Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, Mittwoch, 6. Dezember 1843

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Meine lieben Kinder!

Wenn ich eine so lange Zeit vergehen lies ohne dass Ihr ein Lebenszeichen von mir erhieltet so ist es desswegen nicht ausgemacht dass ich in dieser langen Zeit nicht an Euch schrieb, aber sonderbarer weise musste ich immer, wenn ich den Brief noch einmal las, ihn wieder zerreissen weil ich mit mir und meiner Schreiberey unzufrieden war. So gab ich es denn endlich auf. Eine bessere, und ruhigere Zeit, und Stimung erwartend; weil ich nur zu gut weiss dass ein geschriebenes Wort ein ander Gesicht hat als ein gesprochenes, wo Ton, und Ausdruk, so vieles mildern und gut machen kann. Ich werde auch nun nächstens anfangen bey Alex Unterricht im Zeichnen zu nehmen, um, wo möglich, bey kritischen Stellen in meinem Brief, mein liebenswürdigstes Konterfey mit lächelnder Miene hinzu malen zu können. Zu diesem Brief z. b. könnte ich nun zwar kein heiteres, aber ganz ruhiges hinzufügen, so Eins, was man macht; wenn man sagt „na, die Sache ist nun einmal ni[c]ht zu änderen und man muss es hinnehmen[]. Damit Ihr aber auch wisst, was die Mutter eigendlich diese ganze Zeit verstimmt und betrübt hat, muss ich schon die dumme Geschichte erzählen, obgleich ich, da ich an meinem Unglück selber Schuld bin, lieber ganz davon schweigen sollte. Die arme Mutter ist nehmlich, auf ganz sonderbare Weise bestohlen worden. Schon in diesem Frühjahr wo mir ein Kapital ausgezahlt wurde, legte ich das Geld für Max’ens Reise, in eine Schublade meines Schreibtisches damit, wenn wir es brauchten nicht erst ein Kapital brauchte gekündigt zu werden. Es bestant in 300 Thaler Sächs Kassenanweisungen. Als ich ins Lämchen* zog gab ich alle meine Papiere einem Freund in sichere Verwahrung, und war in der Meinung ich hätte das Geld auch mit in das Paquet, welches ich natürlich vielfältig versiegelte, gethan. Ich hatte kurz vorher ehe ich auszog ein Dienstmädchen aus Leipzig angenomen welche ich jedoch, ihre Unbrauchbarkeit wegen nach 2 Monaten wieder entlassen musste, grade in der Zeit wo ich nach dem Lämchen zog. In der festen Uiberzeugung das Geld mit verpakt zu haben fiel mir es nicht auf es am bewussten Ort nicht zu finden als ich in September ins Logis zurück zog, und weil meine Papiere in so guten Händen waren seumte ich noch lange mir sie wiedergeben zu lassen. Als dies nun endlich der Fall war, ward ich vom Donner gerührt die Kassenanweisungen nicht darin zu finden, und alles Suchen darnach war ganz vergebens. – Erst später erfuhr ich, dass das fortgeschikte Dienstmädchen irgend Jemand einen 50 Thalerschein zum Verkauf angeboten habe, und gleich darauf Dresden verlassen musste weil sie keinen Dienst hier fand, oder finden wollte. Da die Person in meinem Dienst so arm war dass ich ihr sogar das Porto für einen Brief vorschiessen musste, so ist es höchst wahrscheinlich dass sie einen Augenblick, wo ich villeicht die Schlüssel am Schrank hatte steken lassen und zu Ehrhardt’s hinauf gegangen war, an dem letzten Tage ihrer Dienstzeit benutzt hatte das Geld zu entwenden und dann Gott weiss wohin fort zu gehen. Bis jetzt ist ihr Aufenthalt wenigstens nicht zu ermitteln gewesen und wäre er es, was würde es helfen da ich keinen Beweiss gegen sie habe, und sie auch gewiss das Geld längst verthan oder verborgen hat – Das Schlimmste ist, dass ich den Verlust erst beynah drey virteljahr nachher inne wurde, sonst hätte man wohl mit Erfolg die Person verhaften lassen können. Nun könnt Ihr Euch aber wohl denken dass mir der Verlust grade jetzt, wo Max das Geld bald brauchen wird gar nicht gleichgültig ist, und es mir manche bittere Stunde machte bis ich in so weit wieder ruhig wurde, dass ich mich in das Unvermeidliche fügen lernte. Für die Zukunft habe ich Vorsicht gelernt, und bin nun eben daran Sparsamkeit zu lernen um einen Theil der Lücke wieder auszufüllen. Ich habe auch hier, ausser dem Advokaten und Polizei Secraiter keinen Menschen etwas von dem Verlust gesagt, denn man wird nur ausgelacht, und die Weisheit sagt, „ja warum hat sie den Schlüssel steken lassen!![] — — —

