Aufführungsbesprechung Hannover: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber im Juni 1822 (Teil 1 von 3)
Der Freischütz, von Friedrich Kind, componirt vom Maria v. Weber, erschien am 13ten März zuerst auch auf unserer Bühne und, wie überall, haben die beiden kundigen Schatzgräber auch unserer Theater-Direction eine reiche Goldader angeschlagen, welche so gediegen als unerschöpflich scheint. Zwölf Male wurde dieses in seiner Art einzige Werk der Kunst seitdem gegeben*, stets bei vollem, oft bei überfülltem Hause. Und ist doch Weber’s geniale Composition der Triumph der Deutschen über die Italiäner, der lyrischen Melodie über den Klingklang, sie steht in ihrer Originalität isolirt da, scheint eine neue Epoche in der Geschichte der Musik anzukündigen, und dem Componisten, welcher auf des unsterblichen Mozart’s, des Unerreichbaren, Unvergleichlichen, Grab eine neue Siegesfahne pflanzte, muß darum vom Vaterlande die Bürgerkrone dargebracht werden. –
Jagdmährchen und Jägerlegenden sind unter den buntfarbigen Volksgeschichten der Vorzeit immer die Anziehendsten geblieben. Sämmtlich tragen sie einen kühnen, heroischen Charakter; das blutige, gefährliche Waidwerk, die Nacht der Wälder, die rauhe Gebirgschlucht, durch die der kecke Bursche, sich und seinem Rohre vertrauend, einzeln hinzieht, vermehren die Schauer und die Spannung; man steht vor ihnen wie vor Salvator Rosa’s Bildern, wo zwischen Fels und Klippe eine Räuberbande lagert, oder durch todte Einöde und Trümmer ein einsamer Eremit gespenstisch hinwandelt. So ist auch dieser Stoff aus Apel’s Mährchenbuche vom Dichter wohl gewählt und wohl bearbeitet, indem er uns ohne Absprünge und fremden Flitter das Jägerleben in allen seinem Farbenspiele und allen seinen Schattirungen hinzeichnet, und selbst der Teufelsspuk, welcher durch die Geschichte tobt, ist weniger fremdartig, da nicht Satan selbst, sondern nur ein Abgesandter der höllischen Majestät, vermenschlicht in der Gestaltung des schwarzen Jägers, seine rothglühenden Fäuste nach den Schuldlosen ausstreckt, aber doch nicht selbst handelnd auftritt, nur wie ein dräuend Gewitter über dem Walde hängt und durch einen schon Verführten, durch den Freischütz Kaspar, neue Zöglinge und Opfer zu werben versucht. – Die Charaktere der Dichtung sind sämmtlich aus der Natur gegriffen und ausgemalt, so weit es der Operndichter durfte. Der Erbförster ist eine ehrliche, deutsche Haut, sein Völkchen mit Milde und Strenge, wie es Noth thut, regierend. Max gewinnt uns als ein junger Bursch, der noch am Scheidewege steht, der ohne Erfahrung und gewonnene Grundsätze von Leidenschaft und Furcht gefoltert, vom Schicksale fortgerissen, im Bösen Rettung sucht, ohne böse zu seyn. Kaspar ist der gefallene Mensch, wahrhaft gemalt; das Bewußtseyn plagt ihn, Eifersucht und Rachgier quälen; er verführt, weil für den verlorenen Bösewicht Trost darin liegt, böse Elendbrüder zu haben. Agathe charakterisirt stille Häuslichkeit und fromme Liebe. Annchen bringt uns das Bild harmloser, unschuldvoller Jugend; sie ist mit Vorliebe vom Dichter gezeichnet worden, und hätte vielleicht durch eine Herzensneigung, wenn auch zum bösen Kaspar, noch mehr in den Roman selbst verwickelt werden können, wo denn im letzten Akte, in welchem sie fast nur Statistin ¦ ist, ihr Hauptmomente des tragischen Schlusses zugefallen wären. Der Fürst ist eine edle Gestaltung; er darf jedoch nicht zu lebenvoll und herrisch genommen werden, denn nur schlichte Haltung kann seine schnelle Unterwürfigkeit bei dem Ausspruche des Eremiten wahrscheinlich machen, welche als Genius der Tugend eine Hauptfigur des Gemäldes ist und eine besondere Beachtung aller Directionen fordert; und selbst der Schützenkönig, der sich brüstende Bauer, ist in seiner kleinen Rolle, im Uebermuth und Pfauenstolze, sehr wahr erfunden.
