Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 3. März 1817

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Am 3. März: Der Jude nach Cumberland. Das alte Stück, welches, so wie sich’s uns darstellt, von Inconsequenzen strotzt – man denke nur an die so oft ganz aus der Rolle fallende Rolle des geheimen Raths, den man neuerlich in den dramaturgischen Blättern mit Tiek’s König im gestiefelten Kater verglich – darf doch wegen der berühmten Rolle des Schewa nicht von unserm Repertorium gestrichen werden und brachte auch dießmal ein volles Haus.

Rascheres Spiel würde dem ganzen Stück in allen seinen einzelnen Rollen – wir nehmen die des jungen Braun aus, die von Herrn Julius ganz untadelhaft gegeben wurde – sehr wohl gethan haben. Indeß das alles ist doch im Grunde nur Einrahmung und Zuthat zum Schewa. Auf seinem Spiel beruht alles. Ihn allein will man auch nur sehen. Den Theaterfreunden schweben dabei zwei große Darstellungsweisen vor Augen. Man hat überall die Kunsttradition, wie ihn Iffland einst gespielt hat, und Devrient jetzt noch spielt. Es ist bekannt, daß Iffland einst nach der Darstellung in schönem Silbergeschirr eine vollwichtige israelische Anerkennung am Morgen darauf zugeschickt erhielt. Wir zeichnen hier nur die ersten Linien zu einem Umriß, wie wir uns diese Rolle denken.

Cumberland dachte sich in seinem Schewa bekanntlich einen portugiesischen Juden von jener weit höherstehenden Classe in England, die auf der Börse und in den wichtigsten Geschäften so viel wagen, als jeder christliche Kaufmann. Dennoch ist er durch und durch Jude, der aus der Armuth durch unendliche Sparsamkeit und Abdarben des Nöthigsten sich heraufgearbeitet hat. Dieß giebt ihm Ausdauer gegen die verächtliche Behandlung der Christen, ohne seine innere Vornehmheit zu zerstören. Jedes zu stark aufgetragene Colorit, jedes Anstreifen an Caricatur ist also Schewa’s Grundcharakter zuwider. Er muß höchst gemüthlich und höchst individuell gespielt werden. Die jüdische Aussprache muß mehr oder weniger leise anklingen, aber ja nicht vorherrschend seyn. Mehr oder weniger d. h. immer im Verhältniß zu den Personen, mit welchen er es zu thun hat. Anders schattirt sich sein Dialect, wenn er mit dem Geheimrath spricht, dessen Mäkler er gewissermaßen zu sein scheint, anders, weit würdiger und herzlicher, wenn er mit den beiden jungen Männern spricht, wieder anders, weit jüdischer und gemeiner, wenn er von seinen jüdischen Dienstboten umgeben im eigenen Lehnstuhl ruht, noch anders, und dies ist natürlich der ächte Grundton, nach welchen alle übrigen Nüancirungen abgemessen werden müssen, im Monolog z. B. in dem (ja nicht ¦ humoristisch zu gebenden) Soliloquium mit seinem vielfach gezwickten Magen. Man halte diese Foderung ja nicht für übertrieben. Devrient erfüllt sie mit der bewunderswürdigsten Gewandheit und Sicherheit. Eine Welt voll Spiel und Steigerung liegt in den Scenen, wo die bitterste Mishandlung und Verkennung seines Edelmuths endlich durch eine augenblickliche Aufwallung des edlern Selbstgefühls bestraft wird, wo er Funken aus dem geschlagenen Feuerstein hervorsprühen läßt. Iffland, der hier seine ganze Genialität entwickelte, pflegte indeß gerade in diesen Scenen peinlichster Demüthigung mehr gereizte, feinere Empfindlichkeit in die Unterredungen zu legen, wo der junge Braun die Banknote anstarrt und auf einem Augenblick unentschlossen bleibt, ob er sie aus Judenhänden geschenkt annehmen soll, als in die Scenen mit dem geheimen Rath, der sich zwar bis zur körperlichen Mishandlung vergessen kann (aber dieß schon nur bei einem leichten Antasten bewenden lassen muß), aber bei seiner dem Juden wohl bekannten geldsüchtigen Denkart das Gefühl des Gemißhandelten weit weniger empört, als der Sohn durch kränkenden Zweifel. Unübertrefflich spielte dann Iffland das schnelle Zusammensinken wieder in die resignirte Passivität. Nichts ist unangemessener, als das langsame Sprechen, ein Misgriff, wozu der Gedanke an die Gutmüthigkeit und tiefe Gemüthlichkeit des Schewa leicht verführen könnte. Auch dieser Jude verleugnet nirgends die Hastigkeit seines Stammcharakters. Endlich ist hier das sorgfältigste Studium der Maske, die doch wieder den sich selbst kasteienden Wassertrinker nicht zu grell bezeichnen muß, unerläßlich und der Schauspieler der den Schewa giebt, hat einen weiten Spielraum, seine plastische Erfindungskraft zu zeichnen. Es wird nun jedem, der Herrn Zwick diese von ihm mit besonderer Liebe und mit vielem Studium durchgeführte Rolle spielen sah, leicht werden, zu bestimmen, in wie weit auch ihm dasselbe Bild, oder ein noch richtigeres, sinnlicher gezeichnetes, vorschwebte. Das Publikum ließ einzelnen Partieen seiner Darstellung laute Gerechtigkeit wiederfahren. War es Beifall, welcher der vollendeten Kunstleistung gezollt wurde, oder nur Aufmunterung zu höherer Vollendung, dieß getrauen wir uns nicht zu entscheiden. Auf jeden Fall war es willige Anerkennung.

Herr Heine, welcher die Rolle des jüdischen Dieners übernommen hatte, erhielt und verdiente durch die lebendigste Individualität öftere Zeichen des Beifalls. In seinem die niedrigste Judennatur zur wahren Täuschung wiedergebenden Spiel wurde nur Eins noch vermißt, hell und deutlich articulirende Aussprache, die mit dem Dialekt recht gut bestehen kann.

B.

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: “Der Jude” von F. H. Brockmann nach Cumberland am 3. März 1817

Creation

vor 11. März 1817

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 60 (11. März 1817), f 2v

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