Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Johanna von Montfaucon” von Kotzebue am 14. August 1819 (Teil 2 von 2)

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Johanna von Montfaucon.

(Beschluß.)

Der erste Wohlklang tritt wieder in ihre geschmolzene Stimme, als sie mit leiser Hebung des ganz gesunkenen Körpers den Seufzer aushaucht: „Er werde mehr, er werde ein Engel Gottes.“ Als aber der Henker eintritt, entzündet das nicht mehr zu dämpfende Muttergefühl die Flamme ihres Geberdenspiels. Jetzt drängt sich alles vorwärts, Kopf, Hände, Körper, krampfhaft durchzuckt. die Worte fliegen in beschleunigtem Zeitmaaß. Aller Abscheu in Stimme, Stellung, Geberde, mit dem Ausdruck auflodernder Zornwuth, erglüht im Ausrufe: „Wirf die Menschenlarve von Dir!“ Doch sinkt dieß alles sogleich wieder zusammen, mit dem ohne alle Betonung leise hingeworfenen: „Du willst mich Aermste nur versuchen!“ Kotzebue läßt den Lasarra sagen: „Was tobst Du?“ Erwünschte Winke für die gewöhnlichen Comödiantenkünste und tollen Uebertreibungen! Der Dichter kannte die Mäßigung im Spiele selbst eben so wenig, als in der Dichtung. Mit Recht verbessert dieß unsere Schröder! Jetzt kommen die Kämpfe der Mutterliebe um den Knaben, über welchen das Henkerschwert schwebt. Wie rein naturgemäß wurde dieß alles vorgestellt. Niobeartig umklammert sie ihn, dann streicht sie die Haare ihm von der Stirn, um noch einmal sein volles Antlitz zu schauen. Nun der erschütternde Ruf: „In den Tod!“ Hierauf die ächt tragische Anrufung des rächenden Donners. Wie oft haben wir diesen travestiren sehen! Wird die Ankündigung dieser Himmelszeichen mit Brausen und Toben der Schauspielerin und mit Zetergeschrei gerufen – so ist es ein jämmerlicher Theaterstreich. Unsere Künstlerin sprach es schnell und immer schneller, halb athemlos – welcher Kampf ist nicht schon erschöpfend vorausgegangen! – in abgebrochenen Sätzen, mit vorherrschender Angst, über welche aber zuletzt die Zuversicht siegt, so aus, daß jenes furchtlos auf die Spitze gestellte Schlußwort: „es muß blitzen,“ aus der Situation mit einer unbeschreiblichen Wirkung, weil es Wahrheit war, hervorquoll. Hier zeigt sich die ganze Kraft ihres bewundernswürdigen Organs. Das muß war um und um rund, ballte sich gleichsam, ohne doch trotzig oder beleidigend an unser Ohr zu schlagen. Als ihr hierauf die Mutter-Angst die herzzerschneidenden Jammertöne: „Hülfe, Barmherzigkeit,“ u. s. w. ausgepreßt hatten, soll sie, so schreibt es der Dichter vor, haarzerraufend, sinnlos zu Boden schlagen. Das Spiel der Mad. Schröder erreicht durch weit geringere Mittel weit größere Wirkung. Mit der Miene des Entsetzens biegt sie sich erst seitwärts zusammen, ohne noch nieder zu stürzen. Da sie den Zuschauern mit vollem Gesicht zugekehrt ist, so lieset man den Kampf der niederschmetternden Gemüthsbewegung ganz in ihren Mienen. Vom Haarzerraufen keine Ahnung! Kunst und Natur feiern ihren Bund. So sinkt sie. Man muß sagen: es kann nicht anders seyn. Und doch hatte man sich’s ganz anders gedacht. Wie geisterhaft grausend ihr Zurückkehren zum Bewußtseyn und das unbeschreibliche willenlose, zum Tode ermattete: „ich folge Dir zum Altar!“ Wir wollen dabei nicht in Abrede seyn, daß auch die weit stärkeren Ausdrücke, selbst das Haarzerraufen, in dieser Situation natürlicher gewesen wären. Ja wir halten es sogar für na¦türlicher und wahrer. Aber gehört es so auch auf die Bühne? In der Bühnendarstellung ist keine festbestehende Sculptur. Blitzschnell geht das an uns vorüber, verschmilzt sich augenblicklich in neue Uebergänge. Wir achten nur es unvergleichlich, daß nach den in höchster Abspannung und Erschlaffung begonnenen Eintritt ein solches Hinsinken allein den höchsten Effekt hervorbrachte. Als Lasarra fortgegangen ist, betet sie stehend mit einem inbrünstigen Blicke gen Himmel. Jedes Niederknien wäre nach allem, was vorausgegangen, spurlos vorübergeflogen, und hätte die Continuität des Spieles unterbrochen.

