Aufführungsbesprechung Königliche Schauspiele Berlin: “Preciosa” von Carl Maria von Weber, 12. Januar 1825
Webers Preciosa.
Unmittelbar nach der letzten Vorstellung der diebischen Elster* wurde zum dritten Debüt des Fräuleins Bauer Preciosa mit Karl Maria von Webers geist- und karaktervoller Musik aufgeführt. Wir würden mit der Beurtheilung eines Werkes, dass schon mehre Jahre lang in ganz Deutschland erkannt und beliebt ist, etwas gar zu spät kommen. Nur zweierlei erlaube man uns zu berühren. –
Zuerst begrüssen wir freudig das glückliche und zu deutscher wahrer Naturauffassung erhobene Liedertalent des Komponisten in dem Zigeunerchor: „im Wald.“ Wer, der Natur liebt und die ungewissen Schatten des Waldes, die Einsamkeit in der stummen Baumwelt – hat nicht schon in kecker Lust und von geheimen Schauern durchrieselt, so das Echo im Waldthale geweckt? Dieses Hineinrufen und Wiederhallen, dieses ahnungsvolle Schweigen und seltsame Flüstern der Mondnacht im Walde, alles, alles lebt in Webers Tönen, und ganz fremd und wunderlich klingen Violinen und Pikkolflöten hinein, ein Räthsel im Räthsel, wie der Sohn Indiens*) in unsern Hainen. In dieser unvergleichlichen Scene geht das Zigeunerleben so poetisch, das heisst wahr, auf, dass man sich fast ärgern könnte, vorher die andern Scenen gesehen zu haben; und man trägt aus ihr mehr geistigen Gehalt davon, als aus allen Opern Rossinis zusammengenommen; so viel mehr ist ¦ (wenigstens uns) Wahrheit und Geist, als Lüge und Sinnlichkeit.
Weil aber Weber hier so Treffliches geleistet hat und auch durch seine andern Werke so stark und fest dasteht: dürfen wir hier einmal unsere Ansicht vom Melodrama aussprechen ohne Besorgniss, jemanden unmittelbar und zu tief zu verletzen. Zeitgemäss scheint eine Untersuchung über das Wesen des Melodrama, denn gerade die letztere Zeit hat so manches Werk dieser Art zur Aufführung gebracht – z. B. Hero und Leander vom Herrn Kapellmeister Seidel**) , Kardillak vom Herrn Musikdirektor Schneider***) und mehre andere Arbeiten dieser Gattung aus dem Repertoir des königstädtischen Theaters. Die Säumniss aber wird man auch daraus noch rechtfertigen, dass wir für die Darlegung unserer Ansicht ein an sich allgemein und schon seit geraumer Zeit anerkanntes Werk haben wählen wollen.
Das Melodrama ist die roheste Verbindung der Poesie und Musik, nämlich die äussere Nebeneinanderstellung beider, ohne innere Vereinigung. Das Gedicht wird schlechthin deklamatorisch vorgetragen, die Musik geht daneben als wirkliche Begleitung, oder in der Gestalt von Vor- Zwischen- und Nachspielen fort. In dieser Zusammenstellung kann die Musik zweierlei Bedeutungen erhalten. Erstens kann sie sich selbst, ihr wirkliches Bestehen in der vom Dichter angenommenen Handlung darstellen, mithin als äusserer Gegenstand in oder neben dem Vorgange erscheinen. Dahin gehört ihre Anwendung zu Märschen, Tanzstücken und dergleichen. Diese Anwendung der Musik zu äusserlichen Zwecken des Dichters ist der Idee nach vollkommen in sich gerechtfertigt, und unterliegt an sich nur dem Gebote, stets der Absicht des Dichters entsprechend zu sein. Treffliches hat hierhin Karl Maria von Weber in Preciosa, z. B. in seinem originellen Zigeunermarsche geleistet. – Eine unbedachte Anwendung der Musik in dieser Sphäre ist es zu nennen, wenn durch sie hörbare Naturerscheinungen, z. B. Sturm, Regen, Ungewitter, Meeres|brausen dargestellt werden sollen. Nicht, als vermöchte die Tonkunst nicht, sich dem Klange dieser Naturereignisse körperlich nachbildend anzuschmiegen: sondern weil die Musik in jener Sphäre nicht das tauglichste Mittel abgiebt und unsre so weit ausgebildete Theatermaschinerie jene Naturklänge weit täuschender, naturwahrer und angemessener nachbildet, muss uns diese Anwendung der Musik verwerflich erscheinen.
Zweitens kann die Musik melodramatisch zur Unterstützung und Erhöhung des Ausdrucks angewendet werden, und vo[r]zugsweise in dieser Vereinigung mit Musik heisst das Drama Melodrama. Allein dieser Gestaltung scheint im Allgemeinen eine unwahre und deshalb nichtige Idee zum Grunde zu liegen. – Musik ist nur als das Erzeugniss einer erhöhten Gemüthsanregung in dem, der sich musikalisch ausdrückt, natürlich denkbar. Die Gefühls und Ahnungsseite muss sich im Singenden so weit erhöht und so entschieden gestaltet haben, dass die geringen und unbestimmt gelassenen musikalischen Bestandtheile in der Sprache nicht mehr für den Ausdruck genügen und sich in grösserer Masse, Bestimmtheit und Kraft neben der in der Sprache herrschenden Reflexionstendenz, oder über sie hinaus erheben. Dann geht also vor allem die Sprache des bewegten Individuums in Gesang über. Die zu dem Gesange hinzutretende Begleitung ist nur eine Folge aus diesem selbst, der Wiederklang dessen, was die Seele des Sängers bewegt, in der ihn umgebenden Aussenwelt, die subjektive Weltanschauung des Sängers. Die Hörer vernehmen und verstehen ebenfalls die Begleitung des Gesanges nur als äussern Nachklang dessen, was in der Weise des Sängers selbeigne Sprache gewonnen hat.
