## Title: Aufführungsbesprechung Mannheim, Großherzogl. Schaubühne: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 5. Mai 1822 (Teil 2 von 2) ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031787 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Großherzogl. Schaubühne in Mannheim.Der Freischütz.Beschluß.Der ausgezeichnete Ruf, welcher dieser Oper vorangegangen war, hatte alle Anwesenden in die größte und gespannteste Erwartung gesezt, das Haus war gedrückt voll, alle Logen besezt, und schon um 5 Uhr kein Sitz mehr im Parterre zu erhalten. Seit langer Zeit herrschte keine so überaus große Ruhe und Stille beim Beginn der Ouvertüre. – Welch Meisterstück! – ein karakteristisches Gemälde der ganzen Handlung, eine getreue Darstellung der vorzüglichsten Szenen; wie schön ineinander geflochten, wie herrlich, kunstvoll und kräftig durchgeführt, mit welchem Aufwand von Harmonie und Kunst! Diese herrlich gelungene, durch unser braves Orchester mit Liebe und Feuer ausgeführte Eröffnung der Oper riß zum allgemeinen Beifall hin, den das Publikum durch lautem Jubel und Bravorufen aussprach; wohl schwerlich wird sie irgendwo besser gegeben worden seyn. – Der Vorhang rollte hinauf, und zeigte eine freundliche Waldgegend, deren Vordergrund mit frohen Landleuten angefüllt war. Der erste Chor derselben – ein Viktoria über den so eben gefallenen besten Schuß des reichen Bauers Kilian – ist glänzend und eigenthümlich, und das darauf folgende Lied Kilians in Verbindung mit dem äußerst genialen Necke-Chor, welcher den anwesenden 2n Jägerpurschen Max, der heute den schlechtesten Schuß that, verspottet, von der besten Wirkung. Das hierauf folgende Terzett nebst Chor, zwischen Max, Kuno und Kaspar, – der einen Bund mit dem Bösen hat, und ersteren zu überreden sucht, kommende Nacht mit ihm Freikugeln zu gießen, die sicher treffen, und ihm beim morgenden Probeschuß die Braut zuführen würden – ist ein vortreffliches Tonstück, das sich mit dem besten Erfolge dem Kirchenstile nähert. Die darauf folgende Arie des Max, nach dem national-böhmischen Walzer, ist von herrlicher Wirkung, und wurde von Hrn. Wiseneder trefflich gesungen, weil sein Gesang stets zum Herzen spricht, wenn er auch nicht immer einen bleibenden Eindruck hinterläßt. Die lezten 2 Musikstücke des 1n Akts – das Trinklied und die darauf folgende Arie Kaspars: „Schweig, schweig – damit dich Niemand warnt!“ – sind karakteristisch, gehören zu den besten Stücken der Oper, und wurden von Hrn. Kühn, der überhaupt seine ganze Partie, sowohl in Spiel als Gesang, fleißig durchführte, recht brav vorgetragen. – Der zweite Akt fängt mit einem lieblich schönen Duett zwischen Agathe und Annchen an. Die bange Sehnsucht der erstern nach dem Geliebten und ein gewisses unruhiges Vorgefühl von Unglück, drückt der Kompositeur mit einziger Wahrheit aus, während dem Annchen sie mit freundlichen Worten und Melodieen zu erheitern sucht. Dieses Duett sprach auch ungemein an, und wurde von Frln. Ringelmann und Kinkel mit Fleiß und Einsicht behandelt, so wie auch die hierauf folgende überaus gefällige Ariette Annchens, mit Hrn. Maas lieblicher Oboebegleitung: „Kommt ein schlanker Pursch gegangen“, von Frln. Kinkel eben so gefällig zurückgegeben wurde. – Agathe’s Szene und Arie: „Wie nahte mir der Schlummer“ ist von der schönsten Wirkung, und der feierlich religiöse Schwung des damit verbundenen Gebets, ist so fromm und lieb, daß er des Herzens tiefste Rührung erregt. Ganz herrlich und mit stets steigendem Gefühl sang Frln. Ringelmann diese Arie, so daß ihr besonders