## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 8. bis 10. Dezember 1818 (Teil 1 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030313 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 8. Dec. Das Gut Sternberg. Lustspiel in 4 Akten, von Frau v. Weißenthurn. Am 9. Dec. Le Danaide. Ernsthafte Oper in 2 Aufzügen. Die Musik ist vom K. S. Kapellmeister Franz Morlacchi. Am 10. Dec. Zum erstenmal: Der graue Mann. Schauspiel in drei Akten, nach dem Französischen des d'Aubigny und Pojol, bearbeitet von Theodor Hell. Nur selten gedeihen Verpflanzungen von der französischen Bühne auf der Deutschen. Daß es trotz allem, was die großen Meister, Gotter, Göthe, Schiller, darin versucht haben, mit den verdeutschten Trauerspielen aus dem Französischen noch eben so stehe, wie es Lessing in seiner Dramaturgie schon aussprach, hat neuerlich noch der Germanicus von Arnaut gezeigt. Iffland, der es warlich so gut verstand wie irgend einer, gestand in vertrauten Mittheilungen – wir bewahren darüber einen merkwürdigen Brief von ihm, der in einer eigenen (bei seinem treuen Göschen) zu veranstaltenden Briefsammlung nicht fehlen wird – daß er keine Zeit so schlecht verbraucht habe, als die auf solche Gallicismen verwandte. In der That sind auch seine aus dem Französischen übertragenen Lust- und Schauspiele kaum aus dem Weichbild seiner eignen Bühne je hervorgerufen worden. Schröder hatte ähnliche Erfahrungen und blieb daher am liebsten bei der brittischen Bühne. Mit den kleinen einaktigen Stücken, die an's Vaudeville gränzen oder doch wie Lichtfünkchen (bluettes) schnell verflackern, mag es noch am ersten hingehn. Die deutsche Bühne erfreuet sich in diesem Augenblick mehrerer Bearbeitungen des sinnreichen Wiener Dramatikers, des Hrn. v. Kurländer, in dieser Gattung. Castelli, Deinhardstein und andre sind auch in diesem Fache gern genannte Namen. Aber dergleichen muß sehr leicht gehalten und besonders nicht zu geschwätzig seyn. Wir Deutsche sind nun einmal keine Nation parlante, wie unsere Nachbarn jenseits des Rheins. Das wahre Recept zu einer solchen Mixtur hat Müllner noch zuletzt in seiner Onkelei geschrieben. Man lese nur die Nachschrift dazu in seinem neuesten Almanach für Privatbühnen. Es ist aber selbst dazu nöthig, daß die so zu benutzenden Stücke unter uns bekannt werden. Und so wäre schon in dieser Rücksicht unsers vielkundigen Theodor Hells Bühne der Ausländer für die Bühnen-Directionen ein sehr dankwürdiges Unternehmen. Doch es können und sollen auch wohl größere Dramen der Franzosen unsre Bühne betreten. Zuerst entscheidet hier der Stoff. Die Waise und der Mörder, die Elster und das Haus Anglade haben nicht blos auf unserer Bühne Glück gemacht. Theodor Hell wird am den zwei letzten, als wohlgezogenen Kindern, noch lange Freude haben. Hier entscheidet das reinmenschliche im Stoff, in welchem alles Nationelle untergeht. Schon weit mißlicher ist's, wo nur gewöhnliche Intrigue mit etwas flacher Characterzeichnung waltet. Da muß die deutsche Zuthat das beste thun. Dieß ist offenbar der Fall mit dem grauen Mann, womit die deutschen Vorstellungen in diesem Jahre auf unsrer Hofbühne geschlossen worden sind. Das Stück hat in Paris als l'homme gris seit seiner Erscheinung auf dem Theater des Odeon im Jahre 1817 ausgezeichneten Erfolg gehabt und ist als grüner Mann auch fleißig über die Londner Bühne geschritten. Der Stoff ist sogar ursprünglich deutsch. Pojol übersetzte eine Erzählung von unserm Lafontaine, diese dramatisirte d'Aubigny. Im Original spielt das Stück auf einem Gute des Baron von Wallen, in der Nachbarschaft von Merseburg. Der Hauptcharacter des biedern, alles Krumme mit derber Freimüthigkeit gerade hämmernden grauen Mannes, erinnert lebhaft an den Onkel aus Lissabon. Kurz, es sind alte Schachsteine, aber die Partie ist neu und – unterhaltend auch für die Debeistehenden. Theodeor Hell hat's auch, wie billig, an mancherlei ächt deutscher Zuthat nicht fehlen lassen. Gewisse Anspielungen der Art wurden vom Publikum mit Wohlgefallen aufgenommen. Dennoch hatte sich das Stück keines so ausgezeichneten Beifalls zu erfreuen, als es die darauf verwandte Mühe des Bearbeiters wohl verdient hätte. Einige Schuld mag allerdings die nicht rasch genug eingreifende Darstellung tragen. Aus dem Schallloche der Pythia tönte es stärker, als es gut war. Auch fielen andere, bei der ersten Aufführung oft unvermeidliche Störungen vor. Allein der Grund der geringern Aufregung des Publikums liegt tiefer. Wir erlauben uns hierüber nur noch folgende Bemerkungen. Der erste Akt ermüdet durch erzählende Exposition. Sie geschieht vorzüglich durch einen verschmitzten Kammerdiener und durch ein mit ihm einverstandenes Kammermädchen. Der Franzos muß ja wohl, da ihm die strenge Kunstregel der Einheit des Orts die handelnde Exposition so erschwert, in solchen Sprech-Scenen sein Heil finden. Und wie ergötzen dort die Sprecher durch die Vollendung des Conversations-Tons! Wir Deutsche haben diese aristotelische Schnürbrust ein für allemal abgelegt. Wir wollen Handlung und in dieser die Intrigue selbst entstehen sehen. Die öftere Bühnenverwandlung stört unsre Illusion nicht mehr. Hätten wir also hier gleich zu Anfang den bösen Genius des Stücks, den Grafen Rosenthal, auf seinem Schlosse mit dem treuen Gehülfen, den verschmitzten Franz, die Intrigue schmieden sehn, die uns Franz jetzt nur stückweise vorerzählt, so wäre unsre Theilnahme gleich anfangs weit stärker aufgeregt und viel gewonnen. Jetzt ist alle Wirkung auf den Schluß verspart, wo so viele schon nach dem Hut greifen. Die Sache ließe sich durch's ganze Stück so fortführen. Der unveränderliche Sprechsaal im zweiten und dritten Akt nöthigt zu den soderbarsten Ab- und Auftritten. Wie würde Kotzebue z. B. den Wucherer zwischen Rosenthal und dem grauen Mann hin und her geschickt haben! Wir können dieß hier nicht weiter ausführen, wünschten aber wohl gerade mit diesem Stücke einen zweiten Versuch gemacht zu sehn. Und wie reich ist unser Hell an Erfindungskraft und Mitteln dazu, wenn es ihm müheverlohnlich schiene! (Der Beschluß folgt.)