Carl Baermann sen. an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
München, Donnerstag, 22. November 1877

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Mein lieber hochverehrter Freund!

Erst heute ist es mir möglich Ihr letztes Schreiben beantworten zu können, da mich dasselbe leider noch sehr unwohl angetroffen hatte. Die Hexe scheint ganz sterblich in mich verliebt gewesen zu sein, da sie mich nochmals, als ich schon glaubte von ihren Umarmungen befreit zu sein, auf das Heftigste u. In[n]igste an ihr Herz drückte, so daß ich noch ganz steif davon bin. Ich konnte daher Ihre Fragen unmöglich früher beantworten, da ich erst vor einigen Tagen den Versuch machen konnte auszugehen, und da war denn mein erster Gang in das Hoftheater zur Bibliotheck. Beiliegend das Resultat meiner Forschung sowie der Abdruck des Theater-Zettels von der ersten Aufführung des Freischütz’s in München*. Noch eine Merkwürdigkeit hat sich bei der 200t. Aufführung dieser Oper ereignet:

Der Trompeter welcher im ersten Ackt bei der Bergknappen-Musik die Trompete bläst hat diese Oper von der ersten Aufführung bis zur 200ten alle Proben u. Aufführungen mitgemacht, u. war weder durch Krankheit oder Abwesenheit je daran verhindert*. Er feierte somit samt der Oper sein 200t. Jubiläum, und wurde von der Intendanz u. den Mitgliedern des Hoftheaters u. Hoforchesters reich beschenkt. Derselbe hieß Metzkopp war früher erster Trompeter bei dem Garde-Leibregiment, und starb leider im vergangenen Jahre. –

Was nun das übersendete von C. M. v. Weber sein sollende Concert* betrifft, so möchte ich fast jedes Wort Ihrer Kritick darüber unterschreiben, nur finde ich daß Sie dieselbe mit zu guten Herzen geschrieben. Ganz abgesehen davon Weber eine solche   ___ Schwachheit zuzutrauen für ein Concert das Beethoven’sche Thema seines Septettes zu nehmen, ist es doch geradezu zu d____  naiv Weber eine solche Bearbeitung zuzutrauen, den[n] schon nach den ersten 4 Tackten des Solos steht der O____  am Berg, und ich mußte wirklich herzlich lachen bei der ersten Durchlesung. Schade daß dies Beethoven nicht eingefallen ist!!! – Außerdem ist auch nicht ein einziger Tackt darin welchen ich Weber zumuthen möchte, und das Ganze eine recht gewöhnliche Dudelei, mit der man keine Katz hinter den Ofen hervorlockt. Es scheint mir überhaupt daß an diesen Opus sich mehrere Kräfte versucht haben, und daß die eine für die andere ergänzend eingetreten ist, so wie Z B: der Schneider das Maas nimmt, der Vorschneider den Rock zuschneidet, der Geselle den Rock zusammennäht, ein anderer die Knopflöcher ausnäht und der Posamentierer die Knöpfe dazu arbeitet. Der Himmel mag denjenigen in Gnaden verzeihen die dieses Machwerk für Weber halten können. O Gott verzeihe ihnen sie wißen nicht was sie thun! Für diese Herren sind keine Louisen gewachsen.____Oh Hövelmann!!!

Nun lieber bester Freund komm ich auch nochmals mit der Bitte: Lienau!!

Ich wollte bei meiner Rückreise von Danzig selbst zu Lienau gehen, allein mein Gesundheits-Zustand machte mir dieß rein unmöglich.

