## Title: Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 23. Januar 1817 ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030056 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 23. Januar: Reue und Ersatz, Schauspiel in 4 Aufzügen von Vogel. Dieses Stück fand wieder große Gnade vor den Augen des Publikums. Es gehört bekanntlich zu den Ifflandischen Sentimentalitäts-Nachklängen, eine im Mangel schmachtende Mutter, ein alter Oheim der in sich geht, Erkennung, Aussöhnung u.s.w. Wird dies nun erträglich durchgespielt, so verfehlt es nie seine Wirkung. Und es wurde heute mehr als erträglich, es wurde in den meisten Rollen gut, ja sehr gut gespielt. Den größten und verdientesten Beifall ärndete Herr Burmeister in dem harten, und dann bußfertigen Oheim. Nur am Ende schien eine kalte Hand über sein Spiel gefahren zu seyn. Unser Gast, Herr Wilhelmi, der den Karl Baum gab, bewährte seine Beweglichkeit und komische Lebhaftigkeit auch dieses mal, und erfreute sehr. Nur da, wo der Wildfang zahm wird, wo er in wahren, herzlichen Ton übergeht, muß auch sein Spiel und der Ton seiner metall- und klangreichen Stimme noch viel weicher und biegsamer werden. Er fühlte dies wohl, that aber doch seinem innern Gefühl nicht volle Genüge. In einigen Scenen wurde ihm lebhafter und allgemeiner Beifall. Mad. Hartwig war, wie immer, in ihrer muntern Rolle sehr zu Hause und bedeckte auch durch ihr stummberedtes Spiel, z.B. wo sie sich vor der keifenden Tante hinter den Tisch flüchtet, und wo sie von dem ihr aufgedrungenen Liebhaber abgekehrt sitzt, die Blösen einer übrigens unbedeutenden Rolle. Mad. Drewitz spielte die zänkische Tante mit großer Wahrheit und Behaglichkeit. Nur darf, was der Dichter blos als Temperaments-Fehler und Angewöhnung betrachtet wissen will, nicht als Bösartigkeit erscheinen! Ohne Zusatz reiner Gemüthlichkeit führen dergleichen Uebertreibungen bald zum Ueberdruß. Hr. Haffner spielte den alten Comptoirbedienten mit vieler Laune, Herr Christ den Kaufmann Baum mit tiefem Gefühl, Mlle. Christ die Witwe mit natürlicher Anmuth, und Mlle. E. Zucker bewieß, daß sie nicht vergeblich ein schönes Vorbild vor Augen hat. Das Publikum bemerkte übrigens manchen fast lächerlichen Verstoß in Verwechslung der Ausdrücke, worauf einst Schröder in seiner Gesetzgebung eine eigne Strafe gesetzt hatte. Auch dürfte der in manchen auswärtigen Blättern neuerlich wieder sehr stark gerügte Mangel an einer guten Aussprache bei manchen übrigens sehr achtungswürdigen Mitgliedern unseres Künstlervereins volle Beherzigung verdienen. Es findet auch hier zwischen der Bühne und dem Publikum eine starke Wechselwirkung statt. In London und Paris sind die Schauspieler auch die ersten Gesetzgeber der feinsten Aussprache und der oberste Gerichtshof für streitige Fälle. Ein großer und nicht eben der unterste Theil des Dresdner Theaterpublikums wird von solchen Sprachmeistern auf der Bühne noch recht viel lernen können. Schlimm genug, wenn der umgekehrte Fall einträte! B.