## Title: Rezension: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber (Teil 3 von 5) ## Author: Robert, Ludwig ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030390 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ (Fortsetzung.) Wir gehen zum zweyten Akte über. Die Grundlinien desselben hat der Dichter mit Verstand, mit einsichtigem Blick in das wesentliche Bedürfniß der Oper gezogen. Zwey große Gegensätze sind in scharf sich trennenden Massen so hingestellt, daß einer von dem andern sich malerisch und musikalisch abhebt: erst die lichte Unschuldswelt bräutlicher Liebe, Sehnsucht und Besorgtheit, die von heiterm Scherz und neckischer Zuversichtlichkeit beschwichtigt wird; dann das nächtliche Zauberreich böser Dämonen voll Graus und Gräuel und Schrecken des Abgrunds. So richtig dieser Akt nun im Allgemeinen angelegt ist, so wenig lässt sich die Ausführung vertheidigen. Warum die erste Scene zwischen Agathe und Annchen in ein altes düsteres Jagdschloß verlegen? Entweder macht dieses eine schauerliche Wirkung, und dann schwächt es sowol das Idyllische dieser, als das Grausen der Waldscene; oder es macht keine schauerliche Wirkung, und dann ist es unnütz. Warum erblicken wir nicht das liebende Mädchen und ihre heitere Freundin zuerst unter freyem Himmel im Kreise ihrer Gespielinnen; warum erwartet sie den Geliebten am Fenster und geht ihm nicht entgegen? Das Fürstenhaus braucht ja nicht mitten im Walde zu liegen. Die Introduktion des zweyten Akts wäre dann eine viel lebendigere geworden; des alten Ahnherrn Bild hätte nicht nöthig gehabt, nach neuester Novellenmode sich von der Wand herab zu bemühen, und der Witz (Witz ist schwer in Musik zu setzen) mit dem Nagel, der ein Knecht genannt wird, weil er seinen (?) Herrn tragen muß, hätte nicht nöthig gehabt komponirt zu werden. Wäre dann Agathe dem Geliebten entgegen gegangen, und hätte ihn am Saume des Waldes sinnend gefunden, so wäre dieß eben so einfach gewesen, als es herbeygezwungen ist, daß Max, kurz vor seinem schauerlichen Vorhaben, noch geschwind eine kleine Fußreise macht und die Geliebte besucht, deren Anblick er in seiner Gemüthsstimmung scheuen sollte. Was wir aus Annchen machen sollen, wissen wir auch nicht; sie greift durchaus nicht in die Handlung ein (wie Zerline im Don Juan), und ist doch auch keine konventionelle lustige Bühnenperson (wie die Zofe im unterbrochenen Opferfest), keine Maske (wie Papagena). Wie leicht hätte sie mit Kilian, der zu allererst spricht und singt, und den wir nicht wieder zu sehen bekommen; wie leicht hätte sie mit diesem in wirksame Beziehung gebracht werden und so als nothwendig erscheinen können? – Wer das große Talent des Tonsetzers gründlich erkennen will, der merke auf die, wahrlich nichts darbietende, Situation der ersten Scene, der lese die Worte des Duetts und höre dann, welch ein liebliches und sinnreiches Tonstück der Komponist hier erfand, wie weit er dem Dichter voreilte. Hat man es einmal auf Glauben angenommen, daß Annchen die lustige Person der Oper sey, so ist das folgende Lied: „Kommt ein schlanker Bursch gegangen,“ nett und niedlich gemacht und gar einschmeichelnd komponirt. Aber mit Agathe's nächstfolgender Arie oder Scene hat der Dichter den Komponisten wieder verleitet, theils zu Weitschweifigkeit, theils zu falscher Charakterzeichnung. Die unbedingten Liebhaber dieser Oper mögen es uns glauben, daß wir die Schönheiten dieses Musikstückes tief empfunden haben. Erhebend und bewältigend ist das Gebet aus E dur: „Leise, leise, fromme Weise,“ mit einfacher Quartettbegleitung. In jedem Ohr klingt er nach, der süß-melodische Gesang: „Konnt' ich das zu hoffen wagen?“ Aber ist die ganze Scene so gesezt, daß man in den verschiedenen Uebergängen und Melodien das liebende Mädchen des Idylls und nur dieses hört, oder könnten auch Donna Anna und die Vestalin also singen? Oder ist etwa Agathe eine erhabene Person? Das können wir nicht glauben, da der Dichter sie z. B. sagen lässt: „Sey doch nicht so hastig, du fährst mir in die Augen – -,“ und dann „Es heilt noch vorm Brautgang, du sollst dich drum deines Bräutchens nicht schämen.“ So ländlich-natürlich spricht ja nicht einmal die idyllische Heldin der Schweizer-Familie! – Daß übrigens das Gedicht zu dieser Scene allzuweitschichtig ist, das bezeugt der Tonsetzer selbst, denn die vielen verschiedenen Absätze desselben nöthigten ihn, viele und verschiedene Motive und Melodien zu erfinden, von denen allen er, kaum begonnen, schon wieder hinwegeilen musste, um nur Zeit zu sparen. Und dennoch musste er auch diese allzu schnell vorüberschwindenden Motive durch Rezitative verbinden, wie z. B. das erwähnte schöne Gebet deßhalb durch ein Reziativ unterbrochen und dann wiederholt wird, weil der Dichter einen ganz heterogenen Satz zwischen die beyden Stanzen eines Gebets eingeschoben hat. Und so ist denn diese schöne Musik zu lang und zu kurz. Zu kurz, weil uns die vielen schönen Motive zu unausgeführt vorüberfliegen; zu lang, weil die Dauer einer Arie weit überschritten ist. Das folgende anziehende Terzett hat zwar denselben Fehler, daß die Leute von der Bühne wollen und nicht können; doch ist dieses Nicht-Können hier mehr durch die Natur der Dinge motivirt. Bis zu dem: „Leb wohl!“ wird der Hörer fortgerissen und bewegt; aber daß hier das Stück nicht schließt, daß Max zurückkommt und das Abschiednehmen noch einmal losgeht, das erkältet den Zuschauer; und so schön der folgende Kanon auch seyn mag, er gibt ihm keinen Ersatz dafür, daß man ihn gewissermaßen zum Besten hielt. (Die Fortsetzung folgt.)