Was der Dichtung, als solche, in der Aufführung schadet, ist vor Allen die Weglassung der ersten Scenen zwischen dem Einsiedler und der Agathe, worin das Verhältniß Beider zu einander und der Zauber der weißen Rosen klar wird. Die Laune des Componisten ist Schuld an der Weglassung, doch sollten alle Theater diese Scenen, wenn auch gekürzt und ohne Musik, vortragen lassen; die Verständlichkeit des Ganzen gewinnt dadurch; das Publikum würde nach der ergreifenden Ouverture eine Erholung gern haben; der Spottchor spränge nicht so grell hinter dem majestätischen Hauptstück drein, und der Decorator könnte durch eine kurze Waldgegend mit eingeschobener Klausnerhütte nicht in Verlegenheit gerathen. Ferner wollten uns unter Annchens launigen Einfällen die kreideweiße Nase und das Observiren des Himmels nicht schmecken, und zwar aus entgegengesetzen Gründen des zu Gewöhnlichen und des zu Gesuchten. Auch die Entwickelung am Schlusse wäre, anders eingerichtet, wirksamer; das Finale ist zu gedehnt, durch den Gesang geht manches Wort verloren und der Sinn wird undeutlich; die Entscheidung in Prosa gegeben und dann ein kräftiges Schlußchor diente besser zur Befriedigung der Hörer. –
Wenn wir jetzt zu der genialen Composition übergehen, so wird es dem Laien wahrlich schwierig, den Eindruck in Worte zu kleiden, den er bei dem wiederholten Besuche dieser Oper, die ihm nie Uebersättigung gab, empfing. Die meisten Referenten und Lobredner haben in der Ouverture ein Schema des Ganzen gefunden, nämlich den Sieg des guten Prinzips über das Böse. Aber mehr als das enthält dieses Meisterstück; es ist eines der vollkommensten Tongemälde, was je ein Musiker im Saale der Kunst zur Schau stellte, und es ist schwer, die Fülle der darin herrschenden Phantasie nachzuschreiben.
Ein schöner Morgen zieht am Himmel auf; leise wehet die frische Frühluft; die Sonne steigt majestätisch aus dem Nachtgewölk, und die Natur feiert. Andächtig begrüßt der Chor der Jäger den jungen Tag und preiset den Schöpfer, und Liebesstimmen mischen sich in das Morgenlied, und Geflister‡ reiner Traulichkeit knüpft sich an das Erstgeschäft der Frommen. – Da verkünden rauschende Sturmzüge das Heranziehen der neidischen Hölle; dumpfe Schüsse fern am Walde sagen die Nähe des schwarzen Jägers an, der im Gebirge hauset, und den Frieden der Nachbarn zu stören bedacht ist. Er ruft die Hölle zu Hülfe, und sie zieht heran im Ungewitter; Sturm und Hagelschlag brechen los; man hört das widrige Schwirren von den Fledermaussittichen der Satansbrut (treffliche und originelle Benutzung der Violinen!). Sie umkreiset die gewählten Opfer; doch ein Erzengel steht den Sterblichen zur Seite, und er fodert die Bewohner des Himmels auf, ihnen zur Hülfe.
(Die Fortsetzung folgt.)
Editorial
Summary
Ausführliche dramaturgische und musikalische Analyse von Webers “Freischütz”
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Kühnau, Dana
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 210 (2. September 1822), pp. 840