Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 8. Juli 1819: “Phädra” von Schiller (Teil 1 von 3)
Donnestags, am 8. Julius, in der Stadt: Phädra, nach Racine von Schiller. Mad. Schröder die Phädra als erste Gastrolle.
Wir haben noch keine Biographie Schillers, wie sie seyn soll. Selbst der neueste Versuch in den Zeitgenossen, wo einzeln viel Zweckmäßiges zusammengestellt ist (St. XV.), ist nur Mosaik. Der sie abfaßte, hat Schillern schwerlich genau gekannt. Auch mag es dem, der das noch lebende Weimar kennt, einleuchten, daß eine solche Biographie jetzt noch als unreife Frucht fest am Baume hängt. In einer künftigen Biographie also wird sich vieles noch nicht Gesagte über das sagen lassen, was zwischen Schiller und Göthe, als dieser, in fürstliche Wünsche sich fügend, Voltaire’s Mahomet deutschte und auf die Bühne brachte, in freien Ergießungen verhandelt wurde. Das inhaltschwere Gedicht an Göthe, nach der Aufführung seines Mahomets im Jahre 1800, in Schillers Gedichten, umfaßt in gediegenen Stanzen die Endpunkte und Resultate des Streits. Schiller selbst endete damit, daß er Racine’s bewunderte Phädra selbst übertrug und den Urtext zur Seite als Taschenbuch vorbereitete. Denn er erlebte die Herausgabe nicht. Das Stück ist seitdem fast über alle Bühnen Deutschlands auf Cothurnen, die den deutschen Fuß oft sehr drückten und schnürten, hinweggeschritten. In Weimar erhob das gefeierte Wolfische Ehepaar, sie die Phädra, er den Theramen, zu schöner Bedeutsamkeit. Das Stück heißt Phädra. Den, den französischen Bühnen so viel näher verwandten Seneca auf den Euripides pfropfend, hatte Racine, den fromm-galanten Hof seines Ludewigs im Auge, das Bewußtseyn ausgesprochen, das französische Zartgefühl in ihrer ehebrecherischen Liebe nicht verletzt zu haben. Im antiken Trauerspiel ist Hippolyt der Held des Stücks. Auch stirbt er auf der Scene, wo Diana erscheint und ihm die heidnische Seligkeit verkündigt. Phädra ist dort schon in der ersten Hälfte des Stücks verschieden. Hier fällt erst mit ihrem Tode der Vorhang. Der verliebte Hippolyt spielt eine klägliche, um nicht zu sagen, alberne Rolle, und verunglückt auch in der Ordnung fast auf allen deutschen Bühnen. Racine sagt ja selbst in der Zueignung seines Stücks an die Herzogin von Bouillon: cet heros paroitra comme il a du être à Paris, und Schiller war nicht der Mann, ihn dem Pariser Firniß abschaben zu wollen. Also kann in diesem Stücke eigentlich nur die Rede von der Phädra seyn. In ihr kann eine deutsche Künstlerin sich zwiefach verherrlichen, wenn ihr der große Wurf gelungen, mit außerordentlichen Kunstmitteln die französische conventionelle Unnatur durch deutsches Gemüth und Wahrheit von innen heraus zu überwinden. Dann ist aber auch Schillers einzige und reinste Absicht, warum er Todte erweckte, – der Recensent der Schillerschen Phädra in der Leipziger Literaturzeitung (1806, Nr. 75) parodirte bei dieser Wiedereinführung französischer Trauerspiele durch Göthe und Schiller jene Worte im Macbeth: „Sonst wer einmal den Geist ausbließ blieb todt, jetzt stehn sie wieder auf und jagen uns aus Logen und Parterre“ – vollkommen erreicht. Gruß und Dank der deutschen Phädra, auf die es anwendbar gefunden wird, womit Schiller seine Stanzen an Göthe schließt:
