Carl August Böttiger: Korrespondenzbericht aus Dresden

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Dresden, 28 Dec. 1826. Wenn sich unsere Residenz den Winter über nicht eben durch glänzende Reunionen, Feste, Bälle u. s. w. auszeichnet, auch nicht durch neuerbaute Kirchen, Kunsttempel, Nationaldenkmale, Ankäufe für Museen, außerordentliche Begünstigung schöner Kunstleistungen in den musikalischen und plastischen Schöpfungen, es mit Berlin, München, Wien aufnehmen darf; so ist doch der lebendige Ideenumsaz und geistige Verkehr nach dem beschränkten Verhältnisse des hiesigen Publikums in voller Thätigkeit, und Vieles gestaltet sich mehr im Stillen, was an andern Orten nur lauter hervortritt. Zwar hat unser Theater einen unersezlichen Verlust durch Maria von Webers frühen Tod erlitten, aber auf Polyhymniens Altären lodert darum noch manche reine, hellaufsteigende Opferflamme. Der Kapellmeister Morlacchi wirkt vielfach eingreifend in unsern musikalischen Unterhaltungen. Meyer-Beers mit Recht gepriesener Crociato wurde mehrmals nach einander mit einer Präzision und Vollendung, sowohl für den Gesang und das Orchester, als in der scenischen Ausschmükung dargestellt*, die selbst die eigensinnigste Kritik zum Schweigen bringen mußte. Und wo eine solche Aufgabe gut gelöst wird, da müssen seltne Kunstmittel mit tüchtiger Meisterschaft und Virtuosität gebraucht worden seyn. Auch mag sich wohl die hiesige italienische Oper, abgesehn von der Beschränkung des Raums, mit jeder des Auslandes jezt, wo das Sängerpersonal so herrliche Talente vereint, messen können. An dem Konzertmeister und Musikdirektor Reisiger aus Berlin hat auch das deutsche Opernpersonal einen sehr talentvollen, rastlos fortstrebenden Meister gewonnen, und so dürfen wir’s nicht beklagen, daß manche mit auswärtigen Kapellmeistern, z. B. mit Hummel in Weimar, angeknüpfte Unterhandlungen, nicht durch Schuld der hiesigen obersten Behörden, abgebrochen worden sind. Nur die Gesundheitsumstände der ersten Sängerin von der deutschen Oper war Ursache, daß uns das zweite Theater in Sachsen, das Leipziger, durch eine sehr gelungene Aufführung des Weberschen Oberon zuvorgekommen istT. Sie wird aber, wie man allgemein versichert, noch vor Ostern, und zwar das erstemal als Gedächtnißfeier unsers unvergeßlichen Webers und zum Benefiz seiner Familie, statt finden*. Und hier, wo dieser in seiner Art einzige, in himmlischen Tonweisen aufschwebende Schwanengesang des Meisters in den ersten Monaten des vorigen Winters sein Daseyn erhielt, und mit dem kenntnißreichen Dichter Winkler (Theodor Hell) zur deutschen Aufführung von Weber selbst schon vorbereitet wurde, dürfte manches nach der Idee des Meisters selbst am Besten ausgeführt werden. Auch das recitirende Schauspiel hat besonders im männlichen Personal mehrere ausgezeichnete Talente, die nur der gehörigen Richtung bedürfen, um mit jeder Bühne Deutschlands in die Schranken treten zu können. Es hat aber diese Gesellschaft das eigene Schiksal gehabt, bald durch Lob zu hoch gestellt, bald durch scurrilen Tadel herabgewürdigt zu werden. In die Mitte zwischen beiden scheint sich der als Dramaturg bei unsrer Bühne angestellte große Kenner, Ludwig Tieck, stellen zu wollen. In den ersten Nummern der unter seiner Redaktion vom künftigen Jahre an erscheinenden dramaturgischen Blätter findet man eine eben so gerechte, als lehrreiche Musterung sämtlicher Schauspieler und Schauspielerinnen der hiesigen Bühne*, woraus hervorgeht, daß sie allerdings Großes zu leisten allen Beruf haben, wie sich dis auch neuerlich bei der trefflichen Darstellung des Julius Cäsar von Shakspear allen Unbefangenen kund gegeben hat. Jene auch für’s ganze deutsche Publikum wichtigen Blätter erscheinen zugleich mit einem neuen, mit 1827 beginnenden hiesigen Tageblatt, das von dem rühmlich bekannten Dichter Friedrich Kind, in Verbindung mit einem hier privatisirenden, seit Jahren Vieles sammelnden und bewahrenden Literator Kraubling, herausgeben wird*. Die seit neun Jahren schon bestehende Abendzeitung, welche mit ungeschwächtem Kunstvermögen, und mannichfaltiger, vom deutschen Publikum gern anerkannter Ausstattung fortgesezt wird, kan durch eine solche Rivalität an Gediegenheit nur gewinnen.

(Beschluß folgt.)*

Editorial

General Remark

Autorenzuweisung nach dem Beiträger-Register der Allgemeinen Zeitung, hg. von Bernhard Fischer, München 2003 (lt. hs. Randnotiz im Cottaschen Redaktionsexemplar)

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 30, Nr. 20 (20. Januar 1827), pp. 78

Text Constitution

Commentary

  • “… in der scenischen Ausschmükung dargestellt”Die ersten Vorstellungen fanden am 15., 18. und 22. November 1826 statt.
  • “… Benefiz seiner Familie, statt finden”Die für den 18. Oktober 1827 geplante Aufführung fiel wegen Erkrankung eines Sängers aus; die Erstaufführung fand erst am 24. Februar 1828 statt.
  • “… und Schauspielerinnen der hiesigen Bühne”In Tiecks Dramaturgischen Blättern, Dresden 1827, Nr. 1, Sp. 1–8, Nr. 2. Sp. 9–16 und Nr. 3, Sp. 17–19.
  • “… Literator Kraubling , herausgeben wird”Gemeint ist die Dresdner Morgen-Zeitung, hg. von Friedrich Kind und Karl Constantin Kraukling, Dresden, Jg. 1 (1827) mit ihrer Beilage Dramaturgische Blätter, hg. von Ludwig Tieck.
  • “… ( Beschluß folgt .)”Der „Beschluß“ in der Beilage zu Nr. 23 (23. Januar 1827), S. 90f. enthält keine Musik- oder Theater-bezogenen Ausführungen.

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