## Title: Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertortheater: “Euryanthe” von Carl Maria von Weber am 25. Oktober 1823 ## Author: Berling, Theodor ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031765 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Korrespondenz-Nachrichten Wien, im Oktober. […] Den fünf und zwanzigsten wurde unter Webers eigner Leitung dessen neue Oper Euryanthe (Text von Helmina v. Chezy), große romantische Oper in drey Aufzügen, zum ersten Mal auf dem Theater am Kärnthnerthor zur Aufführung gebracht. Von großen Erwartungen erfüllt und zur wärmsten Empfänglichkeit bestimmt – dieß ist reine Wahrheit – strömte die Menge herbey, so viel der weite Raum nur fassen konnte – welche schöne Gelegenheit wäre hier zu einem poetischen Citat! – Schaaren von Kunstverständigen und Dilettanten, Neugierigen und Enthusiasten; das Haus war gepropft voll und für die ersten drey Vorstellungen, deren Direktion der Tonsetzer selbst übernommen hatte, waren, dem Vernehmen nach, bereits alle geschlossenen Plätze in Beschlag genommen. Weber wurde mit Jubel empfangen, während der | Ouverture wagte kaum Jemand, dem Athem freyen Lauf zu lassen. Man war geneigt, sie wiederholen zu lassen, aber das Orchester eilte fort zur Introduktion, die mit Beyfall aufgenommen wurde. Die erste Cavatine des ritterlich liebenden Adolar (Gérard de Nevers) im Romanzenton, wollte keinen rechten Eindruck machen, wahr ist jedoch, sie wurde sehr mittelmäßig, und man weiß nicht recht, woher es kam – mit ungewöhnlicher Beklommenheit vorgetragen. Von hier an erhielt manches Gesangstück lauten Beyfall, andere wurden kalt aufgenommen, einige mit Stilllschweigen übergangen, hinsichtlich anderer äußerten sich verschiedene Meinungen; mit wenig Worten, man fing an, lauer und lauer zu werden, gerieth in Zweifel und Bedenklichkeiten, die Sängerin der Euryanthe (Sonntag) machte Furor, Sie und Weber wurden mehrmals gerufen – aber das Ganze brachte die erwünschte Wirkung nicht hervor, die große romantische Oper entsprach den Erwartungen nicht. Waren diese nun zu hoch gespannt, oder war das musikalische Kunstwerk zu hoch gestellt; meine Meinung soll hier für nichts gelten. Ich fliehe jeden Streit, und meine Ruhe ist mir endlich viel zu lieb geworden, um sie für das Theuerste sogar dahin zu geben, könnte ich sie dessenungeachtet immer nur behaupten! Ich will blos berichten. Man verließ das Schauspielhaus – und wenn ich sage man, so versteh ich, mit dem Hettmann in Benjowsky zu reden, eine große Menge von Zuhörern – die bey weitem größere Zahl verließ das Haus in einer ganz andern Stimmung, als zum Anfang laut geworden war. Viele hatten viele Langeweile empfunden, Andere wußten nicht, was sie aus dieser Oper machen sollten, Einige schienen entzückt. Mancher stellte sich vielleicht nur so, um für einen Eingeweihten zu passieren; Alle kamen ohne Zweifel darin überein, daß dieses Tonwerk große technische Vorzüge besitze, einen Reichthum von harmonischen Constructionen, charakteristische Genauigkeit und sorgfältige Beachtung der Korrektheit; überall zeigt sich Streben nach Wahrheit, Fleiß und Verstand verläugnen sich nirgend, sagte man – aber es mangelt diesem Werk die Begeisterung, es fehlt an einer Fülle der Ideen, an Phantasie, Gesang und Melodie – behauptet die große Menge; überall verräth sich Zwang und eine allzuängstliche Berechnung, ein mühsames Streben nach Originalität, ein fühlbares Trachten, das Ungewöhnliche zu leisten, Schwierigkeiten zu überwinden – die Ausführung kostet den Sängern und dem Orchester ungemeinen Aufwand von Kräften – Aehnlichkeiten endlich und Reminiscenzen zu vermeiden. Es ist dennoch ein klassisches Werk! wiederholt man hier und dort. „Aber kein ästhetisches!“ wird erwidert, oder etwas dergleichen. Es bringt keinen Totaleffekt hervor, es läßt im Gemüth keinen tief greifenden Eindruck zurück, der uns mit unwiderstehlichem Verlangen anlockt, den Genuß zu wiederholen, wie andere Kunstwerke, die sich in großen Tonmassen vor uns wundersam entfalten. Sachte, sachte! hört man wieder; ihr habt Manches dieser gewaltig ergreifenden Werke doch lange nicht begreifen und goutieren wollen. „Nun wir sie aber schon begriffen und goutirt haben, sind wir vorbereitet genug, auch neuere und ähnliche zu würdigen. Es muß also an etwas anderm liegen, daß dennoch dieses uns nicht völlig anspricht.