## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “König Yngurd” von Adolph Müllner am 12. August 1819 (Teil 1 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030890 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Den 12. August. König Yngurd. Trauerspiel in 5 Akten, von A. Müllner. Mad. Schröder Brunhilde als fünfte Gastrolle. Man hat die Rolle der Brunhilde episodisch genannt, die als eine in die eigentlichen Handlung des Stücks gar nicht eingreifende Person, also als völliges Hors d'ouvere ganz wegfallen könne. Wird nicht durch sie der eigentliche Schicksalsknoten des Stücks, das man mit Recht eine kleine Welt genannt, die nur zu oft am Unvermögen der Darstellenden untergeht, erst geschürzt? Muß sie am Ende nicht den eisernen Sinn Yngurds schmelzen? Hätte man doch wenigstens bedacht, was der alles wohl bedenkende Dichter selbst in der wahrhaft gediegenen Beilage zum gedruckten Yngurd über den Versuch bemerkt hat, am Ende des Stücks, mitten im Drange aufgeregter Gefühle, durch das Irrereden einer Wahnwitzigen, die Reflexion der Lesenden oder Schauenden auf dem Wege der Gemüthsberuhigung zu leiten? Wir haben früher selbst in diesen Blättern (Abendzeitung 1817, Nr. 86) unser Urtheil über den Character der Brunnhilde, eine der originellsten Schöpfungen auf unsrer Bühne, ausgesprochen. Wie würde man sie vermissen, wenn sie nicht da wäre! Wenn schon der ganze Yngurd eine Heerschau ungewöhnlicher dramatischer Talente, in ihren besten Leistungen, genannt werden mag; so ist dieß auch insbesondere mit der Brunhilde der Fall. Eine sehr erfahrne, mit Recht hochverehrte Künstlerin, Mad. Hartwig, hatte als Brunhilde, besonders in den Wahnsinnsscenen, allen gerechten Erwartungen vollkommen Genüge geleistet. Ueber ihr kunstreiches Spiel ist nach der ersten Vorstellung des Stücks (Abendzeitung 1817, Nr. 97) ausführlicher Bericht erstattet worden, welchen wir die Leser auch diesmal zu vergleichen bitten. – Ein hoher Genuß wurde uns heute dadurch zu Theil, daß Mad. Schröder diese Rolle mit aller Kraft und Glut, deren nur sie fähig ist, vor unsern Augen zu beleben und zu durchdringen übernommen hatte. Neben ihr stand Mad. Werdy als Irma ganz an ihrer Stelle und erndtete in der Scene, wo sie im dritten Akte den Yngurd mit allen Liebesbanden der zärtlichsten Gattenliebe auf's neue zu umstricken sucht, durch Gefühl und Wahrheit ihres Spiels verdienten Beifall. Mad. Schröder befriedigte, als eine Art von Amazone, wo Haß, durch Sinnlichkeit entflammt, sie zur Schlacht fortreißt, und als Irreredende aus einer bis zum Wahnsinn gesteigerten Mutterliebe, eben so sehr die gefühlvollen als die beobachtenden Zuschauer und entwickelte auch in dieser Rolle alle Besonnenheit und alle Herrlichkeit ihrer in Kraft und Sicherheit schaffenden Darstellungsweise. – Wir überlassen andern das Geschäft, mit der kritischen Brille auf der Nase, Fäßerchen vom faltenreichen, schöngeschmückten Mantel abzulesen. Wir bewundern lieber den schönen Wurf und die würdige Haltung des Mantels selbst. Es ist erlaubt, hier sich nur des Gelungenen zu erfreuen. – Die deutsche Sprache hat das ausdruckvolle Wort Ingrimm zur Bezeichnung des Hasses, den wir im Spiel der Künstlerin in den Schlußscenen des zweiten Aktes durch Stimme und Geberdung ausgedrückt sahen. Im Innern gährt's und tobt's, aber es prasselt und schäumt nicht nach Außen. Bricht nun aus dunklen Wolken einmal der Blitz hervor, so macht dieß doppelte Wirkung. Aeußerungen, wie ich hasse ihn wie die Hölle, oder als sie die Scheide vom Schwert weggeworfen hat, das in Yngurd's Brust erwarmen soll, oder die strafende Rede an Oskar: sehn? ihn? bist Du von Sinnen, wo sie jede Sylbe besonders aussprach, wurden weder stärker betont, noch lauter gesprochen, noch mit einer malerischen Geberde begleitet, sondern nur mit tiefer, grollender Stimme vorgetragen, und wirkten gerade dadurch um so schauerlicher. Aber welch ein Abgrund vom Gelüsten und Hassen that sich in dem furchtbaren: Trennt euch von Irma! kund? Das war ein zündender Blitz aus der tiefsten Gewitternacht. Es war, als wenn in ihren Augen und ganzen Mienen eine höllische Flamme aufsprühete. – Der Zauber, wodurch die Künstlerin alles aus uns macht, beruht ja einzig darin, daß sie sich ganz mit ihrer Rolle identifizirt und daher mit ruhiger Klarheit stets darüber herrscht. Dazu gehört schlechterdings, daß ihr Zuspiel, wo sie nicht selbst spricht, eben so täusche, wie ihre Rede. Sie bewährte dieß als Meisterin, während der in langen Schilderungen schwärmerisch sich ergießenden, zur Characterzeichnung Oskars allerdings unentbehrlichen, Fantasieen des Bardenjünglings Oskars. Erst steht sie da gesenkten Hauptes, nachsinnend, ob solche Frucht von solchem Baume kommen konnte. Dann besiegt Mutterliebe allen Verdruß über so kindische Faseleien. Sie tritt an ihn, legt in süßer Wehmuth aufgelös't, die Hand auf seine Schulter, als woll[e] sie Alefs Rede durch diese Liebkosung noch tiefer eindrücken. Nun versinkt sie auf's neue in trüben Unmuth mit einer sinnvollen Stellung, die nur dann durch ein sichtbares Zucken unterbrochen wird, als Oskar von der schwachen Pflanze aus spät gesäten Korn spricht. Sie ist ganz an die Seitencoulisse getreten, wo Kurl sein Netz ausgespannt hat. Als Oskar die süße Schilderung von Auslo entwirft, legt sie das Haupt in's Netzgewebe. Ein Blitz trifft sie, als Yngurd sich nähert. Sie schlägt aber nur einmal das Auge gegen ihn auf, als aus dem Glühofen ihrer alten Lust das furchtbare: Trennt Euch von Irma! aufzückt. Man muß die krampfhaften Zuckungen, womit sie dann, als Yngurd die neue Fehde erklärt hat, das Schlachtschwert packt, selbst sehen. Das alles geht so natürlich aus der Situation selbst hervor, daß es Geschwätz scheint, es rühmend anzuführen. Aber es entströmte hier alles dem innersten Bewußtseyn, wie diese Frauen- und Mutterliebe so gereizt fühlen müsse, ist so ganz ein Guß, daß man – gefährliche Nachbarschaft für die Mittelmäßigkeit – sie lieber allein sehen und hören will. (Der Beschluß folgt.)