Aufführungsbesprechung der Oper Euryanthe von Carl Maria von Weber in Hannover am 22. Juni 1824

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Hannover. ([…]) Am 22. Juni: Zum ersten Male mit aufgehobenem Abonnement: „Euryanthe“. Dieses heroische Produkt Weber’s, worüber bereits so viele günstige als ungünstige Urtheile laut geworden sind, diese klassische Tondichtung, welche unstreitig des Originellen und Neuen in reichen Spenden viel umfaßt, war hier gleich bei seinem ersten Erscheinen von unserem kunstverständigen Publikum ganz nach seinem Werthe gewürdigt. Wie uns niemals übertriebene Lobhudelei besticht, so schreckt uns auch kein zu rascher Tadel jemals ab, käme er auch aus großen Städten oder aus kleinen Winkelnestern, wo man, um es den Großstädtern nachzuthun, flugs mitschreit, ohne oft den Feind zu kennen, welchen man besudelt. Wir haben mit Unbefangenheit die ganze Oper angehört und die erhabene, an Harmonien und Melodien gleich gut ausgestattete Composition bewundert. Mögen Manche immerhin das Letztere darin vermissen wollen; sobald sie das Ganze öfterer und unbefangen gehört haben, werden sie ihre Meinung ändern. – Wer wird dem Gesange: „Glöcklein im Thale“, dem ganzen ersten Finale[,] der Arie „Adolars“: „Wehen mir Lüfte Ruh’“, dem Liedchen der „Bertha“: „Der Mai, der Mai“, so wie dem meisterhaften Jäger-Chore und mehreren der übrigen schönen Gesänge wohl reiche, zum Herzen dringende Melodien absprechen? –  Daß der Dialog im Gewande des Recitativs viele Widersacher gefunden hat, kann schon mit dem Ungewohnten einer solchen und fremdartigen singenden Redeweise entschuldigt werden. Sie wird aber gewiß kein Stein des Anstoßes da seyn, wo diese Recitative mit der Präcision exekutirt werden, wie unsere braven Operisten sie uns hören ließen. Daß sich unsere Sprache, der das Runde des sogenannten Parlando der Italiener mangelt, für den Recitativ-Gesang nicht vollkommen eignen mag, geben wir gern zu; wir dürfen aber diesen Mangel nicht der Oper als ein Gebrechen aufbürden. – Mit innigem Behagen hat Ref. in den Blicken und Mienen der zahlreich versammelten Musik-Kenner und Nichtkenner den Genuß gelesen, den ihnen diese herrliche Oper gewährte. – Oft wiederholter Applaus, dem Componisten bei einzelnen Passagen geweiht, drückte die Empfänglichkeit der Gemüther für das Erhabene der Tondichtung deutlich aus. – Wie wir es mit Vertrauen erwarten durften, leistete Demois. Campagnioli als „Euryanthe“ das Höchste der Kunst. Wo Gesang und Schule so schwesterlich vereint sind, verschmilzt das Schöne mit dem Erhabenen zur Verkörperung des edelsten Gebildes. – Demois. Langschwadt, diese sich der Bühne kaum seit zwei Jahren widmende Bravour-Sängerin, besitzt eine ausgezeichnete Tonfertigkeit und Höhe; kühn darf sie sich unter die ersten Bravour-Sängerinnen Deutschands zählen. Als „Eglantine“ stand sie in ihrer ganzen Glorie vor uns. Mit heroischem Vortrage sang sie ihre gigantische Parthie, namentlich die große Arie: „Bethörte, die an meine Liebe glaubt“! Etwas mehr Kraft in den Mitteltönen, und zuweilen einige Beherrschung des zu Kraftvollen in der Höhe darf die Künstlerin als wohlmeinenden Rath nicht verschmähen. Auch ihr Spiel gewinnt seit einiger Zeit immer mehr an Gewandheit. – In eben so hohem Grad verdienstlich war ferner unser Hr. Fürst als „Lysiart“, von dem wir heute sagen konnten, er ließ nichts zu wünschen übrig. Der