Über das Sujet des Oberon als Grundlage für ein Operntextbuch (Teil 1 von 3)
Ueber Weber’s Oberon.
Ich lege Wieland’s Oberon* aus der Hand, zolle dem Dichter der Grazien meinen Dank für sein unsterbliches Gedicht voll hellenischer Anmuth und theile über Weber’s Oberon mit, was ich eben empfinde. Oberon, als Opernstoff, ist zugleich gut und schlimm zu nennen. Gut, gilt es ein Schaustück zu schaffen; denn wo lassen sich reichere Aufzüge, Tänze, Decorationen denken, als unter Oberon’s Zauberstabe? Schlimm, soll daraus ein eigentlich dramatisches, im Einzelnen und Ganzen gehörig ausgeführtes und gerundetes Kunstwerk gebildet werden. Die Schwierigkeiten sind diese: Der Stoff, dem epischen Gedichte entlehnt, hat epische Breite. Selbst wenn man die ganze Vorfabel mit Karl dem Großen in eine Erzählung legt, ist doch Hüon’s Abenteuer zu Bagdad so inhaltreich, daß hierzu, wenn sich dabei die Charaktere und Ereignisse gehörig entwickeln sollen, schon zwei Drittheile der Operndichtung angewandt werden müßten. Gleichwohl ist Rezia’s Entführung, nach Wieland’s Oberon, ¦ erst der Anfang der ganzen Begebenheit. Von dieser Stelle an beginnt erst das eigentlich Interessante, die Seele des Gemäldes in Schilderung der jahrelangen Prüfungen, in welchen die Liebe des treuen Paares sich bewährt und durch felsenfeste Ausdauer Rezia’s übereilt scheinendes Hingeben an den fremden Ritter rechtfertigt, heiligt. Wie sollen aber alle diese Prüfungen sich gehörig entwickeln, wenn für sie, nach der obigen Voraussetzung, nur der dritte Act der Oper bestimmt werden könnte? Hierzu kommt der große Wechsel der Scene. Die Handlung geht zu Bagdad, auf der wüsten Insel, zu Tunis und zu Paris vor sich; dadurch wird bedingt, daß noch gegen den Schluß des Stücks hin fremde Personen, die nicht von vorn herein mit in die Dichtung verflochten sind, antreten, z. B. Almansor und Almansaris. Das geht im Epos, weniger in einer dramatischen Dichtung. Man könnte sagen, Almansor und Almansaris sind Nebenpersonen. Will ich auch dies zugeben, obschon sie mächtig in die Haupthandlung eingreifen, so bietet der Stoff zum Oberon immer noch eine Ueberfülle von Hauptperso|nen. Alle kann der Operndichter nicht gebrauchen, und doch rächt es sich an der Handlung selbst, läßt er eine davon weg, weil sie alle in das Gemälde gehören. Die Versöhnung Oberon’s und Titania’s krönt das Ganze. Es ist eine poetisch schöne Idee, daß reine Liebe der Menschen selbst die getrennten Götter eint. Titania, die in Weber’s Oberon nicht spielt, gehört in das Stück. Ohne eine einzige Begleiterin kann Rezia doch auch nicht füglich mit dem fremden Manne entfliehen. So werden drei Soprane nöthig – zuviel für eine Oper. Darum ließ auch Planché die Titania ganz weg. Meinem Gefühle nach wäre es besser gewesen, die Fatime zu opfern, die zur Handlung nicht beiträgt, und an ihrer Stelle Titania, die Geisterkönigin, walten zu lassen. Eine gar nicht uninteressante Person ist, wenn er nur recht aufgefaßt wird, Babekan in dramatischer wie in musikalischer Hinsicht. In musikalischer, weil er einen herrlichen Gegensatz bilden könnte zu Hüon, dem Christenritter; in dramatischer Hinsicht, weil sich in Babekan’s wild-asiatischem Charakter eine Entschuldigung mehr finden ließe zu Rezia’s Flucht. Allein, soll Oberon, Hüon, Scherasmin, Rezia und Fatime eingeführt werden, so ist wiederum wohl im Epos, aber nicht im Drama, geschweige denn in einer Oper, Platz für Babekan. Er muß also nur beiläufig eingeführt werden – um sich todstechen zu lassen. Zu den vielen Schwierigkeiten der Behandlung des Oberon in dramatischer Form kommt nun noch, daß, bei dem vorherrschenden Einflusse des Elfenkönigs, Hüon und Scherasmin leicht, eigner Thatkraft entbehrend, als dienende Werkzeuge der Geister erscheinen und somit persönlich an Interesse verlieren. Es ist nicht schwer, ein