Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 15. Juli 1817
Den 15. Juli. Die Stricknadeln, von A. v. Kotzebue. Unter den Stücken, die nie veralten können, und die so lange auf den Repertorien verweilen werden, als die Directoren den Vortheil verstehen, die guten aber altgewordenen Rollen von Zeit zu Zeit frischen Schauspielern in die Hand zu spielen, stehen die Stricknadeln gewiß nicht auf der untersten Linie. Es ist aber ein eignes Kapitel in dem Buche, welches in italienischer Sprache wirklich vorhanden ist, La Saviezza dell’ impresario betitelt, geachtete Schauspieler, die ihre Rollen überlebt haben, oder vielmehr umgekehrt, die von ihren Rollen überlebt wurden, zur freiwilligen Abtretung und zum Umtausch gegen angemessenere zu bewegen. Da, wo Contracte erneuert werden, geht natürlich die Sache am leichtesten.
Die diesmalige, im Ganzen sehr gelungene und mit verdientem Beifall aufgenommene Vorstellung der Stricknadeln erhielt dadurch einen ganz besondern Reiz der Neuheit und einen frischen Firniß auf alte gute Malerei, daß Mad. Hartwig sich entschlossen hatte, die Rolle der alten Mutter, der Landräthin von Durlach, durch ihre bewährte Kunst höchst behaglich auszustatten, und durch ihr Spiel frühere Erinnerungen an ähnliche meisterhafte Darstellungen anzufrischen. Wir wollen der wackern Künstlerin über ihren, mit feinem Sinn gewählten Anzug, über die Maske, über gewisse durchs ganze Stück festgehaltene Geberden und Anklänge von Altersschwäche im Wackeln des Kopfes, trippelndem Gang, Haltung des Körpers, Spreizen der Hände, Sehnsucht nach dem Sessel u. s. w. keinen Lobspruch ertheilen. Das versteht sich hier von selbst. Aber mit großem Vergnügen bemerkten wir das, was wir die Vornehmheit ihres Spiels nennen möchten, die Entfernung von allem, auch dem leisesten Schatten von Caricatur und Lächerlichkeit, wodurch dergleichen Rollen nur zu oft in die platteste Gemeinheit herabgezogen werden. Wo der Dichter das Salz so sehr aufgehäufelt hat, da braucht man nicht mehr anzuschreiben: das ist ein Salzfaß! Gewiß hätte Kotzebue selbst, wenn er Augenzeuge gewesen, ausgerufen: ja, so dachte ich mir die alte Baronin! Zu dem gelungensten in dieser Darstellung rechnen wir die Scene mit dem alten Hausgesicht aus der Bedientenstube, mit dem treuen Christian. Denn nur dadurch, daß hier das Durchbrechen des Flämmchens Menschengefühl, durch die Eiskruste der Convenienz und des tiefeingewachsenen Ahnenstolzes uns als wahr erscheint und im möglichsten Einklang mit dem ganzen Charakter gebracht wird, der wohl unser Lächeln, aber nicht unsern Widerwillen erregen soll, wird die Schauspielerin, die ihrer Rolle ganz zu gnügen versteht, auch den Dichter wegen der plötzlichen Umwandlung am Schluß des Stückes zu rechtfertigen wissen. Ohne die so gemüthliche Unterredung mit Christian würde in der schnellen Hinneigung zu Amalien, die sie doch früher so unsanft und bitter behandelte, und in ihrer auf einmal in Liebkosungen übergehende Leutseligkeit eine Lücke bleiben, die durch nichts ausgefüllt wird. Es war nur Gerechtigkeit, daß ein so ergötzliches, vom Anfang bis Ende fein durchgeführtes und geründetes Spiel von einem zwar nicht zahlreichen, aber desto ausgesuchtern Publi ¦ kum die vollste und lauteste Anerkennung erhielt. Ein Kunstfreund in unsrer Nachbarschaft vermißte den Reifrock. Allein dieser hätte, wie nun die Sachen stehen, aus dieser alten Baronin durchaus ein Zerrbild gemacht!
Mad. Schirmer spielte mit jener vergnüglichen Sicherheit, durch die sich stets die wahre Künstlerin beurkundet. Sie wußte mit der harmlosen Unbefangenheit und Natürlichkeit eines Frohsinns, der sich nichts Böses bewußt ist und auch andern nichts Böses zutraut, alle die kleinen Schwächen zu verschmelzen, durch deren leichtsinnige Nichtbeachtung die Tugend selbst in Gefahr kommt. Die Rolle hat mehrmals wiederkehrende, ziemlich schroffe, vom Dichter flüchtig angelegte und etwas zu leicht skizzirte Uebergänge von der liebenswürdigen Gutmüthigkeit zur gereizten Heftigkeit und umgekeht. Unsere Künstlerin verstand es, dies mit psychologischer Wahrheit auszumalen, und unsre Theilnahme auch dann noch zu gewinnen, wenn das fremde Zuspiel mehr hemmend als fördern war. In der Scene, wo sie statt der gehofften Juwelen die Stricknadeln im Kästchen findet, und beim Lesen des Briefs von ihrer guten Mutter, entwickelte sie eine kunstgerechte Steigerung des Affects. Das unwiderstehliche Gelüst über das Männlein und Weiblein in der breiten Erzählung der Schwiegermutter laut aufzulachen, gab sie mit psychologischer Wahrheit, das Gebet in der darauf folgenden Scene mit Würde und Rührung. Das verhüllende Niederlegen des Kopfs auf den Tisch ist weit natürlicher als Ausdruck des Schmerzes und der Schaam, als das Vorhalten der Hände oder gar des Sacktuches, wie wohl sonst diese Geberde vergriffen wird. Ein geachteter und lebhaft fühlender Theaterfreund brach einigemal bei ihrem Spiel in lauten Ausruf der Bewunderung aus. Der Künstlerin mag dies leicht so viel gelten, als das volle Beifallklatschen.
Die Rolle des alten Sachwalters, des Advocaten Burrmann, darf durchaus nicht durch allzustarkes Auftragen ins Geckenhafte und Niedrigkomische herabgezogen werden. Wie könnte ein so fein fühlender Mann, als der Baron von Durlach hier geschildert wird und wie er von Hrn. Schirmer auch gespielt wurde, einen so auffallend pedantischen Menschen als seinen vertrauten Geschäftsmann seit so langen Jahren geduldet haben? Dies hätte wohl der Schauspieler, der uns heut den Burrmann gab, noch mehr ins Auge fassen und sein ganz unverkennbares Talent zum Niedrigkomischen hier mehr mäßigen sollen. Gesetzt auch, der Dichter hätte selbst in der Zeichnung der steifen Förmlichkeit und altväterlichen Ungelenktheit des Advocaten die Züge etwas stark aufgetragen, so zeigt sich eben darin der wahre Künstler, daß er nach Ifflands unvergeßlichem Muster da mildernd veredelt, wo der Zeitgeit dies zu fordern scheint. Das Geschlecht, wo dies ohne diese Mischung auftrat, ist jetzt ganz ausgestorben. Uns gnügt ein feiner Anstrich von Pedanterie und formeller Pünktlichkeit, der allerdings von eingefleischten Actenmännern auch jetzt noch unzertrennlich seyn mag, und jeder Gebildete weiß dem Künstler Dank, wenn er die in den obersten Regionen lachenden Zuschaer nur wenig berücksichtigt.
B.Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden: “Die Stricknadeln” von August von Kotzebue am 15. Juli 1817
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Veit
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 178 (26. Juli 1817), f 2v