## Title: Aufführungsbesprechung Mannheim: “Phädra” nach Jean Racine von Friedrich Schiller am 27. Dezember 1810 ## Author: Dusch, Alexander von ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030555 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Hof- und National-Theater in Mannheim.Den 27. Dez.: Phädra, Trauerspiel in 5 Aufzügen, nach Racine von Schiller.Indem einer unserer größten Dichter eine fast wörtlich treue Uebertragung dieses gallischen Produkts ins Deutsche lieferte, legte er einen neuen Beweis ab, wie geneigt der Deutsche ist, fremdem Talente zu huldigen; und das Gute wo er es auch findet, herauszuheben. – Schwerlich steht den Deutschen eine gleiche Anerkennung von Seiten der Franzosen zu gewarten, und ich zweifle sehr, daß auch nur ein mittelmäßiger Versmacher aus ihrer Mitte, welcher Sylben zählt und reimt, sich je dazu verstände, ein deutsches Meisterstück treu in seiner Sprache wiederzugeben. – Ich rede nur von dem Willen nicht von der Kraft. – Indessen ist nicht zu läugnen, daß in neuerer Zeit Schillers „Räuber, und, Wallenstein“, auf mehrern Boulevard-Theatern in Paris mit Erfolg aufgeführt wurden, und Kotzebue's „Menschenhaß und Reue“ selbst auf bedeutendern Theatern Glück machte. Von jeher sah die französische Nation ihre Bühne als eine verbesserte verfeinerte Auflage der alten griechischen an, wiewohl sie doch nichts ähnliches mit ihr aufzuweisen hat, als, zum Theil die nachgeahmte Form ihrer Tragödie und eine Analogie der Zahl ihrer tragischen Dichter Corneille, Racine, und Voltaire, mit den aus den Trümmern der Zeit geretteten Aeschylus, Sophocles und Euripides. – Und wie wäre es denn möglich, daß eine reiche poetische Blüthe sich unter jenem kalten Regelzwang, den die französischen Ephoren der dramatischen Kunst mit so viel Despotism handhaben, in ihrem ganzen Umfange entfalten könnte, wie sollte die Kunst, die keine Regel kennt als sich selbst, da einen Hochstamm treiben, wo man sie wie eine ausländische Pflanze in einen engbrüstigen Kasten sperrt. – Die französischen Kunstrichter rotten zwar sorgfältig jedes Unkraut in ihrem mit Buchs umzäunten Kunstgarten aus, aber man hört in ihren Alleen auch keine Nachtigall schlagen. – Man muß jedoch, um nicht ungerecht zu seyn, gestehen, daß die Franzosen in der dramatischen Poesie – von der rein lyrischen kann ohnehin nicht die Rede seyn – viel, ja bei ihren zu überwindenden Hindernissen zum Erstaunen viel, geleistet haben, und die vorliegende Tragödie gibt einen Beweis davon. Bei allen ihren bedeutenden Fehlern kann sie noch ein treffliches Werk genannt werden, besonders, wenn man vermeidet sie mit ihrem griechischen Urbilde von Euripides in Vergleichung zu setzen. Den himmelweiten Abstand beider Tragödien hat uns A. W. Schlegel in seiner vortrefflichen Schrift hierüber klar vor Augen gelegt, und die französischen Kritiker werden sich noch lange nicht von ihrem Erstaunen erholen können, daß ein Germanier ihnen einen Handschuh zuwarf, den sie aufzuheben keine Kraft fühlen. Racine hat mit zarter Hand alle Schönheiten der griechischen Tragödie Hypolyt in seine Phädra übertragen, und in der Ausführung seiner Einzelnheiten ließe das Stück schwerlich etwas zu wünschen übrig; aber von einem falschen Prinzip geleitet, hat er die Größe und herrliche Kraft jener zur feinen Galanterie herabgezogen und geschwächt – Phädra erscheint in seiner Tragödie als Haupt-Charakter; ihre unglückliche Leidenschaft soll Mitleid erregen; dies bezweckt Racine seinen eigene Worten nach; allein die Art seiner Darstellung selbst zerstört zum Theil dieses Mitleid. Leidenschaft kann allerdings als Gegenstand eine dramatischen Interesse[s] betrachtet werden, nur muß sie selbst in ihrer größten Raserei noch den Stempel des Großen und Edeln an sich tragen, wodurch sie sich von der gemeinen unterscheidet; ihr muß Stärke zur Seite stehen; ich meine damit nicht die Kraft die Leidenschaft zu bändigen, denn, das würde allem Interesse und der ganzen Tragödie bald ein Ende machen, sondern jene höhere Stärke, die sich im Unterliegen gerade am herrlichsten zeigt, und die Würde der Menschheit im Kampfe gegen das Schicksal, (welches hier die unselige Leidenschaft ist) ausspricht. Auf diese Weise fühlt sich der Zuschauer durch die Leiden des Helden, dem er immerhin eine Thräne des Mitleids zollen mag, emporgehoben, und jenes Mitleid löst sich bald auf in Bewunderung und in das erhabne, tief im Hintergrund der Brust ruhende Gefühl des Menschen, daß er über die Schranken der Sinnenwelt hinaus an die Unendlichkeit reiche; wer dieses Gefühl nicht in Anspruch nimmt, der ist noch nicht in das Heiligthum der tragischen Kunst gedrungen, denn alle andere[n] Gefühle, z. B. Schrecken und Mitleid, deren Erregung man durch eine tragische Darstellung