Ein Führer nur zum Bessern soll sie werden:Sie komme, wie ein abgeschiedener Geist,Zu reinigen die oft entweihte Scene,Zum würd’gen Sitz der alten Melpomene!Gruß und Dank also der größten jetzt unter uns ¦ lebenden tragischen Schauspielerin, Sophia Schröder, die – unsere Wiener Freunde mögen es nicht übel deuten! – die Schauspielerin des deutschen Volks heißen sollte, und daher auch in Dresden, Leipzig und überall als die unsre begrüßt werden darf, daß sie den seltenen Verein äußerer Gaben und innrer Berufs-Weihe mit so schöpferischer, plastischer Kraft auf diese Darstellung verwendet und uns dadurch, daß sie Siegerin auf fremdem Boden ist, eine glänzende Genugthu[u]ng an dem Dünkel verschafft, der dort an der Seine noch immer behauptet, daß wir weder eigentliche Trauerspiele, noch auch tragische Schauspieler besäßen. Es trifft sich durch eine eigene Verkettung der Umstände, daß viele unter uns die ächt-französische Vorstellung der Phädra, die von den ersten Künstlern des théâtre français im Jahre 1813 hier in Dresden aufgeführt wurde, noch im frischen Andenken haben. Unsre Vergleichung gründet sich also nicht auf fremder Augen und Ohren Zeugniß. Die gerühmte Künstlerin, die unsern Augen damals die Phädra vorführte, bewährte alles, was eine mehr als hundertjährige Ueberlieferung auf diese Bravour-Rolle gestellt und zur Schule gemacht hat, wich kein Haar von der streng eingeübten Regel und hatte – wer wollte dieß läugnen – erschütternde Momente. Aber innere Wahrheit und Verschmelzung zu einem idealen Ganzen fehlte. Die convulsivische Losgebundenheit zwischen der feierlichen Abgemessenheit in Recitation und Action – die Seele der französischen Darstellungen im Trauerspiele – gestattete sich die seltsamsten Sprünge und Uebertreibungen und rechtfertigte vollkommen das treffende Urtheil A. W. Schlegels: „Der tragische Schauspieler der Franzosen betrachtet eine Rolle mehr wie eine Mosaik glänzender Stellen, fürchtet stets zu wenig zu thun und macht stets das Einzelne auf Unkosten der natürlichen Wahrheit und psychologischen Scala geltend.“ Mad. Schröder hat den Character der Phädra in innrer Anschauung klar ergriffen und, wie es nun zur äußern Gestaltung kommt, im wahrem‡ Doppelgesicht sich selbst erblickt. Nun bedarf es keiner falschen Toilettenkünste, keiner Schlagschatten und Schlaglichter. Sie scheint nirgends! sie ist! Racine selbst müßte sich freuen, sich so verstanden oder – erklärt zu sehn. So weit geht tiefes Gemüth über bloß eingeübte Kunstleistung. Nur dadurch wird das, was die Franzosen le delire de la passion nennen und in der Rolle der Phädra über alles schätzen, nicht mehr schreiender Gegensatz zarter Weiblichkeit und rücksichtlose Buhlerei. Mit zauberischem Feuer malt unsre deutsche Phädra in der Geständnißscene gegen Hippolyt ihre nun einmal offenbare Schwäche aus. Sie giebt sich nicht besser, als sie ist. Aber es ist Krankheit, Zorngericht der ihr ganzes Geschlecht bethörenden und verderbenden Venus. Sie bereut, sie kehrt in sich zurück. Aber dieß ist wieder nicht die Reue, die Dryden meint: Repentance is the virtue of weak souls. Auch diese Reue ist Kraft. Und so erringt sie das schwierigste in einer Rolle, deren Zurückstoßendes, Empörendes A. W. Schlegel vor allen französischen Kunstrichtern, La Harpe’s Bewunderung zum Trotz, unwidersprechlich dargethan hat *) so daß wir am Ende wünschen, daß solch ein Weib durch erlaubte Gegenliebe glücklich geworden wäre.
(Die Fortsetzung folgt.)
[Original Footnotes]
- *) In der 1807 in Paris selbst von ihm herausgegebenen Comparaison entre la Phaedre de Racine et d’Euripide, 103 S. In 3. Man kann diese strenge aber wahre Würdigung der hochgepriesenen Racinischen Phädra nicht höher ehren, als wenn man sie den würdigsten Epilog zu Lessings Dramaturgie nennt. Sie ist damals in Paris zwar verspottet, aber nicht widerlegt worden
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Phädra” von Schiller (Teil 1 von 3)
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 167 (14. Juli 1819), f 2v