Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Berlin, Samstag, 29. Juni 1816 (Folge 1, Nr. 7)
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- 1816-06-29: to Gerle
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- 1816-07-01: to Liebich
- 1816-07-09: from Friedrich Wilhelm III.
Direct Context
Preceding
- 1816-06-25: to Weber
- 1816-06-17: from Weber
Following
- 1816-07-02: to Weber
- 1816-07-14: from Weber
Ich bin eigentlich etwas rappelköpfig und toll, wie du die Ehre hast mich zu kennen, wenn ich über die Zeit wo ich mir vorgenommen habe wo zu sein, bleiben muß. ich dachte mit No: 7 die Berliner Correspondenz zu schließen, und nun werde ich wohl No: 8 auch noch hier schreiben müßen. ich hatte Montag d: 1t July zu meiner Abreise bestimmt; habe aber da ich noch einiges gerne hier gleich abmachen will sie auf’s unbestimmte von einem Tag zu dem andern verschieben müßen. mache aber alle AbschiedsVisiten und stehe immerwährend so auf dem Sprunge daß ich zu jeder Stunde absegeln kann. Es versteht sich am Rande, daß ich meinem Aufenthalt in Carlsbad abziehe, was ich dem hiesigen zulegen muß. ja, und ich muß gestehen, daß wenn ich nicht deine Briefe dort wüßte, ich vielleicht kaum hingehen würde, denn ich lechze recht innig nach einem Buß von meiner guten Lina, die mir in jedem Briefe so unendlich erfreuliche und hoffnungsreiche Beweise giebt, daß Sie mich wahrhaft liebt, und unser beiderseitiges Glük zu gründen sucht. Aber ich muß mich nur auch ein bischen loben, ich bin auch brav, äußerst sehr brav, und nicht faul. werd auch schon nicht sterben. und Muks auch nicht.
Zur Abwechslung habe ich wieder einmal eine goldene Dose bekommen sehr schön, mit 2 Engeln von RaphaelT, vom König der Niederlande mit einem außerordentlich verbindlichen Schreiben, welches ich dir beylegen würde, wenn ich Zeit hätte, es abzuschreiben. das behalte ich mir aber alles vor auf die mündliche Erzählung, wo ich nach meinem Tagebuch jeden Tag nochmals mit dir durchleben will. Nach Tisch im Ett auf dem grauen Kanapee bey Kaffee. ach! mein gutes Ett; — manchmal bekomme ich eine so unüberwindliche Sehnsucht daß beinah die Polizei ins Mittel treten muß, und ich dir nur nicht gerne ein böses Beyspiel geben möchte selbst 40 Meilen von dir. Hier schikke ich dir einige ZeitungsArtikel wenn du sie gelesen hast, so lege sie in beyliegenden Brief an H: Gerle siegle ihn zu, und überschikke ihn ihm, damit er in der guten rechtschaffenen Prager Zeitung das Dings weiter verbreite*. Stelle dir vor daß ich weder Weidner noch Devrient habe bis jezt spielen sehen*, ich war nur neulich in Fidelio* und gestern in der Vestalin, wo Mad. Seidler die Julia und Milder die Oberpriesterin sang. Erstere war zu schwach für das ungeheure Opernhaus, leztere aber trefflich. Der Pomp und die Sorgfalt mit der diese Sachen auf der Scene gegeben werden wo gegen 300 Menschen in Thätigkeit sind, ist wirklich groß, und wird dir seiner Zeit sehr imponiren. Der Graf Brühl hat Gestern mit mir wegen deinem künftigen Engagement hier das‡ er wünscht gesprochen, und ich habe ihn dabey gelaßen und bestärkt, da er selbst es erst in einem Jahr wünschtT. bis dahin kann so manches vorgehen, und es ist hier überhaupt so ein ganz anderes | Leben für den Künstler – nun du wirst ja alles selbst sehen und hören. Sehr schade ist es daß zu der Zeit wo du hieher kömst die guten Beers nicht da sind. Diese trefflichen Menschen sorgen für mich mit einer Liebe und Sorgfalt die mich wahrhaft beschämt. ich weiß nicht genau ob ich dir schon geschrieben habe daß der alte Beer mir eine sehr schöne goldene Dose mit Meyerbeers Bildniß aufgedrungen hat*. was ich dich aber Niemand zu sagen bitte, weil die Menschen in der Welt klein genug sind, so etwas falsch auszulegen, und meiner wahrhaften reinen Anerkennung des herrlichen Talentes des Sohnes andere Rüksichten unterschieben möchten. Sie gehen im Herbste nach Italien um ihn da zu besuchen. in Gedanken muß ich lachen wenn ich mir dein Gesichtel denke wenn du dieß ließt, denn ohnfehlbar denkst du, ich hätte nicht übel Lust da mitzusegeln. zu andern Zeiten möchtest du wohl Recht gehabt haben, und ich auch, aber jezt ist Muks mein Italien, und der hat mir es ja vor der Hand verboten. Ach lieber Mukkel wenn Du nur jezt bey mir wärst, ich möchte dich gar zu gerne ein bischen nekken.
Gestern bin ich ein bischen herumgelaufen und wollte Muks was mitbringen. Es ist aber alles so sündhaft theuer gegen unsere Preise und sogar nichts Extras, /: und H: v: Muks hat so wenig Geld, unter uns gesagt :/ daß ich bis jezt den Gedanken aufgegeben habe, und nur dafür sorgen werde mich selbst so bald und gesund als möglich zu überbringen*.
Nun muß ich schließen liebster Mukkel, wenn ich nur wüste wie es dir geht. ich konnte den lezten Posttag gar nicht mich selbst überreden daß ich keinen Brief erhalten sollte, und wußte es doch da ich selbst Schuld daran bin. ich Oz. Ich hoffe zu Gott daß Du Gesund, brav und heiter bist, damit „Wir bey unserer Rükkunft, allerhöchst unsere Zufriedenheit an den Tag legen können, und sie mit dem Mukken Orden bekleiden, in dem wir sie weis umärmeln.[“] — Puntum.
Grüße die Mutter bestens auch allenfalls alle Bekannten die sich meiner freundlich errinnern. ich küße dich Millionenmal in Gedanken, und bin immer und ewig dein dich herzlichst innig treuliebender Carl.
[im Kußsymbol] 1000000 Bußen.
Editorial
Summary
klagt über Verzögerung seiner Abreise nach Karlsbad; schickt Zeitungsartikel zwecks Veröffentlichung in Prag; berichtet über Aufführungen des “Fidelio” und der “Vestalin”; betr. Engagement Caroline Brandts nach Berlin
Incipit
“Ich bin eigentlich etwas rappelköpfig und toll”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Weberiana Cl. II A a 1, Nr. 18Physical Description
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- am oberen Rand der Rectoseite Vermerk von Jähns: “Original Handschrift von Carl Maria von Weber. Brief an seine [spätere] Frau.”
Provenance
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Corresponding sources
-
Muks, S. 242–245
Thematic Commentaries
Text Constitution
-
“s”“ß” overwritten with “s”
Commentary
-
“… Zeitung das Dings weiter verbreite”In der Prager Zeitung erschienen daraufhin am 9. und 10. Juli 1816 „Notizen aus Berlin“.
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“… habe bis jezt spielen sehen”Julius Weidner gastierte in Berlin vom 5. bis 23. Juni; vgl. Tagebuch der deutschen Bühnen 1816, S. 227–230.
-
“… mit Meyerbeers Bildniß aufgedrungen hat”Vgl. den Tagebucheintrag vom 16. Juni 1816.