Ernst von der Malsburg to Helmina von Chézy in Wien
Dresden, Monday, April 12, 1824

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Messen Sie nicht, meine liebe theure Helmina, nach der Länge meines Schweigens die Kürze meiner Freude über Ihren schönen Brief; vielmehr war diese Freude ausserordentlich groß, und wenn ich nicht im ersten Drange derselben antwortete, so war es gewiß nicht aus dem dummen Grunde, Sie für Ihre lange sträfliche Stummheit durch Zappelnlassen abzustrafen, sondern aus andern Gründen. Setzen Sie obenan meine Faulheit, dann kam der sonderbare Wunsch, erst Ihre Eurÿanthe zu sehen, um Ihnen darüber etwas sagen zu können – endlich ist diese nun seit einer Woche gegeben* und alsbald hatte sich die Faulheit wieder eingefunden, die ich jedoch, | wie Figura zeigt, mit rüstiger Hand fortgejagt habe. Wie könnte ich Ihnen meine Lust an der schönen Eurÿanthe genug schildern? kaum kann ich den zweÿten Festtag erwarten, wo ich sie erneuern soll*. Sie wissen, wie sehr ich das Gedicht immer liebte, doch kann ich mir nicht helfen, Weber hat zu viel daran gemäkelt, er hat Sie gezwungen, unrichtig herauszuthun und unwichtig stehen zu lassen, darüber ist es im Gang der Handlung farbloser und unkräftiger geworden, als es von Anfang war, und die Dunkelheit des Surrogatmotivs, die sich noch obenein in Rezitativ schleÿert, hemmt wohl auch etwas die helle Freude, die man sonst empfinden müßte. Aber wie viel bleibt dennoch übrig! welch ein frischfreundlicher und herzinniger Stoff! chevaleresk, liebevoll, auch im Grauen noch menschlich! | und nun die entzückenden Lieder, diese Blüthenklänge, wie sie nur Ihnen gegeben sind! Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie poetischer sich mir alles in die Seele goß, als beÿm Freÿschützen, und wie ich mich doch immer und immer darauf ertappen mußte, lieber mit schönen Prinzessinnen umzugehen, als mit dem Teufel; die Schlange sah hier leider einem Regenwurm so ähnlich, daß man sich ebenfalls recht vertraulich mit ihr denken konnte. Dem König hätte ich im Ganzen eine weniger dienstbare Rolle gewünscht; und hier agiert er nun gar aus einem Keller! sonderbar wie sich Einem Vieles erst beÿ der Darstellung aufdrängt, worauf man im Lesen nie gemerkt hatte. Die Musik, der ich wegen vielen Vorgeschwätzes ohne größte Erwartung entgegengieng, hat mich überrascht, ergriffen, in den Himmel gehoben. Man sieht doch, die Dichterin hatte ihn begeistert, denn wieviel großartiger und herrlicher | lebt alles als im Freÿschützen. Man tadelt hier manches an der Musik, dem ist sie zu streng, Jenem zu zerrißen – mir scheint sie durchgängig meisterhaft und alle Gefühle der Dichtung, daß es kaum anders seÿn könnte, benutzend; nur die Ouvertüre finde ich schwach, und in Adolars Romanze stehen die Worte hoch über der zu arienhaften Begleitung; eben so wünschte ich dem Mädchenchor für seine unschuldig prächtigen Worte eine weniger manierirte und lebendigere Bewegung. Der Beÿfall, das Herausrufen war rauschend, schien mir jedoch etwas mehr gemacht als beÿm Freÿschützen, denn so paradiesisch populär kann eine Eurÿanthe nicht seÿn, als Samiel und seine Eule. Die Devrient und Funk* überboten sich, besonders entwickelte Letztere eine Kraft und ein Spiel, wie wir es noch nicht an ihr gekannt haben, sie war vortrefflich. | Man rief diese Beÿden heraus, und großmüthigerweise kamen alle Übrigen, selbst die Statisten, mitgelaufen. Allerdings konnte man auch mit dem redlichsten Willen Aller zufrieden seÿn, selbst Bergmann* war wie verklärt. […]

Editorial

General Remark

Eine vollständige Wiedergabe des Briefes findet sich auch unter: Schriftstellerinnen aus der Sammlung Varnhagen

Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

Tradition

  • Text Source: Krakau (PL), Uniwersytet Jagielloński. Biblioteka Jagiellońska (PL-Kj)
    Shelf mark: Sammlung Varnhagen 112

    Physical Description

    • 2 DBl. (8 b. S.)

    Corresponding sources

    • Ausschnitt in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 13, Jg. 7, Nr. 11 (5. August 1840), S. 42
    • Schreiben im Zeichen des Umbruchs. Briefe von Schriftstellerinnen aus der Sammlung Varnhagen (1798‒1858), hg. von Jadwiga Kita-Huber und Jörg Paulus, Stuttgart 2025, S. 175‒178

Text Constitution

  • ebenfalls“auch” crossed out and replaced with “ebenfalls
  • “und hier agiert … aus einem Keller!”added in the margin

Commentary

  • “… nun seit einer Woche gegeben”EA in Dresden am 31. März 1824, die zweite Aufführung, auf die sich Malsburg hier vermutlich bezieht, fand am am 3. April statt.
  • “… wo ich sie erneuern soll”Die nächste Vorstellung fand erst am 28. April statt.
  • “… Eule. Die Devrient und Funk”Rolle der Eglantine.
  • “… Aller zufrieden seÿn, selbst Bergmann”Rolle des Adolar.

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