“ – Worin dieses Andre nun bestehen kann, mag aus dem Vorigen erhellen; ich merke nur noch dieses an: Umtriebe waren nicht im Spiel, Prädilektionen fanden nicht Statt, oder wurden wenigenstens nicht vernommen. Ich will sogar rein und frey gestehen, daß man genug solche Zuhörer, die für gewisse cantable Opernprodukte fast leidenschaftlich eingenommen sind, auf ihren Plätzen ruhig sitzen und mit gespannter Aufmerksamkeit einmal um das andere gähnen sah. Dieß soll ja nichts gegen das Kunstwerk beweisen, blos allenfalls die Meinung widerlegen, daß die Partheylichkeit oder der Oppositionsgeist laut geworden wäre. Das Wiener Publikum zeigte sich vielmehr auch jetzt von einer Seite, die schon so oft gepriesen wurde und nicht leicht unbeachtet bleiben kann. Es beeiferte sich recht eigentlich dem Tonsetzer jeden Anlaß zum Mißvergnügen zu benehmen, ihn auf alle Art und Weise zu entschädigen, und jedes etwa allzustrenge Urtheil schnell zu mildern. Dieß geschah in der zweyten und dritten Vorstellung, wiewohl das Haus nicht mehr so gefüllt war, wie das erste Mal, obgleich die dritte Aufführung zum Vortheil der beliebten Sängerin der Euryanthe diente, die besonders in diesem Parth [sich] glänzende Auszeichnungen erwarb. Fast jedes Gesangstück wurde applaudirt, der Tonsetzer mehrmals gerufen, dennoch sah man nach dem ersten und zweyten Akt das Parterre immer lichter und gleich Anfangs mehrere geschlossene Sitze für die Stehenden geöffnet werden. Die Einnahme war garantirt und die Administration soll zugeschossen haben. Die Sänger boten alle ihre Kräfte auf und verdienen großes Lob. Vor Allem muß nochmals hier die Sonntag genannt werden. Sie sang mit ungemeiner Anmuth, überall mit charakteristischem Ausdruck und mit einer Kraftäußerung, die zu der Bemerkung Anlaß gab, es sey zum Vortheil ihrer Stimme, wenn diese Oper nicht so oft wiederholt würde, wie der Freyschütz. Der Tenorist war in dem Parth des Adolar nicht an seinem Platz; desto mehr leistete die Grünbaum als Eglantine, und Forti in der Rolle des Lysiart. Die Chöre gingen trefflich. Vorzüglich bedeckte sich das männliche Personal in dem neuen schönen Jagdchor, der immer noch bisher zweymal wiederholt werden mußte, mit Ruhm. Das Stück (Textbuch, wie man’s nennt) mag sich als musikalisches Drama leicht den bessern an die Seite stellen. Dennoch hat es viele Mängel, worunter Dunkelheit und lockerer Zusammenhang die bedeutendsten sind. Die Bewegung ist etwas schleppend, die dramatische Oekonomie wird häufig vermißt (sollte bey einer Dichterin gerade nicht seyn[)]; die Verse sind hübsch, manche unsrer talentvollen jungen Dichter werden niemals halb so gute produziren; manches ist zu lang, manches wohl zu kurz. Das Buch ist mit einer eindringlichen Vorrede gedruckt. Außerdem versichert die Dichterin, daß sie die jetzt sehr bekannte Erzählung zu Paris selbst übersezt, und A. W. Schlegel [recte: Friedrich Schlegel] sie unter seinem Namen nur herausgegeben habe. Als Widerlegung gewisser Aeußerungen in verschiedenen Zeitschriften beruft sie sich auf die gesammelten Werke des oben erwähnten Gelehrten, worin die Geschichte des Gérard de Nevers und der belle Euryanthe nicht enthalten ist. Sie hätte dieses freylich in dem Vorwort zur eigenen Herausgabe anführen können. –  Zu einem genauen Bericht gehört auch dieses, daß der Komponist noch außer dem Schauplatz Ehrenbezeugungen erhalten hat. In einer lustigen Abendgesellschaft, die Weber öfter zu besuchen pflegte, empfing man ihn nach der ersten Vorstellung mit Gedichten, ernsten und scherzhaften Inhalts, man hatte allegorische Zeichnungen verfertigt und sein Bild war mit Rosen und Lorbeern bekränzt. Auch sonst sind Carmina gedichtet worden. Die Dichterin hat die Sängerin besungen, in zierlichen Strophen, deutlicher gesprochen, die Sonntag gefeyert, um mich eines gewöhnlichen Recensenten-Termini zu bedienen. Vielleicht bringt irgend ein Sänger eine reziproke Huldigung dar. –  Bis jezt, „vierzehn Tage nach dem Schuß.“ ist die Oper viermal gegeben worden, das ist nicht oft. Hoffentlich gewinnt man diesem Kunstwerk in der Folge mehr Geschmack ab. Ich könnte leicht jedes einzelne Tonstück anführen und die eigenthümlichen Vorzüge bezeichnen; dazu gehört aber mehr Zeit und Raum, als diesen Notizen gestattet werden kann.