Abenteuer zu bestehen, wenn man, um durch alle Feinde unversehrt zu gehen, nur in ein Horn zu blasen braucht. Das Drama verträgt solche Helden nicht, fordert von ihnen eigene Thatkraft. Wieland hatte in seinem Gedichte Raum, sich zu helfen. Er läßt seinen Hüon, noch ehe dieser nach Bagdad kommt, viele Kämpfe ohne Oberon bestehen. Wir sehen, es fehlt dem treuen Christenritter nicht an Muth, und gönnen dem Erprobten bei seinem letzten Abendeuer willig Oberon’s Horn. In der Oper aber ist nicht Raum für solche Vorbereitungen. So beginnen denn Hüon’s Heldenthaten mit seinem Bewußtseyn, das hülfreiche Horn bei sich zu führen. Noch im Saale des Kalifen läßt Wieland Hüon sich mit den Türken herumschlagen, ehe dieser in der höchsten Noth das Wunderhorn gebraucht. So selbstkräftig tritt in Weber’s Oberon Hüon nicht auf und konnte es wohl auch nicht, da langes Gefecht zu dem mißlichen Theaterspectakel ge¦hört. Die Blüthe von Wieland’s Gedicht, die Seele des ganzen Gemäldes, Hüon’s und Amandens treue Liebe unter allen Schrecknissen des Eilandes, der 8te und 9te Gesang, konnte wegen Stillstandes der äußeren Handlung in der dramatischen Behandlung auch nicht aufgenommen werden. Somit habe ich denn wohl ausgeführt, warum Oberon als Opernstoff zugleich ein guter und ein schlimmer zu nennen sey, und Mancher, der diese Bemerkungen ruhig liest, wundert sich vielleicht, daß Weber, nach Planché’s eigner Vorrede, diesen Gegenstand wählte. Eine allgemeine Bemerkung genügt hier wohl. Weber war unter den deutschen Componisten ohne Zweifel einer der wenigen mit ästhetischer Bildung und deutscher Literatur Vertrauteren. Aber in der Seele eines Musikers sind die rein musicalischen Rücksichten doch immer die vorherrschenden. Weber mochte sich von den Elfenchören viel versprechen, und diese Hoffnungen, die er auch herrlich erfüllte, bestimmten ihn wohl, ein Auge über die andern Schwierigkeiten zuzudrücken, welche sich der dramatisch-künstlerischen Behandlung des Stoffs entgegenstellten. Sie wurden noch durch die Verhältnisse in London selbst vergrößert. Ich weiß nicht, ob Planché’s bescheidene Aeußerung in der Vorrede:
den höhern Anforderungen entspricht, die man jetzt an Operndichtungen macht. Sein Wunsch: „nicht Rose zu seyn, nur neben ihr zu weilen,“ scheint mehr galant als kunstverständig. Ferner mußte die Composition nach den nicht überreichen Kräften der dortigen Bühne eingerichtet werden. Oberon, das ätherische Wesen, dessen Milde und Lieblichkeit einzig und allein durch einen Sopran oder Alt dargestellt werden konnte, mußte für den, schon in den Baß hinüberklingenden, Bariton gesetzt werden. Erwägt man diese vielfachen Uebelstände und die dadurch vergrößerte Schwierigkeit der Aufgabe, so muß man bekennen, daß Weber an vielen Stellen Bewundernswerthes geleistet habe. Eintrag haben aber jene Umstände dem Kunstwerthe des Ganzen allerdings gethan, und ich muß offen bekennen, daß mir mehrere Kritiker über Oberon nicht zugesagt haben, weil sie, bei aller anscheinenden Gründlichkeit, die Sache doch nicht erschöpften. (D. F. f.)
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Schreiter, Solveig
Tradition
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Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 28, Nr. 85 (1. Mai 1828), col. 673–676
Commentary
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“… Ich lege Wieland's Oberon”Christoph Martin Wielands Epos Oberon. Ein romantisches Heldengedicht, erstmals erschienen 1780 in vierzehn Gesängen im ersten Vierteljahresheft des Teutschen Merkur; im gleichen Jahr erschien auch eine Einzelausgabe: Oberon, ein Gedicht in 14 Gesängen, Frankfurt und Leipzig 1780; 2. Fassung 1785 in zwölf Gesängen: Die Sieben ersten Gesänge des Oberon sowie Die Fünf Lezten Gesänge des Oberon (Wielands auserlesene Gedichte, Bd. 3 und 4), Leipzig 1785.