bezwecken will, sind ihrer Natur nach unbefriedigend, und peinigend. – Daher kommt es, daß oft die gräßlichsten Trauerspiele am wenigsten eigentlich tragisch genannt werden können, weil sie blos aufeinander gehäufte Schreckens-Begebenheiten enthalten, anstatt die Kraft der Menschheit zu zeigen, wie sie sich an dem Widerstande selbst entwickelt, und dem Schicksale trotzt; „Ist es denn so? Ich biet euch Trotz, ihr Sterne“, ruft Romeo aus, als er den Tod seiner Julie erfährt, und trefflicher konnte er seine Größe nicht bezeichnen, als mit diesen einfachen Worten. Racine's Phädra hat diese Größe nicht. Aufgejagt durch eine schreckliche Leidenschaft treibt sie sich fünf Akte lang mit einer kläglichen Schwäche herum, und spricht fünf Akte durch vom Sterben, ehe sie wirklich stirbt; freilich mußte Racine sie länger leben lassen, sobald er aus ihr die Heldin des Stückes macht; aber warum that er auch das? warum machte er aus dem Hippolyt der Griechischen den zweiten Charakter seiner Tragödie? Wie schön und wie ganz anders Interesse erregend erscheint dieser Charakter beim Euripides, welcher die Phädra mit ihrer empörenden Leidenschaft gleichsam nur als das Schicksal eingreifen läßt, welches die End-Katastrophe herbeiführt. (Siehe A. W. Schlegel Vergleichung beider Tragödieen.) Ewig zwischen Hoffnung und Furcht schwankend erscheint Phädra in Racine's Tragödie, und in der Botschaft von Theseus Tode erblickt sie einen tröstenden Schimmer für die Befriedigung ihrer Liebe, welche doch gleich verbrecherisch war, Theseus mochte leben oder nicht; der Weiblichkeit unwürdig erklärt sie jetzt Hippolyt ihre Liebe, und alle in dieser Szene angewandte Feinheit des Dichters kann ihn von diesem Vorwurf nicht befreien; die Verirrungen der Leidenschaft hat er wohl in ihrem ganzen Umfange trefflich dargestellt, aber nicht alles, was die Leidenschaft eingiebt, ist der tragischen Bühne würdig, deren Gebiet auf den Höhen der Menschheit ist. Endlich findet sich in dem Charakter der Phädra bei aller Leidenschaft eine Besonnenheit, ein planmäßiges Intriguiren, welches das Interesse an ihrem Unglück sehr verringert, und ihre Leidenschaft selber kälter erscheinen macht. Wenig erschütternd ist ihr lang erwarteter Tod im fünften Akte. Hippolyts Ereifern gegen Phädras frevelhafte Liebe zeigt | sich bei weitem nicht mehr so rein sittlich durch die ihm von Racine beigelegte Leidenschaft gegen Aricie, welche den Stoff zu einer ganz neuen Tragödie enthält, und im Hintergrunde dieses Stückes nicht nur äusserst matt und überflüssig erscheint, sondern sogar mehr schadet als nützt. Von Theseus Liebeshändeln und Flatterhaftigkeit wird unnöthiger Weise vieles im Anfange des Stücks bis zu seiner Ankunft gesprochen, und wir erstaunen bei seiner Rückkehr einen ganz andern Mann an ihm zu finden, dem die Verhältnisse seines Hauses so sehr am Herzen liegen. – Ohne mich länger aufzuhalten, da ohnehin derjenige der eine ausführliche Kritik dieser Tragöden lesen will, in der oben angeführten Schrift von August Wilh. Schlegel die vollständigste Befriedigung findet, bemerke ich nur noch einiges über die Darstellung dieser Tragödie auf der hiesigen Bühne. Die ganze Aufführung wurde durch Herrn Eßlairs wirklich großes tragisches Spiel gehoben: seine Kraft, seine imponirende Gestalt, seine vortreffliche Deklamation machen ihn ganz geeignet zur Darstellung großer Charaktere der Vorzeit; sein kolossales Wesen paßt weniger für die Charakterchen neuerer Zeit. Mad. Eßlair gab die Phädra schleppend und ohne Kraft; bei Herrn Mayer als Hippolyt hätte ich mehr edeln Anstand gewünscht, sowohl in seinem Aeussern als in der Deklamation; die erste Szene mit der Aricie gelang ihm sehr, und sein Spiel war überhaupt voll Feuer. Mlle. Demmer zeigte in der Aricie, wie schon in mehreren frühern Rollen, die rühmlichsten Fortschritte besonders in der Deklamation, und wenn sie der Beifall des Publikums weniger verblendet als aufmuntert, so dürfen wir viel von ihr erwarten; sie fiel übrigens mehrmal[s] in den schon gerügten Fehler, ihre Worte zu singend vorzutragen. Herr Heck befriedigte als Theramenev nicht ganz, und in der Erzählung vom Tode Hippolyts schien er zu fühlen, daß diese rhetorisch-herrliche Schilderung doch in dramatischer Hinsicht wenig für einen Freund Hippolyts passe; er trug sie nicht mit dem Feuer der Beredsamkeit vor, wie sie geschrieben ist, sondern äusserte mehr den Schmerz über den Verlust seines Freundes, freilich auf Kosten der Deklamation. Mad. Nicola, eine so ausgezeichnete Schauspielerin für das komische Fach, taugt desto weniger für das tragische; indessen war sie als Oenone noch am meisten an ihrem Platz, nur verstand ich wenig von dem, was sie sagte, ein Fehler welcher im Lustspiel bei ihr weniger bemerklich wird.