Carl Maria von Weber’s Euryanthe. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper, von Helmina v. Chezy, geb. Freiin Klencke, 1840, Teil 6/9
Carl Maria von Weber’s Euryanthe.
(Fortsetzung.)
Euryanthe, diese herzigste Blume aus dem poetischen Garten der alten Romantik wurde nun mein Glück, mein einziger Gedanke in Wachen und Träumen, klang mir im Innern wie Musik zu, ich hörte sie, indeß ich sie schrieb, in Tönen, deren Fülle und Zauber noch immer in mir lebt. Es geht mir immer so wenn ich dichte. So oft ich etwas fertig hatte, eilte ich damit zum theuern Meister, um mich an seiner Freude frisch zur Arbeit zu beleben. Frau v. Weber war meist bei diesen, für mich zugleich so lehrreichen Unterhaltungen gegenwärtig; oft gab sie ihre kühle, verständige, praktische Ansicht dazu, und regnete damit in die Poesie hinein, die sich bei Componist und Dichter oft zu hoch in das Blaue verstieg. Weber sagte dann wohl:
„Was meint die Gallerie?“ Er fand zuletzt aber oft, daß seine Caroline Recht hatte. Dies war zumal der Fall wegen der Erscheinung Emma’s, die Weber gern in das Stück gebracht hätte, um die eingeflochtene Geistergeschichte scenisch zu versinnlichen. Dieser Gedanke war in ihm aufgestiegen, und er war leidenschaftlich dafür eingenommen, und hatte mich auch durchaus dafür gewonnen. Während der von Schauer und Wehmuth durchbebten Stelle in der Ouvertüre, die Emma’s Lied‡ verkündet, sollte der Vorhang auffliegen, und hinter einem Flor die Scene vorgehen, welche das Recitativ schildert, Emma, die sich an Udo’s Sarge mit dem Giftring tödtet. Frau v. Weber machte dagegen alle Einwendungen, die sich machen lassen, wenn man das Publicum in Masse nimmt; Weber war zuletzt ihrer Meinung; ich verfiel nun auf den Gedanken, Emma’s Geist sollte, ungesehen von Euryanthen, sie umschweben, indeß ¦ sie das Recitativ: „Am letzten Mai in banger Trennung Stunde“ spricht. Weber ging darauf nicht ein, und meinte: während Euryanthe als Leiche herbeigetragen wird — dann später, am Schluß des Stücks, während Adolar singt: „Ich ahne Emma“ — dies war, wie ich glaube, noch das Beste, indeß unterblieb zuletzt Alles. Es ist viel über Unklarheit des Textes in den Blättern gefaselt worden, der Text und die Handlung sind verständlich zur Genüge, und können nur dann unklar werden, wenn die Instrumente die Stimmen beim Vortrag des Recitativs bedecken, dies geschah selbst, wenn Weber dirigirte, dies ist die gefährlichste Klippe dieser Tondichtung, wenn sie ausgeführt wird. Der hiesige königl. Capellmeister Lachner hat sie bei der neuen Vorstellung der Euryanthe, die vorigen Sommer unter seiner Leitung in München ganz musterhaft Statt fand, glücklich umgangen.
So oft wieder neue Nachrichten vom Gelingen des Freischütz einliefen, fand ich Weber mehr bestürzt darüber, als erfreut. Warum? fragt’ ich ihn. „Ja, das Alles zu überbieten, ist nun die Aufgabe, Freundin! das ist mir schrecklich!“ Vergebens sagte ich ihm dann, er solle sich getrost seinem Genius anheim geben, und alles über seine Arbeit vergessen.
„O, die Wehen“, rief er wohl einmal aus, „die Wehen! Niemand ahnt, wie sich die Lebenskraft darin verzehrt, Niemand weiß es uns Dank!“
„Man soll in der Musik nie fragen“, sagte er einmal, als er eine Frage aus meinem Entwurf hinausstrich. Er vergaß, wie wunderherrlich naiv und treffend Mozart fragt, und wie er selbst so erschütternd Adolar’s: „Hast du mich verrathen? — brachst du deinen Eid?“ bezeichnet.
Auch Reflexionen wollte er im Text nicht gestatten; „die Musik dulde sie nicht; sie kühlen ab“, sagte er. |
Einigemal wurde er empfindlich. Ich hatte es nicht gleich weg, daß er der Euryanthe in der Musik eine durchaus ideale Haltung zu geben beabsichtigte, und daß sie hoch über dem Freischütz in einer hellen, leuchtenden Atmosphäre schweben sollte. Ich wollte sie volksthümlich gestalten, und erinnerte ihn daran, daß der Freischütz eben durch Volksthümlichkeit so ergreifend sei. Nun verstand Weber, ich meinte, er könne sich nicht dahin erheben, wohin er strebe, und müsse in jener Sphäre bleiben, er war darüber höchst bestürzt, und verließ mich im aufgeregtesten Zustande. Ich schrieb ihm sogleich, und muß ihn überzeugt haben, denn ich erhielt einige Zeilen voll Herzlichkeit und Beruhigung. Auch dies mir so theure Blättchen ist mir vor zwei Jahren weggekommen; es war mit an jenes Manuscript geheftet, das mir einige Zeit darauf auch abhanden kam.