Aus dieser (wie uns scheint) unabweislichen Vorstellung zeigt sich nun die Idee des Melodrama naturwidrig und lügenhaft. Das musikalische Element ist im Kunstwerke nicht einmal so mächtig geworden, die Sprache der darzustellenden Personen zum Gesange zu erheben, und während der Mensch, der wesentliche Gegenstand des Drama, unter der musikalischen Sphäre verweilt, während seiner Gemüthsanregung das Vermögen gebricht, musikalische Gestalt, Fülle ¦ und Bestimmtheit zu gewinnen, soll in ihm die Aussen- und Nebenwelt zu musikalischer Bedeutsamkeit erhoben werden – kurz, eine Gemüthsbewegung soll äusserlich und entfernt eine Wirkung äussern, zu der sie nicht einmal in sich selbst Kraft gewonnen hat. Wir erblicken also in der Aussenwelt eine Bewegung (Begleitung – Musik neben Rede) ohne bewegende Ursach und immiten einer erhöhten, musikalische angeregten Welt das höchste und Hauptwesen, den Menschen, für den jene geschaffen ist – in einem niedrigern, unbewegten, unmusikalischen Zustande. Diese Umkehrung der Natur zur Unnatur erscheint nicht blos in ihrem Gedanken nichtig, sondern wirkt auch auf das unbewusste Gefühl mit dem Eindruck des Räthselvollen, Unheimlichen. Die Richtigkeit dieser Auffassung beweiset sich uns unter andern aus der einzig zulässigen Anwendung der melodramatischen Form, in den Fällen nämlich, wo etwas Unheimliches, Wider- oder Uebernatürliches, Unter- oder Uebermenschliches dargestellt werden soll. Richtig empfunden scheint es uns daher, dass z. B. Karl Maria v. Weber in der Kugelgiessscene von dieser Zusammenstellung der Rede und Musik Gebrauch macht. Und wie dieser Komponist das Untermenschliche melodramatisch eingeführt, so hat Beethoven in seiner Musik zu Göthes Egmont der überirdischen Erscheinung Klärchens die Sprache der Tonkunst verliehen; Egmont aber, als Mensch neben jener Erscheinung untergeordnet zu denken, verlässt die Wortsprache nicht.
Wo nun, nach unsrer obigen Ausführung die Form des Melodrama unnatürlich angewendet ist, da giebt sich die Musik der Empfindung und der Reflexion als ein willkührlich Zugefügtes, als Ueberladung und Störung zu erkennen. Man kann nicht absehen, was sie eigentlich bedeuten und ausdrücken soll; denn alles, was im Menschen vorgeht und unter der musikalischen Sphäre verweilt, findet seinen eignen und vollkommen zureichenden Ausdruck in Mine, Geberde und Rede und diese eignen Ausdruckmittel für fremde aufgeben, ist im Grunde eben so widersinnig, als wollte Einer deklamieren und ein | Andrer neben ihm die dazu gehörigen Minen und Geberden machen.
Dabei erhalten wir aber im Melodrama für das theure Opfer der Wahrheit gar keinen Ersatz. Denn soviel Raum kann der Musik vernünftiger Weise, nie eingeräumt werden, dass sie, nach ihrem Vermögen vollständige, uns befriedigende Bedeutung erhielte. Wir empfangen daher eine Reihe von Andeutungen, die wir nur für unvollführte Anfänge, mithin als etwas Unvollständiges, unreif Gebliebenes, als etwas Unhaltbares erkennen – ein ohnmächtiges, widrig berührendes Ringen einer Kunst gegen die andre zur Vernichtung beider. Auch dem unbewussten Gefühle verräth sich dieser Eindruck durch die nimmer befriedigte Spannung, in die das Melodrama versetzt. Aus allen diesen Gründen kann man auch geradezu annehmen, dass kein Melodrama durch diese seine Form jemals künstlerische Wirkung erhalte. So weit man diese empfindet, gehört sie den Trümmern der einen, oder der andern Kunst, nicht dem Ganzen an und würde ohne jene naturwidrige Vermischung ungleich höher sein. Gewiss wird sich auch kein Künstler so leicht zu einem solchen Werke entschliessen, wenn ihn nicht etwa äusserliche Umstände (bisweilen das Bedürfniss, etwas öffentlich zu leisten, bei dem Mangel an einem Operngedichte) oder die Unfähigkeit zu einer gereiftern, gehaltvollern Schöpfung bestimmen.
Der Erfolg hat auch bewiesen, dass selbst gehaltreichere Leistungen die verfehlte Gattung nicht aufrecht erhalten konnten. Sie galt nur dann und so lange, als es an befriedigenden neuen Opern mangelte.
Marx.
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Tradition
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Text Source: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 2, Nr. 5 (2. Februar 1825), pp. 37–39