das Wohl des Ganzen will. – An dummen Streichen die Ihro Gnaden machen, fehlt es auch nicht so viel ich sehe. wie Z: B: die Pferde Geschichte. bist doch noch ein rechter Faselhans, und werde ich was ehrliches zu thun haben, ehe ich die wilde Mamsell, in eine ordentliche, ehrfurchtgebietende Hausfrau verwandelt habe. Nun, wenig Eßen, viel Schläge pp das wird schon helfen. Uebrigens bleibe du nur bei dem Fach der Munteren Liebhaberin, und entsage ihm nicht, wenn ich auch zuweilen brummige Alte spiele.
Die Waldmüller hat mir heute wieder geschrieben. Es ist aber eine schwierige Sache ohne Gastrollen, gleich auf ein Jahr zu engagieren. ich habe ihren Brief dem H: Grafen gegeben, und werde hören was der resolvirt. Das Fach einer 1t Sängerin füllt Sie doch nicht aus, und man muß auch immer eine Andere neben ihr haben. auch ist sie gar nicht hübsch –; daß sind alles eigene Umstände, die machen daß man sie nicht so gerade zu engagieren kann. du weist daß hier nicht allein auf das Publikum, sondern hauptsächlich auch, auf den Hof und S. Majestät den König, Rüksicht zu nehmen ist, daß bey uns alles langsam, aber solid geht, und daß eine einmal getroffene Einrichtung, oder Anstellung, seien sie auch schlecht, sehr schwer wieder wegzubringen ist. Deßhalb muß ich mich sehr in Acht nehmen, nur solche Leute zu engagieren die vollkommen ihren Plaz ausfüllen, ausgezeichnet sind, und den Andern die Waage halten.
Ja ja, es ist keine Kleinigkeit auf meinem Posten zu stehen, wo so viele billige Rüksichten zusammen kommen, und ich doch um keinen Preiß, dem wahren Vortheil der Kunst zu Nahe treten laßen will und werde. Lieber guter Muks, kom, bald, und hilf deinem Karl tragen, der, wenn auch gleich mit hinreichendem Muth und Ausdauer begabt, doch nicht verhindern kann, daß sich auf seiner Stirne finstere Falten festsezzen, die vollkomen Auszuglätten immer keine kleine Arbeit für die sorgsame Hausfrau sein wird. Nun, es wird alles gut bleiben und gehn. So dann ist es doch auch kein kleiner Schritt den wir ins Leben thun. Jahrelange Gewohnheiten, und Sitten werden sich anderst gestalten müßen. vieles angenommen, vieles abgelegt werden müßen. Wer‘s ehrlich mit dem Wesen meynt dem er sich verbindet, und auch mit sich selbst, kann nur ernst und voll gespannter Erwartung in die Zukunft schauen – die ihm in magischem Spiegel, hohe Freude hoffen, und mancherley seltsame unbekannte Lasten auch erwarten heißt. Das tröstlichste dabey ist, daß je ernster man in diesen SchiksalsSpiegel schaut, je fröhliger kann man hoffen überrascht zu werden.
Nun, gieb mir einen Buß, und laß uns guten Muth und Willen haben.
Schmalz der Compagnon von Kleinwächter ist hier, ich habe ihn aber noch nicht gesprochen. Jezt wirst du wohl schon recht viel mit Grünb: von mir gebabßt haben. gelte?
Uebermorgen als der Fanny Geburtstag werde ich an Euch Alle denken. denn da wird gewiß auch meine Gesundheit getrunken.
Es donnert und blizt und regnet entsezlich, doch muß ich sogleich mich in den Wagen sezzen und die GeneralProbe vom Waisenhaus auf dem Baade machen. und nach dem die Musik von dem Melodram des H: Urban, der immer noch hier ist, und nicht zum spielen kommen kann. Wenn Wilhelmi kömt, der soll mir recht von dir erzählen. Nun lebe wohl mein vielgeliebtes, theures, gutes, Leben. Sey brav und gut. bleibe so heiter, wie dein lezter Brief dich ausspricht.
Gott segne Dich + + +. Grüße die Mutter und Drs: bestens, und behalte recht lieb, deinen dich über Alles zärtlichst liebenden treuen Carl.Millionen Bußen.
Editorial
Summary
Tagebuch 20.-23. Juni; Gedanken über ihr künftiges Zusammenleben
Incipit
“Wenn ich heute keine Haue von Dir kriege”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
Thematic Commentaries
Commentary
-
“… ½ 12 Uhr abgereißt waren”Therese Grünbaum trat bereits am 23. Juni wieder auf dem Prager Ständetheater auf; vgl. Der Sammler, Jg. 9, Nr. 102 (26. August 1817), S. 408.
-
“… Stimmung. Gegen Abend etwas componirt”Vermutlich Arbeit am Freischütz.