Euch meine Kinder erzähle ich die fatale Geschichte damit es Euch nicht wundert wenn meine Briefe villeicht nicht grade heiter sind, und weil ich überhaupt vor Euch kein Geheimniss habe. Lasst es Euch aber ja eine Warnung sein vor den Leuten kein Geld zu zeigen, und vor allen den Platz nicht wo Ihr es bewahrt. Doch nun Punktum von der garstigen Angelegenheit, und wohl schon viel zu viel. Aber mir thut es wohl einmal mit Jemand darüber zu sprechen da ich mir vorgenomen es hier mit Niemand zu thun, denn es könnte ein Verdacht auf eine Person fallen welche gewiss ganz unschuldig daran ist. Max schreibt mir jetzt Gott lob! ganz heitere Briefe, und es fängt an ihm in Cöln zu gefallen. Unser Weihnachten wird diesmal recht traurig und einfach ausfallen aus oberwähnten Gründen. Vor ein paar Monaten hatte ich mit Metz, welcher wahrscheinlich zu den Feyertagen seine Verwanten in Berlin besuchen wird, den Plan ausgehekt, ich, und Alex wir wollten auch mit, um Euch zu überraschen, aber all die Freude ist uns nun in den Brunn gefallen und wir werden still, ganz still zu hause sitzen. Alex wird gleich nach den Feyertagen nach Strauch gehen um dort das Bild der kleinen Rocho zu beenden*. Jetzt zeichent der die beyden Röckel* und malt fräulein Cäcilie Schmiedel*. Uiber die nun erwachte Idee, Weber ein Moument zu setzen, und seine Asche herüber zu holen, schreibe ich Euch nächstens auführlich wenn der Plan zur Ausführung ganz reif ist. An der Spitze des Comitee steht Wagner und Röckel, und ich glaube nun wird alles ganz anders gehen. Ich hatte Euch wohl schon geschrieben das die Londner Katholische Gemeinde sich erboten hat die Asche kostenfrey herüber zu schicken, auch die Uibergabe mit der gehörigen Feyerlichkeit zu veranstalten. Darauf hin nun wird auch in Deutschland die Sache mit mehr Eifer betrieben werden, und ich beklage nur den armen Max wenn ihn in London all die Aufregungen erwarten, die ganz unvermeidlich für ihn sein wird. Dass der Wilhelm wieder an den Fingern leidet ist wirklich recht betrübend und ängstlich. Den Sommer waren sie doch schon so gut und ich hoffte all das Uibel wäre gehoben. Aber gewiss ist es Gichtstoff welcher immer im Winter wieder auf’s neue rege wird. Ich kann mir wohl denken wie der schlimme Gast von Euch mit bösen Gesichtern angeschaut wird wenn er sein fatales Werk beginnt. Doch habt guten Muth! Wilhelm ist ja übrigens gesund, und noch so jung, gewiss wird das Uibel nicht von Dauer sein. Alex ist Gott lob! auch wieder ganz befreit von seinen fatalen Uibels Anfall. Er hat aber auch exemplarisch Diät gehalten und hält sie noch. Mit meinem Auge geht es auch nicht zum besten denn es Thränt fast immerwährend. Ich muss es daher recht schonen, und darf bey Licht nicht mehr lesen oder etwas feines arbeiten. So trägt denn ein jeder sein Kreuz, oder Kreuzchen und man muss die Ohren steif halten damit es niemand merkt. Ich bin nehmlich schon lange dahinter gekommen dass man ganz Unrecht hat seine Leiden Bekanten, oder sogenanten Freunden zu klagen. Es nützt wirklich zu nichts, denn wahre Theilnahme findet man selten, ach, wie selten, und um das Herz zu erleichtern kann ich, was mich quelt lieber mit Dem abmachen bey dem ich keine Worte dazu brauche. Es ist recht traurig dass man, je älter man wird, je unangenehmere Erfahrungen macht, und dass sich der Kreis der wahren Freunde mit jedem Jahr verengt. Doch, es ist ja schon genug wenn bey unsern Scheiden nur ein paar treue Augen um uns weinen, und darauf darf man ja wohl hoffen. Was machen Eure beiden hübschen Wildfänge? gedenken sie wohl noch an Tante Weber? gewiss freuen sie sich schon recht auf den Weihnachtsman welcher mit reichen Gaben bey ihnen einziehen wird. Ach ja, so lang Kinder und Aeltern vereinigt sind ist dieses Fest das Schönste was man denken kann, fehlt aber ein Glied aus der Kette, dann hört alle Freude auf. Ging mir’s doch jetzt an meinem Geburtstag so! — Die Freunde hatten alles aufgeboten mir Freude zu machen so dass ich ganz beschämt davon war, aber so sehr ich mich auch über die Beweise ihrer Liebe freute, es war doch ein recht wehmüthiges Gefühl darein gemischt weil mein guter Max mir überall fehlte. Ach wann wird die Zeit komen wo wir wieder alle vereint leben werden? wird sie je komen? und welch böse Zeit wird die noch für mich sein wo Max in England ist!!! Wie ich die interessanten Briefe Eures Schwagers aus Malaga las war mir’s immer als hätte sie Max an mich geschrieben und manche Thräne ist auf das Buch gefallen. Die armen Eltern was müssen sie fühlen wenn sie diese Briefe lesen! Ach Gott bewahre jeden Menschen für so ein Leid.

