Aufführungsbesprechung Dresden, Linkesches Bad: “Pagenstreiche” von Kotzebue am 7. Juli 1818
Den 7ten Juli. Auf dem Theater am Linkeschen Bade. Pagenstreiche, Posse in fünf Akten, von A. v. Kotzebue. Herrn Wurm’s letzte Gastrolle.
Hr. Wurm hat schon längst Brief und Siegel darüber, daß er ein unvergleichlicher Hr. v. Stuhlbein sey. Bedürfte es eines förmlichen Diploms, so ertheilte es ihm der Dichter selbst, als im Sommer 1814 Hr. Wurm auf dem Königsberger Theater diese Rolle unter Hrn. v. Kotzbue’s Direction spielte. Es hat, seit das Stück auf der Bühne ist, tüchtige Stuhlbeins gegeben, denn diese Familie ist zahlreich. Unser Geyer weiß diesem Stuhl trefflich auf die Beine zu helfen. Wer Hrn. Unzelmann in Berlin, Hrn. Wohlbrück in Leipzig, früher in dieser Rolle gesehen hat, weiß, wie verschieden sie genommen werden kann. Beides sind Charakteristiker und verstehen es, ihrem Spiele die gehörigen Gaben Salz beizumischen. Allein Hr. Wurm betritt auch in dieser Darstellung seinen eigenen Weg, und führt einen neuen Beweis dadurch, daß er nicht erst seinen Stempel auf fremde Münze zu prägen nöthig hat. Wir loben an ihm eine gewisse Mäßigung der Caricatur, ohne welche der Mann, der doch ein wohlhabender Güterbesitzer, mit achtungswürdigen Ahnenbildern und einem ansehnlichen Hausgesinde ist, dabei Vater von drei mannbaren Töchtern, welche ein gar zu niedriger Schalksknecht, ein wahrer fou bernable seyn würde. Wie Hr. Wurm die Rolle nimmt, so sind die Explosionen seines Polterns und Zankens, wo es am ärgsten losbricht, seine Aengstlichkeiten aus Gespensterfurcht in ihren ergötzlichsten Paroxysmen, seine Zuthätigkeiten zu Stiefel in ihren lächerlichsten Liebkosungen, seine, durch hundert Rücksichten und Befürchtungen gemäßigten Ausbrüche gegen den muthwilligen Pagen, alles mit einer gewissen Ironie, gleichsam eine‡ Anflug von leisem Spott über sich selbst und seine Narrenstreiche, so versetzt, daß man über seine drolligen Mißgeberdungen und Possirlichkeiten wohl lachen, den Menschen selbst aber, dem dies alles so angewachsen ist, nicht verachten kann. Und dies ist bei einem solchen Maße von Einfalt und Pantaleonismus, womit Kotzbue diesen Hrn. von Stuhlbein überreichlich ausgestattet, immer alles mögliche geleistet. Die gelungensten Parthieen darin sind ohnstreitig die Schlußscene des ersten und die Anfangsscene des zweiten Akts, wo der Baron über die Gestalt (Ton und Accentuation dieses Worts gelang vor¦züglich) in seinem Bette in solche Herzensangst geräth. Daß hier aus dem Stöckchen, durch dessen Schwingungen Stuhlbein der Wachsamkeit des Bedienten so fühlbar zu Hülfe kommt, ein ellenlanger Besenstiel wurde, ist eine bekannte Hyperbel. Allein die feinern Schattirungen der aufgeregtesten Gespensterfurcht, das unablässige Aufhorchen und vergebliche Zurückkämpfen des überwältigenden Schreckens, wurde mit einer Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit gegeben, welche den genialen Beobachter zur Genüge bewiesen. Noch etwas höher gesteigert erschien uns dieselbe Furchtsamkeit am Schluß des Stücks, mit dem fast unwillkürlichen Hinschieben auf die mit Geisterstimmen erklingenden Ahnenbilder. Denn wie die Motte dem Licht zufliegt, so fühlt sich eine gewisse Art von Geisterscheu zum Anblick des Ungethüms hingezogen und gebannt. Mit der ergötzlichsten Mannigfaltigkeit variirte er viermal den kategorischen Imperativ: Schwester halt das Maul! Es war eine Scala von Lächerlichkeit in dieser Abstufung. Das Commandiren zum Sturmlauf an der verschlossenen Hausthüre ging ganz vortrefflich. Es bedarf wohl kaum einer Bemerkung, daß dieser uns als Künstler liebgewordene Gast am Schluß mit der feierlichsten Anerkennung herausgerufen wurde. Möchten wir seine Erwiederung, daß es ihm bei uns gefallen, auch für die Zukunft annehmen können! Nach Hrn. Wurm ward auch Dem. Tilly herausgerufen, die heute den Pagen mit großer Gewandtheit gespielt hatte. Wir freuen uns, daß auch ihr diese Anerkennung zu Theil wurde. Wenn man uns dabei die Anmerkung erlaubt, daß sie für die oft kecken Polissonnerien des Pagen zu zart und anmuthig, also nicht derb und unverschämt genug war, so mag dies in anderer Beziehung eher für Lob gelten. Selbst ihre Kleidung stimmte nicht ganz in den Ton dieser Pagenstreiche. Dies zeigte sich vorzüglich in der Scene mit den drei Officieren. Hr. Zwick als Lieutnant von Heldensinn hätte, ungestraft, auch noch etwas derber ausfallen und den Polterer durch Bramarbassren, wo er den Rücken frei zu haben glaubt, noch abstechender hervorheben können. Hr. Heine, als Reitknecht Stiefel, bewieß auf’s neue sein unverkennbares Talent zum Aechtkomischen. Möge er sich davon selbst immer mehr überzeugen, und sich nicht bange seyn lassen, wenn ihm im Trauerspiel und hohem Drama nur kleinere Hülfsrollen zu Theil werden. Nichts ist verderblicher, als allzu frühe Universalität.
Böttiger.Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Linkesches Bad: “Pagenstreiche” von Kotzebue.
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 178 (28. Juli 1818), f 2v