die fortschreitende Vervollkommnung im deklamatorischen Gesang zu nicht geringem Lobe gereicht. Endlich kommt Max und es folgt ein überaus herrliches Terzett, zwischen Agathe, Annchen u. Max. Noch in später Nacht will dieser wieder in den Wald hinaus, und giebt vor, einen bei der Wolfsschlucht in der Dämmerung erlegten Sechzehnender hereinschaffen zu müssen. Agathe will ihn nicht gehen lassen, denn dieser Ort sey verrufen, dort hetze der wilde Jäger. Max aber hat Kasparn zu kommen versprochen, er reißt sich los, kehrt aber noch einmal zurück, und nun tritt das Andante: „Doch hast du auch vergeben“ in Art eines Kanon’s ein, welches ganz vortrefflich gearbeitet ist, und in jeder Hinsicht gut zurück[ge]geben ward. Jetzt verwandelt sich die Szene, und es beginnt die Teufelsbeschwörung Kaspars in der furchtbaren Wolfsschlucht, er verlangt von dem Bösen die Verlängerung seines Kontrakts, und bietet seinen Jagdgesellen als neues Opfer dafür an, welches der Unhold bewilligt. Bald erscheint Max, u. Kaspar beginnt nun unter schauerlicher Musik, die Alles in sich vereint, was die Phantasie zur Erweckung und Belebung des Grauenhaften aufbieten kann, die begehrten Freikugeln zu gießen. Ein Nachtheil für die volle Wirkung dieser der Szene analogen, gewissermaßen abentheuerlichen Musik ist, daß solche durch die Aufmerksamkeit, die der Zuschauer den mannichfaltigen, ergreifenden Erscheinungen widmet, verloren geht, und es fällt schwer, ob man sich mehr von der Handlung, oder von der Tonmalerei hinreißen lassen soll. Bei der siebenten Kugel stürzt Kaspar zu Boden, Max springt aus dem Kreis und das Nachtstück schließt mit der Erscheinung Samiels, der mit furchtbarer Stimme Maxens Hand faßt, welcher nun auch zu Boden stützt. … Es beginnt der dritte Akt. Eine liebliche Jagdmusik führt uns aus den Schrecknissen der Nacht in das heitere Leben des Tages zurück. Kaspar hat 3 Freikugeln behalten und die andern 4 seinem Kameraden überlassen. Durch 3 Schüsse hat Max gleich am Morgen den Fürsten in Erstaunen gesezt, auch Kaspar hat die seinigen mit Vorbedacht verschossen, damit Max beim Probeschuß durch die siebente nur noch allein übrige Kugel, die Satans Macht leitet, in seine Gewalt falle. Die fromme Kavatine Agathe’s nach dieser Introduktion ist einfach, herzlich und gemüthvoll, und die darauf folgende komische Romanze Annchens: „Einst träumte meiner sel’gen Base“ von ächt humoristischer Laune, und gefiel sowohl durch das brave Akkompagnement des Hrn. Eisenmenger mit obligater Violine, als auch durch den artigen Vortrag der Frl. Kinkel ganz besonders, so wie sich denn auch die damit verbundene Arie, als ein kleines | hors d’Oeuvre, durch gefällige Melodie einschmeichelte. Der liebliche Ton des Volksliedes ist in dem nun folgenden Chor der Brautjungfern mit so viel Wahrheit und Einfachheit getroffen, daß dieses Lied nicht nur zum reinsten Wohlgefallen stimmt, sondern auch beim Zuhörer all die süßwehmüthigen Empfindungen weckt, die das Gemüth der ahndungsschweren Braut von Anfang an bestürmen. Schade, daß die Anführerin des Chors dem Gesange nicht hinlänglich gewachsen war. Nun verändert sich die Handlung und das fürstliche Hoflager erscheint. Ein herrlich ermunternder Jägerchor, der überall sehr großes Glück machte, eröffnet die Szene, ward aber nicht wünschenswerth gesungen, und war überhaupt zu schwach besezt. Dieser Chor wird durch ein kurzes Gespräch des Fürsten mit Kuno unterbrochen, und nun verlangt der Fürst den Probeschuß des Max. Er legt auf eine weiße Taube an, im nämlichen Augenblick aber tritt Agathe zwischen den Bäumen heraus, wo die weiße Taube sizt, und schreit, schon früher durch einen schweren Traum beängstigt: „Schieß nicht, ich bin die weiße Taube!