Friedrich Wilhelm Jähns to Marie Lipsius in Leipzig
Berlin, Wednesday, July 16, 1884

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Mein hochverehrtes Fräulein!

Zuvörderst die Bitte: Verzeihung, daß ich mich des Bleistiftes bediene – ein höchst lästiger Schreibekrampf macht mir die Feder fast zu einer Unmöglichkeit, da deren Benutzung mich übermäßig anstrengt, zumal bei meinem Augenleiden, das mich seit October 1882 befallen hat, einer Doppelsichtigkeit, gegen die ich bis jetzt ärztlichen Beistand vollkommen vergeblich angerufen habe. – So erwiedere ich denn in dieser ungehörigen Form Ihr so liebenswürdiges Schreiben u. spreche darin auch meinen wärmsten Dank aus für die hochinteressante Gabe Ihrer Studienköpfe in deren 6ter Neugestaltung, woran ich zugleich den herzlichsten Glückwunsch dazu Ihnen darbringe. – Mir bringe ich einen Glückwunsch für die Aussicht, Sie in nächster Zeit hier begrüßen zu können, vorausgesetzt, daß diese Aussicht zur Wirklichkeit wird. Da ich um den 1. Juli von hier abreise, | indem ich der Erholung nach dem wieder sehr arbeitsreichen Winter nöthig habe. Auch ich werde bei dem Custos unserer königlichen musikalischen Bibliothek, Herrn Dr. Kopfermann, vorläufig alles thun, die Benutzung derselben Ihnen im weitesten Maaße ausreichend zu machen u. hoffe, daß Sie für Ihre Briefe-Sammlungen vielseitige Ausbeute finden werden. Die Briefe Weber’s, volle 1000 Seiten folio die ich seit längerer Zeit in Abschrift in Händen habe (Classe II B meiner Sammlung „Weberiana“, jetzt Eigenthum der K. Biblioth.) werde ich für die Zeit meiner Abwesenheit der Bibliothek zurückgeben, damit Sie Einschau darin haben können; ich fürchte aber, Sie werden für Ihren Zweck entweder zu wenig oder zu viel finden.

Die Briefe Weber’s an seine Gattin sollen nach Beschluß der Hinterbliebenen nicht veröffentlicht werden trotz aller Vorstellungen meinerseits bei diesen, meinen allernächsten Freunden. | Jetzt sind diese Briefe im Besitz des Enkels von Carl Maria, des K. Sächs. Hauptmanns in Leipzig.

Selbst wenn das Unerhörte geschähe, daß die Erben die Veröffentlichung zugäben, so könnte das gewaltige Material so, wie es vorliegt, nur nach einer überaus schwierigen Sichtung unternommen werden, welche einen sehr bedeutenden Zeitaufwand beanspruchen würde. Bei unsrer hoffentlich bald erfolgenden mündlichen Besprechung der Sache wollen wir diesen Punkt recht ausführlich in Betracht ziehen. – Ich freue mich recht sehr herzlich auf ein Wiedersehn mit Ihnen. Ich bin freilich seitdem sehr viel älter geworden, (ich bin jetzt 75 ½ Jahr) u. das braune Haar hat sich in ein weißes verwandelt, aus dem reifen Mann ist ein Greis geworden. Geistig stehe ich aber immer noch mitten im Leben, componire, schreibe, docire – aber das Alter mit manchen seiner vielen sehr unerfreulichen und ernsten Seiten hat auch unerbittlich | seine Hand auf mich gelegt. –

Kommen Sie, Verehrteste, mir aber nicht zu spät hieher, damit wir uns wieder von Mund zu Munde hören. Möge es so bald als möglich geschehen!

In treuster Verehrung wie immer der Ihrige
F. W. Jähns.

Editorial

Summary

wird auf Kopfermann einwirken, dass sie in Berlin in der Königlichen Bibliothek Briefe für die von ihr geplanten Ausgaben einsehen kann, wird dafür auch seine Weber-Briefkopien wieder in die Bibliothek geben, damit sie auch nach seiner Abreise (um 1. Juli) damit arbeite könne; die Weber-Erben verbieten noch immer die Veröffentlichung der Korrespondenz Webers mit seiner Frau; geht nochmals auf das gemeinsame Projekt einer Weber-Brief-Edition ein und klagt über sein Alter

Incipit

Zuvörderst die Bitte: Verzeihung, daß ich mich des Bleistiftes bediene

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

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