Wie ich Ihnen schon geschrieben habe verlor ich bei meinem letzten Wohnungswechsel mehrere Papiere, darunter das Verzeichniß meiner sämtlichen musikalischen Arbeiten. Ich habe nun dasselbe so weit wieder hergestellt bis auf meine Lieder, deren ich 131 geschrieben habe. Es ist mir nun gänzlich entfallen welche Lieder ich an Lienau abgetreten habe, und da ich mein Verzeichniß nicht vollenden kann, ohne dieß zu wißen, ([:] da ich doch angeben muß bei welchem Verleger meine Compositionen herausgegeben sind :), außerdem ich gerne wieder neue Lieder herausgeben möchte, so bitte ich Sie dringend sich nochmals mit Lienau darüber zu besprechen. Es wäre mir doch ganz entsetzlich wenn ich aus Unwißenheit Lieder an einen andern Verleger geben würde, welche ich schon an Lienau abgegeben hätte. Bitte daher inständigst um Erfüllung meiner Bitte.____

An Frau Gebhardt sind die Grüße bestellt, und dieselbe erwiedert sie auf’s herzlichste, ebenso meine Tochter Therese nebst Gatten, so wie Sie überhaupt von der ganzen Familie aus dem Blute Baermann gegrüßt sind, und vor allen andern umarmt u. geküßt vom alten Vollblut
Carl Baermann senior

Editorial

Summary

Schickt ihm das Resultat seiner Forschung und Abdruck des Theaterzettels der Münchener EA des Freischütz. Bei der 200. Aufführung hat der schon vordem erwähnte Trompeter Metzkopp wiederum gespielt, er starb 1876. Stimmt mit J. in dessen Urteil über ein übersendetes Klarinettenkonzert, das Weber zugeschrieben wird, überein, dass es nicht von ihm ist. Hövelmann hatte J. das Konzert zur Beurteilung geschickt. Des Weiteren bittet er J. bei Lienau nachzufragen, welche eigenen Liedkompositionen dort verlegt worden sind, denn er hat beim Umzug sein Verzeichnis verloren

Incipit

Erst heute ist es mir möglich Ihr letztes Schreiben

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. IV B [Mappe XVII], zu Nr. 1349 H. (1)

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Corresponding sources

    • Eveline Bartlitz, “Ich habe das Schicksal stets lange Briefe zu schreiben …”. Der Brief-Nachlaß von Friedrich Wilhelm Jähns in der Staatsbibliothek zu Berlin – PK. Die Briefe Carl Baermanns an Friedrich Wilhelm Jähns, in: Weberiana. Mitteilungen der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e. V., issue 8 (1999), pp. 41–42

    Commentary

    • “… Aufführung des Freischütz’s in München”Einen Faksimile-Druck des Zettels der EA hatte er Jähns schon am 15. April 1872 geschickt (vgl. Brief vom 15. April 1872).
    • “… oder Abwesenheit je daran verhindert”Vgl. dazu auch die Briefe vom 27. Februar und vom 19. März 1872.
    • “… v. Weber sein sollende Concert”Ein Herr Hövelmann, Lehrer aus Dortmund, hatte Jähns am 19. August 1877 ein angeblich von Weber komponiertes drittes Klarinettenkonzert Es-Dur zur Beurteilung übersandt, das vorher bereits der Musikverleger Lienau begutachtet und als nicht von Weber stammend eingeschätzt hatte. Eine von Hövelmann offensichtlich geplante Veröffentlichung im Druck hatte der Verleger abgelehnt, wie Hövelmann mitteilte (D-B, Weberiana Cl. IV B [Mappe XVII], Nr. 1349 H -1-). Lienau hatte bereits am 23. Juni 1877 Jähns per kurzer Postkarte auf das obskure Werk aufmerksam gemacht: Ich habe ein Clarinett-Concert N° 3 von Weber, d. h. ich habe es eigentlich nicht, denn es ist keins, aber doch vielleicht interessant für Sie, es anzusehen (D-B, Weberiana Cl. X, Nr. 408). Jähns bat auch Baermann um eine Stellungsnahme zu dem Werk. Vgl. dazu JähnsNachtrag zum Werkverzeichnis, zu Anh. IV, Nr. 119 E.

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