Doch nun meine Kinder auch genug für heute. Mein Auge nimt das viele Schreiben schon übel. Gott sey mit Euch allen! Bleibt gesund und froh, und gedenkt mit LiebeEurerMutter
Weber
Alex grüsst recht herzlich.

Editorial

Summary

berichtet ausführlich von einem ihr widerfahrenen Diebstahl von 300 Taler sächs. Kassenanweisungen, vermutlich durch ein inzwischen entlassenes Dienstmädchen; Bemühungen mit einem Rechtsanwalt blieben erfolglos, weil sie es erst sehr spät bemerkt und keine Beweise hat; Max gefällt es auf seiner neuen Arbeitsstelle in Köln, Alex zeichnet die beiden Röckel und Cäcilie Schmiedel; berichtet über das Komitee zur Überführung der sterblichen Überreste Webers, dem Röckel und Wagner vorstehen; ihren Augen geht es noch immer nicht gut

Incipit

Wenn ich eine so lange Zeit vergehen lies

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Shelf mark: Mscr. Dresd. App. 2097, 89

    Physical Description

    • masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 89 des Konvoluts)
    • 7 S.
    • am Kopf die Notiz: “Empfangen den 7. Dez. 43.”

    Commentary

    • “… Kassenanweisungen. Als ich ins Lämchen”Landgasthaus „Lämmchen“ im gleichnamigen Vorwerk der Dresdner Johannstadt; vgl. den Brief vom Januar 1842.
    • “… der kleinen Rocho zu beenden”Alexander von Weber porträtierte die Tochter des Herrn von Rochow in Strauch bei Großenhain; vgl. Max Jähns, Familiengemälde, S. 219. Das Rittergut Strauch gehörte ab 1834 Bernhard Freiherr von Rochow (1808–1889), seine erste Tochter (Klara) Helene Freiin von Rochow war am 8. August 1842 geboren.
    • “… zeichent der die beyden Röckel”Vermutlich August Röckel und seine Frau Caroline (Henriette Charlotte), geb. Lortzing (1809–1871).
    • “… und malt fräulein Cäcilie Schmiedel”Die Pianistin und Klavierlehrerin Cäcilie Schmiedel (gest. 1848) lebte seit ca. 1834 in Dresden; ca. 1846/47 heiratete sie Friedrich Karl Wilhelm Maximilian Eberwein (1814–1875).

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