Den schneidendsten Contrast macht nun mit dieser Schmerzensmutter die jubelnde Gattin in der 6ten Szene. Die Freude ist viel beweglicher, ausgelassener als der Schmerz (Diffundimur laetitia, contrahimur dolore). Hier feiert die Künstlerin ihren köstlichsten Sieg. Beschreiben aber läßt sich dieß nicht. Wir müßten es in 10 Stellungen malen. Und was wäre es dann? Könnten wir’s ganz zergliedern, so taugte das Spiel wenig! Aber es gehören große Mittel und eine unglaubliche Sicherheit des Gelingens dazu, um in einer Minute solche Ausdrücke zusammenzudrängen. Die gewaltig vorwärts strebende Stellung und die Art, wie sie ausruft: „mein Gemahl nicht todt!“ sind doch nur Vorbereitungen zu dem Freudentaumel, womit sie, als der Wolf „Lüge!“ gerufen hat, dem Verkündiger beide Hände und die Stirn küßt, ihn umhalset, ihn an sich preßt, dann zum Knaben, zu Otto, schießt und ihn mit dem Jubelrufe: „der Vater lebt!“ hoch empor hält, dann aber erst auf ihre Knie niederstürzt, um Gott zu danken, endlich sich aufrafft und mit sichtbarer Hebung der Brust und aufkeuchender Athem-Klemme in sich hinein stöhnt: „Luft, Luft!“ – Eine Feinheit darf hierbei nicht unbeachtet bleiben. Wie Wolf der halbbetäubten Johanna zuruft: „der Gemahl ist unten!“ so fragt diese zweimal: „wo? wo?“ Hier gab Mad. Schröder das erste wo? zweifelhaft dumpf, das zweite aber, als habe sie plötzlich ein Hoffnungsstrahl umleuchtet, laut und im freudigsten Vorgefühl. Daß ist ganz in Johannens Lage gegründet und voll innerer Wahrheit. Sie erscheint am Ende nicht in männlicher Waffenrüstung, weßwegen Kotzebue die Johanna in zwei Akten gar nicht erscheinen läßt, damit die Schauspielerin sich fein umkleiden könne. Sie kommt bloß im Helm und umgeschnallten Panzer, aber im Feierkleide. Wie unsinnig und ungedenkbar in der gegebenen Lage, daß sie jetzt Zeit gehabt, sich ganz umzukleiden und zu umpanzern! Hier muß die wahre Künstlerin den Dichter verbessern.

Der Philipp in diesem Stück ist das Paradepferd für die männlichen Schauspieler. Als Gastrolle spielte ihn heute Hr. Pellet, der seit einigen Monaten erst in Carlsbad zu spielen angefangen hatte. Die frische, liebliche Jugendgestalt und ein klangreiches Organ sind an ihm schöne Naturgaben. Man sagt, er widme sich der Kunst aus reiner Liebhaberei ohne von Brodsorge gequält zu seyn. Möge er nur erst sich selbst beherrschen lernen, die mimische Tanzkunst von der gewöhnlichen unterscheiden, und eine klare Aussprache gewinnen, vor allen aber mit kleinen Rollen gewissenhaft wirthschaften lernen. Es wäre jammerschade, wenn solche Anlagen in der Manier und im Dutzendspiel untergehen sollten.

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Johanna von Montfaucon” von Kotzebue (Teil 2 von 2)

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 204 (26. August 1819), f 2v

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