## Title: Rezension und Aufführungsbesprechung Hamburg: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber im März 1822 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032502 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Uebersicht der im März - Monat gegebenen Stücke. (Beschluß.)Wie sehr Preciosa die Gunst und den Beyfall des hiesigen Publicums sich erworben gehabt, haben die häufig wiederholten Vorstellungen dieses Stücks bewiesen, welche, seitdem dasselbe im verwichenen Spätjahr zuerst auf die hiesige Bühne gebracht worden, bey stets sich gleichbleibender Frequenz statt gefunden haben. Zwar konnte die Künstlerin, welche die Preciosa selbst vorstellte, nicht allen den Forderungen genügen, welche Dichter und Componist an diese dramatische Person gemacht haben, da sie nicht nur an den Tänzen der Zigeuner nur geringen, nur scheinbaren Antheil nahm, sondern auch die liebliche Arie des zweyten Actes zur Begleitung der Instrumente bloß melodramatisch recitirte, während die Flöte die Melodie des Gesanges übernommen hatte. Aber in den Vortrag der zum Recitiren bestimmten Stellen legte dieselbe eine Innigkeit, Wahrheit und Kraft des Ausdrucks, welche die Gemüther gar mächtig ergriff und zur regsten Theilnahme | hinzog, während durch den übrigen Apparat des ganzen Schauspieles die Schaulust auch der gemischtesten Zuhörer in bunter Mannigfaltigkeit gefesselt wurde. Zu seiner Zeit ist von dieser Darstellung umständlich in diesen Blättern geredet worden. (S. Dram. Bl. vom J. 1821. N. 83, S. 265 ff.) – In der letzten Zeit wurde Preciosa einstweilen bey Seite gelegt, besonders seitdem der Freyschütz, ausser anderen Vorzügen noch mit dem der Neuheit ausgerüstet, als Nebenbuhler jenem Stücke gefährlich schien. Inzwischen traten auch Gründe ein, welche in der Besetzung der Rolle der Preciosa eine Abänderung vorzunehmen Veranlassung gaben, und den Wünschen der Direction zufolge übernahm Dem. Pohlmann die Darstellung dieser Rolle. Diese talentvolle Künstlerin war nicht nur im Stande, die, obschon an sich kleine, doch gar gefällige Gesangpartie der Rolle mit auszuführen, sondern sie hat auch in mehreren Opern Beweise einer fertigen und sehr anmuthigen Tanzkunst gegeben, einer Fertigkeit, von welcher hier die zweckmäßigste Anwendung gemacht werden zu können schien. Auch als Darstellerin hat sich dieselbe Künstlerin schon mehrmals höchst vortheilhaft ausgezeichnet, weit mehr, als in der Regel selbst von den berühmtesten Sängerinnen in dieser Hinsicht geleistet wird. Nach diesen Voraussetzungen also konnte die Abänderung in der Besetzung dieser Rolle, wenn sie einmal statt finden sollte, nicht zweckmäßiger vorgenommen werden; und so ist das Stück mit dieser Ausstattung bereits zweymal am 27sten und 31sten März gegeben worden. Der Erfolg im Allgemeinen ist gewesen, daß Demoiselle Pohlmann nach beyden Vorstellungen mit rauschendem Beyfall gerufen worden ist. – Dem aufmerksameren Zuschauer möchte ich indessen bey dieser Darstellung noch die Bemerkung deutlich gemacht haben, daß die Anfoderungen | welche der Dichter und der Componist an diese Rolle gemacht haben, wirklich zu groß und überspannt seyen, und daß in einem so kurzen Zeitraume so verschiedenartige Anstrengungen, als die sind, welche eine sorgfältig gemessene Recitation, wilden leidenschaftlichen Tanz, und dazu auch noch Gesang, und zwar so getragenen Gesang Einer Person auferlegen, nicht zusammen gedrängt werden können, nicht nur ohne Nachtheil für die physische Kraft der Darstellerin, sondern selbst nicht ohne Nachtheil für die reine Kunstproduction, da nothwendig der eine oder der andere Moment einer so complicirten Leistung hinter der Linie der Gleichheit und der Vollendung zurückbleiben muß. Es ist überhaupt eine falsche Richtung unseres Zeitalters, die sich in den meisten Erzeugnissen der Künste wahrnehmen läßt, daß man durch Anhäufung ausserordentlicher Mittel, durch Vereinigung und Verschmelzung heterogener Theile den Reiz zu erhöhen und den Eindruck, welcher bis dahin durch edle Einfachheit und gediegene Kraft erreicht wurde, durch diese mit Betäubung wirkende Ueberraschung zu überbieten sucht. Das Staunen, das dadurch erregt wird, dauert eine Zeit lang, bis das unbehagliche Gefühl einer gewissen Leere nachschleicht, und dem Ueberreiz der Sättigung folgt auch hier, wie überall, Abspannung und Zurücksinken in Gleichgültigkeit, wenn nicht durch besonnene Leitung eine Rückkehr zum Besseren inzwischen erfolgt ist. Diese allgemeine Bemerkung wird verständlicher seyn, wenn man sie, – um ganz bey der Sache zu bleiben, – auf die neuere Ausbildung der Oper selbst nach den verschiedenartigsten Meistern, neben Spontini, Rossini u. a. auch unseren Weber nicht ausgenommen, oder auf die überladene Personenzahl unserer höheren dramatischen Gedichte u. dgl. anwenden will, wohin wohl, wenn diese Steigerung fortgeht, das am Ende führen muß – Doch um auf die gegenwärtige Vorstellung | der Preciosa zurückzukommen, so gebührt der Darstellerin derselben im Ganzen ein großes Lob, um so mehr, da dieser Versuch bey ihr als der erste in einer Gattung der dramatischen Kunst betrachtet werden muß, welche für sich allein vielfältige Vorbereitung und Uebung in Anspruch nimmt. Um den Werth dieser Leistung mit Billigkeit zu schätzen, darf man zunächst auch nicht vergessen, daß der Reiz der Neuheit für die Rolle ganz hinweg war, ausser dem, daß eine Vorgängerin, wie Mad. Lebrun, wohl einer viel geübteren Künstlerin den Wettstreit hier schwer machen mußte. Im Allgemeinen ist aber zu sagen, daß Dem. Pohmann in Hinsicht der äusseren Darstellung den strengsten Forderungen Genüge leistete, im Vortrag der Verse, sowohl in den Monologen, als im Dialog, durchaus richtig und fehlerfrey war, und darin eben so viel Klarheit des Verstandes, als Feinheit und Tiefe der Empfindung an den Tag legte. Wohl aber erkannte man, daß die junge Künstlerin sich hier in einem ihr noch etwas fremden Elemente bewege, darin, daß sie den Rhythmus, den eigentlichen Tact per Verse gewöhnlich zu schnell nahm, in den pathetischen Stellen noch nicht genug poetischen Aufschwung zeigte und besonders über die, in dieser Dichtung häufig anwendbaren oder vielmehr nöthigen Gedanken-Pausen viel zu rasch hinweg glitt. Jene Schnelligkeit des Rhythmus im Vortrag der Verse, – ein Fehler, welcher leicht aus der Conversationssprache angenommen werden kann, – und eben so jene Vernachläßigung der Gedankenpausen führen den Nachtheil mit sich, daß der Zuhörer nicht Zeit gewinnt, den Gedanken und die Empfindung, welche selbst durch den Wohllaut des Verses mit befördert werden soll, in seiner Seele aufzufassen, und ganz somit dem Redner zu empfinden, wie es nöthig ist, wenn die ächte Theilnahme erregt werden soll. Auch jene Pausen wollen das, daß der Zuhörer gleichsam sich zu sammeln Gelegenheit finde, so wie ebenfalls in dem | Gemüthe des Sprechenden die Empfindung ja nicht immer in gleichen Wellenschlägen auf und abwogt, sondern in wechselnder Mannigfaltigkeit, und durch Momente der Ruhe und des Stillstandes unterbrochen wird. Ist daher eine Stellung in solcher Art des Vortrages zu Ende, so fragt sich oft der Zuhörer selbst mit Verwunderung, wie es gekommen sey, daß diese schönen Worte, diese anmuthigen Gedanken, die seinem Ohre vorüber geklungen, ihn so wenig ergriffen, erwärmt und begeistert haben? ohne sich immer der Ursache bewußt zu werden, die, in dem glücklichsten Fane – wie hier, – keine andere ist, als daß ihm zur völligen Auffassung die gehörige Zeit nicht gelassen wurde. Ich hielt diese Bemerkung hier für zweckmäßig, da sie nicht blos für den vorliegenden Fall gilt, sondern auch auf viele andere Gelegenheiten Anwendung leidet und jedem recitirenden Schauspieler zur Beherzigung zu empfehlen ist, – den jüngeren am meisten, weil da noch Besserung leicht und möglich ist. Für Preciosa gilt das Gesagte am meisten für den ersten Act, und auch da besonders für das Improvisationsstück, den durchaus noch sein ächter Charakter fehlte. Dem. Pohlmann recitirte es mit Anmuth und Richtigkeit, wie ein Gedicht, das über den aufgegebenen Gegenstand ihr in den Mund gelegt wird. Aber so ist es nicht. Wir, die wir vor der Bühne stehen, sollen in diesem Moment in die Täuschung versetzt werden, daß die Rednerin eben jetzt das Gedicht selbst schaffe, aus der Tiefe ihrer Seele hervorhole und in den abgemessenen Strophen, so wie sie die Gedanken in sich weckt, frisch, kräftig und begeistert uns mittheile. Ein Augenzeuge solcher Improvisationen macht unter andern folgende Beschreibung davon: „Nachdem der Improvisatore seinen Gegenstand erhalten, verzieht er einen Augenblick, um nachzudenken, um ihn von allen Seiten zu betrachten und den Plan zu dem kleinen Gedichte, das er hervorbringen | will, zu entwerfen. Er faßt alsdann die ersten acht Verse ab, um, wenn er sie spricht, sich selbst den Anstoß zu geben, und sich dadurch in diejenige Seelenstimmung zu setzen, die ein neues Wesen aus ihm macht. Nach einigen Minuten ist er bereit, und beginnt zu singen: und diese im Augenblick geschaffene Dichtung hat oft fünf oder sechs hundert Verse. Seine Augen schweifen umher, sein Gesicht glüht, er ringt mit dem prophetischen Geiste, der ihn zu beseelen scheint. Nichts kann in unserer Zeit die delphische Pythia auffallender darstellen, wenn der Gott über sie kam und durch ihren Mund sprach.“* ) *) S. Sismondi's Litteratur des südlichen Europa, Bd. 1 S. 749 f. wo auch von einigen der berühmtesten italienischen Improvisatori der Rede ist. – Sehr zweckmäßig ist dieses Stück mit einigen Accordgriffen begleitet und mit ein paar Uebergängen zwischen den Strophen: – aber gerade diese Accorde und diese Uebergänge können zugleich als Fingerzeige dienen, daß der sinnende Geist in diesen Momenten schöpferisch die Gedanken hervorzurufen scheine, und diese nicht anders, als in musikalischem Rhythmus und mit einem den Gedanken angemessenen Klimax der Empfindung und des Ausdrucks vorgetragen werden können. Wohl gelungen und ganz der Situation entsprechend war der Ausdruck der Mienen und Gebehrden in den Augenblicken, die zwischen der vorgelegten Aufgabe und dem Anfang des Gedichtes liegen; aber der Schluß fiel aus den obigen Gründen zu matt ab. – In das Einzelne der nächstfolgenden Scenen einzugehen würde uns hier zu lange aufhalten: einzelne Momente könnten ausgezeichnet werden, welche gegen die Darstellung der Vorgängerin in dieser Rolle keineswegs zurückstehen, vielleicht hie und da den Vorzug verdienen, da nämlich, wo mehr naive Herzlichkeit sich aussprechen soll, als tragischer Ernst. Ueberhaupt gewinnt die | Darstellung im Fortgange an Wärme und Innigkeit; jener im ersten Acte am meisten fühlbare Mangel verschwindet unmerklich und gegen das Ende hin wird die Theilnahme allgemein und innig, so daß selbst die Rührung nicht ausbleibt. Da dies alles durch einfache, ungekünstelte Mittel geschieht und die Würde und Reinheit der Kunst auf solche Weise nicht beeinträchtiget wird, so ist das ein Beweis, daß die Darstellung auf dem rechten Wege verblieben und die Darstellerin selbst nicht ohne inneren Beruf zur Lösung dieser Aufgabe gegangen sey. – Recht gefällig und charakteristisch ist die gewählte Zigeunerkleidung und macht, da sie nach einer Vorzeichnung der Dem. Pohlmann geordnet ist, der Erfinderin Ehre. – In der Besetzungung der übrigen Rollen hat weiter keine Abänderung statt gefunden. Nur bey der Zigeunermutter Wiarda bemerken wir ungerne, daß Madame Fischer, welche jetzt im Besitz dieser Rolle ist, seit ihrer ersten Darstellung diesen Charakter immer mehr in das tändelnde Komische herüberzieht, wovon er doch weit entfernt ist. Eben so wenig bleibt zu loben, daß sie die Stellung ihrer Rolle, die eine Unterordnung selbst gegen Preciosen, noch mehr aber gegen die Spanischen Herren da, ja vor dem durch ihren begangenen Raub schwer beleidigten Don Francesco de Carcamo eine eigentliche Demüthigung erheischt, gänzlich aus den Augen setzt und über dieses Verhältniß ganz leicht und heiter hinwegeilt. Es ist ja freylich ein Spiel, was auf diesen Brettern vorgestellt wird, aber ein Spiel der ernsten Kunst, die auf Wahrheit und Ordnung gegründet ist, nicht aber ein Spielen, ein Erzeugniß loser und leichtfertiger Willkühr.