ihm gezollte, laut ausgesprochene Beifall war so ungetheilt als vollkommen gerecht. – Auch Hr. Strobe führte als „Adolar“ unserem Ohre wohlklingende Töne in Fülle zu und er würde noch viel reichhaltiger des Guten uns genießen lassen, wollte er, wie auf seinen Ton, auch auf eine kunstgerechte Haltung seines Körpers achten. –  Herr Sedlmaier ¦ gab uns, als „König Ludewig“, unter dem Wenigen dennoch viel Trefliches durch seine schöne Bruststimme zu hören. – Das Brautpaar, „Bertha“ und „Rudolph“, war in den Personen der Demois. Huber und des Hrn. Boucher gut besetzt. – Die Chöre griffen wacker in einander und die Präcision dieser Gesammtparthien war am fühlbarsten bei dem ergreifenden Chore in D. dur.: „Trotze nicht, Vermessener!“ – Den energischen Jäger-Chor, dessen kräftiger Tonsatz des Waidmanns männliches Gemüth so farbenreich ausmalt, gab uns das Chor-Personal mit wollem Werthe. – Unserem rühmlichst bekannten braven Orchester gebührt ein großer Theil unsers lauten Beifalls. Was der Chef desselben, Hr. Kapellmeister Sutor, mit Ausdauer, Fleiß und sinniger Anordnung, selbst in den kleinsten Theilen, für diese Oper gethan hat, unterstützten die Mitglieder der Kapelle durchgängig mit Liebe und Lust höchst meisterhaft. – Die Tänze hätten wohl prunkvoller ausfallen können; indeß wir besitzen bei unserer Bühne durchaus kein Ballet-Personal, und den guten Anordnungen des Hrn. Hoftanzmeisters Volange, der Tanzfertigkeit unserer Herren Spitzeder und Weidner, so wie dem ernsten Fleiße der Statisten, verdanken wir dennoch eine ins Auge fallende wohlgefällige Gruppirung und einige balletartige Entrechats, die doch immer noch ein erträgliches Etwas ausmachten. –  Costüme und Dekorationen waren, wenn gleich nicht mit höchster Eleganz ausgestattet, dennoch anständig und regelrecht. – Von dem Stoffe dieses Drama’s und wie das hiesige Publikum die Bearbeitung desselben aufgenommen hat, kann nur die allgemeine Ansicht auch hier gelten: Daß die Begebenheit der Erscheinung Emma’s und das Mystische des Giftringes in einem zu großen Dunkel gehüllt dastehen, und selbst mit dem Textbuche in der Hand nicht völlig verstanden werden kann; daß für manche Charaktere zu wenig, dagegen wieder für andere zu viel geschehen ist und daß mit zu winzigen Begebenheiten das Ganze zu sehr in die Breite gezogen ist. –  Der Urstoff aus der Erzählung: Histoire de Gérard de Nevres et de la verueuse Euryanthe, welche die geschätzte Dichterin im Jahre 1804 zu Paris aus einem Manuscripte übersetzt und neuerdings wieder herausgegeben hat, ist ereignißreicher und anziehender als diese dramatische Bearbeitung. Dennoch wird diese zarte romantische DichtungT noch lange unter die Zahl der bessern gehören. – Am 27. Juni wurde die „Euryanthe“ wiederholt und mit einem noch größern Erfolge, sowohl in der Ausführung als Aufnahme, gekrönt. Mehr mit dem Technischen der Composition noch befreundet, ward der Genuß an diesem Abende bedeutend gesteigert. –  […]  – Auf vieles Verlangen wurde am 2. Juli zum dritten Male die „Euryanthe“ wiederholt und diese, den beiden frühern an Gediegenheit nicht nachstehende Darstellung machte den Beschluß des zehnten und letzten Abonnements […] | […].

Georg Harrys.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Jg. 8, Nr. 135 (23. August 1824), pp. 669f.

Text Constitution

  • “Nevres”sic!

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