Friedrich Wilhelm Jähns an Robert Musiol in Berlin
Berlin, 18. September 1878 (Auszug)
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Nochmals „Liebster Apostel“!
[…] u. nun sollen Sie auch hören, was der Anfang meines neulich an Sie gerichteten u. verworfenen Briefes enthielt, den ich aber nicht verwarf, weil ich grade das auf Ihr Apostolat Ausgesprochene zurücknehmen wollte, sondern das, was danach kam in Beziehung auf den Schrank, über den ich mich, oder vielmehr über Ihren Aufsatz, nicht richtig u. so geäußert_hatte, daß ich’s Ihnen zusenden konnte. Ich sagte im Eingange des Briefes vom 14. d. Mts:
Nach grade muß ich Sie wohl als Weber-Apostel ansehen – und das ist mir eine größere Freude als Sie denken können. Denn ich muß mir doch sagen, „ein bischen bist du doch auch daran schuld.“ – Aber so viel klaren Sinn, so viel tüchtige Kenntniß des musikalischen Horizontes nach allen Richtungen der Windrose, so viel specielle Kenntniß Weber’s, so viel Einsicht in seine Eigenthümlichkeit und seine Bedeutung, so viel Zuneigung zu ihm, seiner unwiderstehlichen Seiten wegen ich Ihnen auch zutraue: so eine 8 Tage, und an jedem dieser Tage so ein Paar Stunden mit mir und Weberschen Werken am Clavier – dann erst würden Sie in die Welt gehen um die Heiden zu lehren mit der Begeisterung, die den Apostel macht. Das klingt sehr ruhmredig für mich – aber ich sah Ihn noch selbst, beobachtete seine Direction u. seine Tempi, seine Art (bei ruhigster äußerer Haltung) das, was die bloßen Notenköpfe nur andeuten, zu beleben; da zu treiben, hier zu hemmen; da mit einer leisen Wendung des Kopfes, hier mit einem stillen Aufblitz des Auges zu den Sängern oder den Musikern das Ganze zu beseelen, zu befeuern, zu begeistern u. doch stets in den richtigen Grenzen zu halten. –
Ich war damals, als er mit seinem Freischütz hieher kam, grade geweckt genug, musikalisch vorbereitet genug. Meine Empfindlichkeit gegen Eindrücke, die mit unwiderstehlicher Gewalt auf meine jugendliche Seele eindrangen, war damals noch so fein u. unbeirrt – daß die ganze wunderbare Erscheinung vom Freischütz u. Euryanthe, die ich ihn in den Proben u. bei den ersten Aufführungen dirigiren hörte, in der Eigenart seiner Tempi von Preciosa und Oberon, wie sie der hiesigen Direction sehr genau übermittelt wurden‡ und Vortrags=Behandlung fest und unauslöschlich vor meinem innern Auge steht. – Auch die Tempi von Preciosa und Oberon, wie sie der hiesigen Direction sehr genau übermittelt wurden, – zu Preciosa durch ihn selbst – zu Oberon durch A. B. Fürstenau , der diese Oper in London 12mal von Weber dirigiren hörte – auch dieser erinnere ich mich von ihren ersten Aufführungen her ganz genau. Den Oberon betreffend hatte Weber (nach Fürstenau’s Mittheilung) diesen aufgefordert – (denn Weber fühlte bereits sein Ende nahen) – ja auf seine Tempi zu merken, damit er (F.) darüber, wenn nöthig, später in Deutschland Auskunft geben könne; deshalb auch W’s Notizen über Zeitdauer fast jeder Nummer nach Minuten in den vorhandenen Scizzen des Oberon. – – Und nun jetzt dieses Vergreifen, diese Mißachtung, mindestens Gleichgültigkeit in den Tempi bei den Vorführungen der Hauptwerke; diese oft grade zu wahnwitzigen Streichungen, zuweilen von einem einzigen Tact ohne jeglichen Grund – – – von der Mißhandlung der Claviercompositionen durch die Virtuosen besonders der Neuzeit u. der Verstoßung seiner Lieder durch die Conzertsänger gar nicht zu reden! –
Das Alles, kurz die Werke selbst, wie sie jetzt behandelt werden und wie sie einst behandelt wurden – das Alles müßten Sie einmal so als Ausfüllung eines Theils Ihrer Ferien durch meine Finger u. meinen Mund entgegennehmen u. zu Ihren Erfahrungen legen – da würden Sie doch manches Neue erleben. Es stiege wohl eine noch größere Gestalt als die, die in Ihnen von Ihm lebt, aus den Nebeln hervor, mit welchen falsches Streben nach bloßen Neuerungen, pikanten Reizmitteln, Anläufe, die nur blinder Eigensinn oder Größenwahn dictiren können, diese Gestalt mehr oder weniger verhüllt haben; eine Gestalt würde es sein, viel mächtiger und höher, als Sie, bei aller Achtung vor ihm, geahnt hatten; besonders aber, wenn es noch möglich wäre, daß Sie Freischütz u. Oberon, vor Allem aber Euryanthe, wie sonst aufgeführt erleben könnten. Haben Sie doch nicht einmal die wunderbare Instrumentirung der 3 Opern von einem großen Orchester ausgeführt gehört! – – – – – – –
Aber wieder auf mich selbst zurück zu kommen – mir sollte es nicht sauer werden, Ihnen jenes 8tägige Privatissimum zu lesen, wenn ich auch nicht mehr die Stimme habe, mit der ich alle Opernparthieen u. sonstigen Gesänge u. Lieder Weber’s hinstellen konnte, worüber noch Viele Zeugniß ablegen könnten – Doch hier komme ich zum 2ten Male in die Dornbüsche des Selbstlobes – u. so schweige ich lieber u. mache dem Herrn meine Reverenz.
Punktum!
So weit der Wortlaut des Anfanges meines neulichen Briefes, der nun doch mal für Sie
bestimmt war […]
Vale für heut von
Ihrem F. W. Jähns.
Editorial
Summary
es geht nochmals um den Jungfernkranz, zu dem M. offensichtlich anderer Meinung ist, dann wiederholt er den Anfang seines verworfenen Briefes an ihn und gibt darin ein sehr lebendiges Bild von Weber und dessen künstlerischer Persönlichkeit, wie sie sich ihm darstellte bei den Aufführungen Freischütz (1821) und Euryanthe (1825). Würde ihm gerne bei einem längeren Aufenthalt M's bei ihm Weber noch näher bringen. Kündigt ihm an, alle seine Körner-Autographe zur Ansicht zu schicken
Incipit
“Denn – ein Zeichen des Apostels ist der Muth”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit