Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 25. bis 30. November 1817
(Beschluß.)
Cäciliens Oheim, der alte Major Rodomantow, ist mit allen seinen Steckenpferden und Anwandlungen von Poltronnerie und Pedanterie doch eine aus dem Leben herausgegriffene Figur. Es giebt solche Hagestolze! Nun giebt es aber auch zwei Wege, eine solche schon chargirte Rolle aufzunehmen, den humoristischen und den blos spashaften. Zu letzterm hat freilich der Dichter selbst manche langfingrichte Hand an der Wegsäule ausgestreckt, und so betrat ihn denn auch Hr. Geyer zur allgemeinen Gemüthsergötzlichkeit der Lacher. Eine Menge kleine Witzfunken sprühten aus seinem Spiel vom entfallenen Stock (beim Frösteln des Kanonenfiebers) an, bis zum launigen Suchen nach der Schußwunde am Oberarm des zur Weiblichkeit eingekleideten Lieutenants, dessen wunderbare schnelle Heilung in diesem weit ausgeschnittenen Kleide noch auffallender seyn mußte. Ueber manche unerwartete Einschaltung mag der Dichter mit ihm rechten. Aber er selbst kann mit dem Dichter sich darüber vernehmen, warum er dem muntern Mädchen den Thurm zu Babel schenken läßt. Ein Fächer von Straußfedern, wie ihn die zärtliche Julie Capulet zu Verona trug, würde in gehöriger Dimension hier noch mehr Wirkung gethan haben. – Die (völlig episodische) Frau von Gall wurde von Mad. Hartwig ganz vorschriftmäßig, mit überschwenglicher Uebertreibung ausgestattet, und mit erquickender Fröhlichkeit gespielt. Ihr schmachtender Schäferanzug als französisirte Johanne von Orleans, schien nach einer Meißner Porzellain Figur von 1740 getreu kopirt. Die doppelte Karikatur der französischen Declamation mit Action im Trauerspiele mag manchem am Orte scheinen. Nach unserm Dafürhalten schreitet sie weit über die Linie. Eine so ausgemachte Milchschwester der precieuses ridicules durfte auch wohl dann ihren thurmartigen Kopfputz nicht abgelegt haben, wenn sie das Aergerniß an dem Lieutenant auf den Sopha nimmt! Der Dichter weiß am Ende selbst nicht, wo er mit ihr hin soll. Mit der Parodie aus Schillers (der Nation mit Recht so theuern) Liede auf die Freude, ist’s bei weitem noch nicht abgethan. Und wie kommt eine so unwissende Thörin zu einer solchen Parodie? – Dem Baron Silberg ließ Hr. Kanow keine seiner Aufwallungen unbemerkt hingehen. Die Leidenschaftlichkeiten und Verpuffungen der Eifersucht, die ihm anderswo so gut gelingen, erhielten auch hier ihr volles Recht. Man begriff aus seinem Spiel, was von seinem ungestümen Davonreiten nur erzählt wird. Mit vielem Anstand führte er ¦ die entscheidende Unterredung mit dem Sekretair Feldheim. Mögten wir nur von dem jungen Schauspieler, dem diese Rolle zu Theil wurde, auch so viel Gutes rühmen können. Noch ist er nicht Herr des Körpers und des Organs, womit die Natur ihn recht freundlich ausgestattet hat. Mienen- und Geberdenspiel sind noch viel zu wenig im Einklang mit dem, was er spricht. Gleich in der ersten Unterredung mit dem Major fiel dies so stark auf, daß viele sein späteres Spiel, worin wirklich Einiges mit Gefühl vorgetragen wurde, gar nicht sehen mochten. Bei solcher Jugend könnte die bescheiden zurücktretende, kleine Rollen mit treuem Fließ ausbildende Wißbegierde auch aus dem spröde scheinenden Stoff gewiß noch einen tüchtigen Künstler ausarbeiten. – Daß Hr. Hellwig, in Verbindung mit einigen andern wackern Schauspielern, die Rolle des Unterofficiers, so wie jene der Begleiter, übernommen hatte, wurde mit lautem Beifall anerkannt und ehrte den Künstler, der so das Publikum und den Dichter ehrte. Sein Unterofficier Schläger war in jedem Schritt und Wort, was er seyn sollte, und trug gewiß zum behaglichen Eindruck des Ganzen vieles bei. Selbst die Rolle des muntern Knaben, der das Soldatenspiel so gern mit machte, von Julius Schirmer mit angeerbtem Talent und munterer Unbefangenheit gespielt, – ihm war zum erstenmal eine durch das ganze Stück gehende Rolle zu Theil geworden – verdient darum einer Erwähnung, weil sie angenehme Hoffnungen erregte. – Möge uns Clauren, dem diese Blätter selbst so manche Erheiterung verdanken, bald wieder mit einem Brauttanz beschenken!
Den 30sten November wurde dies Stück bei vollem Hause wiederholt. Mancher kleine Anstoß wurde bei der zweiten Vorstellung vermieden, mancher mißfällige Ausdruck weggelassen oder verwandelt. Das Bivouak und die zweite Erscheinung des Lieutenant Kruse ging noch runder und fertiger. Nur möchte die sentimentale Tirade auf Bardikow’s Tod, hier vor Ulanen gesprochen, selbst im Munde des uniformirten Mädchens, kaum zu retten seyn. In der Schlußscene trug diesmal Dem. Schubert den Arm in der Binde und vermied den Handkuß. Mad. Hartwig spießte den Schäferstab sehr heroisch in den Boden, und hatte eine Rosenguirlande, als Abzeichen ihrer fantastischen Tracht, auch nach der Umkleidung beibehalten. Die Parodie aus Schillers Lied an die Freude war in eine weit passendere und kürzere umgeändert. So hatten Dichter und Künstler sich vereinigt, der Aufmerksamkeit des Publikums durch Nachhülfe entgegen zu kommen.
Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden: “Der Vorposten” von Carl Heun am 25. und 30. November 1817 (Teil 2 von 2)
Creation
vor 11. Dezember 1817
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 296 (11. Dezember 1817), f 2v