Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Der Jude” nach Cumberland (2. Juli 1818)

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Den 2ten Juli. Im Königl. Theater in der Stadt: Der Jude, nach Cumberland.

Herr Wurm, der als Gastrolle den Schewa spielte, beschämte durch diese wahrhaft gelungene und runde Darstellung die Zweifelsucht aller derjenigen, welche wähnten, er habe mehr nicht, als eine Maske in der Tasche, und daher behaupteten, sein ächt komisches Talent passe nicht zur unbezwinglichen Weichherzigkeit und Individualität eines Juden, den die englische Bühne unter ihre originellsten Schöpfungen zählt, und der noch immer jährlich einigemal das Dury lane Theater füllt. Das Stück macht überall, wo nur der rechte Schewa gefunden ist, auch bei uns noch Glück. Man sollte aber billig erst gelesen und erwogen haben, was der Vater des Stücks, Cumberland, selbst in seinen bekannten Memoirs davon erzählt, ehe man, wie es z. B. in den dramatischen Blättern (IIter Jahrgang Nr. 2.) geschehen ist, so geringschätzig darüber aburtheilt. Das Stück hat freilich eine bodenlose Intrigue, und alle übrige Personen sind nur Einfassung. Allein man will auch bei einer solchen Vorstellung nur die Hauptfigur sehen, und ist zufrieden, wenn man durch die Unfertigkeit oder Ungeberdigkeit der übrigen nicht gestört wird. Unsere Schauspieler spielten aber im Ganzen so gut zu, daß Herr Wurm in Entwickelung seiner Darstellungsgabe ungehinderten Spielraum fand. Zuerst muß an ihm gelobt werden, daß er dabei seinen eignen Weg ging, und uns durch keine bestimmte Reminiscenz, weder an Iffland noch Devrient erinnerte. Er kann also auch eine solche Charakter-Rolle schaffen und das Erschaffene aus einem Stücke durchführen. So hängt es ja nur von ihm ab, sein Rollenfach nach Willkühr zu erweitern, und die Besorgniß, als sey seine Kunst nur zu bald und leicht erschöpfbar, schwindet. Er faßt aber auch das Wesen und den Kern der Rolle selbst so auf, wie es dem denkenden Künstler ziemt. Dies Wesen besteht darin, daß ein portugisischer Jude in London zwar auch Jude ist, wie alle andern Söhne Abrahams, auch mäkelt, wirbt, spart, sich selbst kasteiet um Kapital zu Kapital zu schlagen, doch aber von diesem Rost den bessern Menschen in sich nicht anfressen noch verzehren läßt, und weit besser ist, als der Schein. Er behandelt aber diese in ihm stets wiederkehrende Gutmüthigkeit selbst als eine Krankheit und verwerfliche Idiosynkrasie in seiner Judennatur, und wird eben dadruch – was oft übersehen wurde – zur bittersten Satire auf’s unverbesserliche Judenthum. Heimlich wohlthun, helfen ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses, behandelt er als Fiebersymptome, die er nicht los werden kann. So oft ihn ein solcher Anfall von Barmherzigkeit durchgeschüttelt hat, zwickt und kasteiet dieser jüdische Heautontimorumenos sich im vertrauten Selbstge¦spräch. Aber endlich siegt das bessere Selbst mit Macht. Er setzt seinen christlichen Wohlthäter zum Universalerben ein. Nun ist’s überstanden. Daher muß in der letzten Scene Schewa in wahrer Verklärung da stehn, welches auch Herr Wurm noch nicht ganz so, wie es seyn sollte, hervorhob. Uebrigens aber gab unser Gast die wahrhaft rührende Weichherzigkeit, jene durch’s ganze Stück laufende Elegie, mit Wahrheit und Gefühl. Im Monologe, wo er sich selbst quält, gnügte er vollkommen und in einer Anrede an den Magen, wo er abgekehrt dasteht, erregte er durch verbissene Töne und Mienenspiel einen Ausbruch des lautesten Beifalls. Es versteht sich, daß ihm jede Schattirung im Ton und Betragen, abgemessen gegen die Person, mit der er es jedesmal zu thun hat, zu Gebot steht, und daß er dabei Licht und Schatten künstlerisch vertheilt. Damit wollen wir indeß nicht gesagt haben, daß nicht im Einzelnen Manches noch sorgfältiger ausgemalt, feiner abgestuft und motivirt werden könnte. Iffland erschien uns in der Scene, wo der geheime Rath (dem, beiläufig zu erinnern, nur durch die Kunst des Schauspielers der im Stücke selbst begründete Vorwurf erspart werden kann, er sey gegen das Ende ganz ausgetauscht) ihn an der Brust packt und schüttelt, noch zerdrückter und aufgelöster. Die Art, wie er die Papiere alle sich entfallen ließ, war noch ängstlicher. So sahen wir Iffland auch beim Eintritt in seine eigne Wohnung zu Anfang des folgenden Akts noch angegriffener und erschöpfter durch die Mißhandlungen, die er gleich vorher erlitt, und in allen diesen eine noch besonneneres Spiel. Auch wurde durch das noch heftigere Schelten gegen den Diener seine ihn schnell befallende Gutherzigkeit, als dieser ihn durch Gefühl besticht, mehr konstrastirt. Allein über das piu e meno läßt sich in solchen Darstellungen nicht rechten. Wenn nur alles aus Einem Guß ist, und das war hier vollkommen der Fall. Nur zuletzt verfiel Schewa etwas zu stark in den pathetischen Ton, den wir den Predigerton, zu nennen gewohnt sind, und der vorher im Maaße wohl an seiner Stelle gewesen, ja als eine eigne Zugabe in Wurms eigenthümlicher Art, die Rolle zu nehmen, ihm gern angerechnet worden war. Das, für einen solchen Genuß dankbare Publikum rief ihn mit dem lautesten Beifall hervor, und bewährte dadurch auf’s Neue eine Empfänglichkeit für das Gründliche und Tüchtige. Bei andern Rollen dankte es blos durch Lachen und laute Fröhlichkeit.

Hr. Heine, der den Diener, den Meschores spielte, zeigte, da er im Leben ein feiner, junger Mann ist, doch auch großes Talent zu diesem jüdischen Geschnatter, zur verworfenen Gemeinheit. Nur muß er an Hrn. Wurms Beispiel lernen, bei verstellter Sprachweise doch durchweg vernehmlich und klar zu sprechen.

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Der Jude” nach Cumberland.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 166 (14. Juli 1818), f 2v

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