Am Neujahrsabend des Jahres 1822 war die erste Version der Euryanthe vollendet, und nun ging auch für mich die Arbeit erst recht an, da mit Ausnahme der Introduction Alles und Alles wieder umgestürzt werden mußte.
Als wir endlich einmal bei einem Plane stehen geblieben waren, erbot sich Weber selbst die Abschrift zu machen, er wies mir die Introduction mit der ganzen Instrumentation auf eine einzige Folioseite notirt. „Ich muß recht viel mit Einem Blick übersehen können, ich schreibe mir die ganze Dichtung, wo möglich, auf einem Bogen!“ Ich ließ mir’s gleichwohl nicht nehmen, dem Meister auf Velin groß Ottav mit fein zugespitzten Schwanenkielen die zierlichste Abschrift zu machen, die er dann nach Wien nahm, wo er den Freischütz zu dirigiren hatte, und meine Dichtung der Censur einreichen mußte. Allbekannt ist’s, mit welchem Erfolg der Freischütz dort gegeben wurde. Nicht minder als in Berlin war in Wien der Enthusiasmus für C. M. v. Weber in Flammen aufgelodert. Er dirigirte den Freischütz, wenn ich mich recht erinnere, fünf Mal bei übervollem Hause. In Dresden, wo diese Oper nur eben erst am 26sten Januar 1822 zum Erstenmal über die Bühne ging, war F. Kind, wie es den Dichtern bei Opern zu gehen pflegt, nicht zu Rath gezogen worden, und Weber mag sich auf den Geschmack der Sängerinnen verlassen haben; genug, Dlle. Funk und Mad. Hase waren gekleidet wie Hoffräuleins, und nicht wie böhmische Jägerstöchter. F. Kind schrieb in der Abendzeitung darüber, ich weiß nicht, ob seine Bemerkungen beachtet worden, doch die unvergleichliche Minna Schröder-Devrient erschien als Jägerbraut weiß und grün gekleidet, wie der Dichter gewollt. Auch die liebliche Henriette Sonntag war nach dieser Angabe costumirt, und mehre Winke des Dichters waren bei den Vorstellungen in Wien berücksichtig worden.
Weber schrieb oft von Wien aus, stets heiter ange¦regt von den dort empfangenen Eindrücken, es ging ihm dort so gut, wie jedem willkommenen Fremdling. Wien ist die gastlichste, gemüthlichste große Stadt, die, wo am leichtesten störende Eindrücke zerfließen, und wo die rege Heiterkeit des Volkes in ihrer Treuherzigkeit jeden andern besiegt, und, eigentlich ganz unbewußt, durchaus wohlthuend auf den Ankömmling wirkt.
Der Wiener hat natürlich Verstand, Frischheit und Güte des Herzens, reine und lebhafte Genussesfähigkeit, er ist anmaßungslos und bildsam. Die südliche Grazie ist dem Volk eigen, sie entspringt hauptsächlich aus seiner eigenthümlichen Gutmüthigkeit. Weber gefiel sich dort unendlich. Ich war an dem Abend, wo er wieder nach Dresden kam, bei seiner Frau zum Besuch, um mich nach ihm zu erkundigen, wir hörten einen Wagen anhalten, und eilten beide hinunter, dem Ankömmling entgegen; eben stieg er aus, schluchzend hing sie an seinem Halse, so gut das vor all den Kränzen, Bändern und Sträußen möglich war, die er in beiden Armen hielt. Er gab sie uns, und holte noch die übrigen aus dem Wagen, er beäugelte jeden wie eine Geliebte, und empfahl die größte Sorgfalt dafür. Heiter und gesund war er zurückgekehrt. Die Dichtung war glücklich durch die Censur. Ich äußerte nach Allem was Weber von Wien erzählte, ich möchte selbst einmal hin. „Sie?“ rief er aus, „Sie ärgerten sich dort zu Tode!“ Nun? Warum? „Warum? Ueber die Censur! die ist ominös! Ja, glauben Sie mir, Sie dürften da sein und in die Zeitung setzen wollen, Sie wollten drei Truthähne kaufen, so striche Ihnen die Censur zwei, und sagte: Was will die Frau mit drei Truthähnen in ihrer kleinen Haushaltung?“
In diesem Scherz bezeichnete Weber, mehr und besser vielleicht, als er es selbst wußte, das eigenste Wesen der Wiener Censur, ich habe mich später davon überzeugt, in diesem Sinne spricht sie aus lauter Menschenliebe!
Editorial
Summary
Helmina von Chezy über die Entstehung der Euryanthe, Teil 6/9
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Charlene Jakob
Tradition
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Text Source: Neue Zeitschrift für Musik, vol. 13, Jg. 7, Nr. 6 (18. Juli 1840), pp. 21–22