“ Die Taube flattert auf, und fliegt dem Baume zu, welchen Kaspar, neugierig des Ausgangs harrend, erstiegen hat. Max folgt mit dem Gewehre; der Schuß fällt, und sowohl Agathe als Kaspar schreien und sinken. Hier geht nun der Dichter Kind völlig von Apel’s Mährchen ab. Das Finale der Oper beginnt; Agathe wird in den Vordergrund gebracht; sie erholt sich aus ihrer Ohnmacht des Schreckens; der Chor erhebt sich in Preis und Dank, und der teuflische Kaspar haucht, denn er war vom Schuß getroffen, seine Seele in den lezten Zuckungen gräßlicher Flüche aus. So erreicht die Oper, durch die Erscheinung des Eremiten, und durch dessen Vermittelung, einen glücklichen Ausgang, und der Schlußchor besingt, in Akkorden der Würde und des milden Ernstes, die moralische Wendung, die der Dichter seiner Bearbeitung zu geben für gut fand. Es ist ohnstreitig sowohl für diesen Schluß, als auch für die Szene mit dem Jungfernkranz nicht vortheilhaft, daß Hr. v. Weber die zwei Einleitungsszenen nicht mit komponirt hat, weil jene ohne diese nicht wohl verstanden werden können. Es leidet keinen Zweifel, daß Weber durch dieses Werk, sich großes Verdienst um die teutsche Oper erworben hat, da er bemüht ist, den verdorbenen, irregeleiteten Geschmack wieder auf die rechte Bahn zu bringen. Dieß muß ihn unsterblich machen. Jedes der darin vorkommenden Musikstücke ist tief durchdacht, jeder Karakter treu gezeichnet. Vieles ist wahrhaft Cherubinisch, und um desto verdienstlicher, da Weber’s Genialität dennoch originell dabei besteht. Möge die allgemeine ehrenvolle Aufnahme dieses seines Kunstproduktes ihn anfeuern, uns mehr so herrliche Genüsse zu bereiten. – Jetzt nur noch ein paar Worte über die Ausführung dieser Oper auf unserer Bühne, indem wir bereits in der Erzählung des Ganzen den Fleiß mehrerer Darsteller rühmlichst anerkannt haben. Zuförderst verdient die verehrl. Intendantur den wärmsten Dank, daß sie weder Kosten noch Mühe scheute, um diese Oper in äußerer Gestalt und Täuschung würdig vorzuführen, dann aber auch der Hoftheatermaschinist Hr. Hölzel das beste Lob für die neu angefertigten Dekorationen der zwei Waldgegenden und des Wasserfalls, – minder der vom Altan hereinblickenden sternhellen Mondnacht, welche zu nah erschien – besonders aber, wegen der meisterhaften Maschinerie der Erscheinungen in der Wolfsschlucht. Dem Zimmer im Jägerhause, hätten wir eine dunklere Lokalfarbe, im Geschmack von Hautelice-Tapeten, gewünscht, um dadurch das Alterthümliche eines ehemaligen fürstl. Waldschlosses zu bezeichnen. Rücksichtlich der Darstellung verdienen Hr. Kühn, als Kaspar, durch hohen Fleiß und richtige Karakterauffassung, so wie auch Frln. Kinkel, als Annchen, durch ein ihrer Rolle ganz besonders zusagendes glückliches Naturell, vor allen rühmliche Anerkennung ihres Bestrebens und Talents, da hingegen Frln. Ringelmann (Agathe) und Hr. Wiseneder (Max) durch vorzüglichen Gesang dies Meisterwerk zu ehren sich bemühten. Ganz vortrefflich war heute unser braves Orchester zu nennen, dem man die Liebe zu diesem Werk ansah und anhörte. Genauigkeit, Gefühl und Ausdruck, nebst Kraft und immer zunehmender Stärke gaben eine so herrliche Ausführung, daß der Totaleindruck bisweilen von recht schauerlicher Wirkung war. Dieser Fleiß verdient die höchste Anerkennung, besonders in der Rücksicht, daß nicht mehr als vier große Proben von dieser Oper gewesen seyn sollen, und dennoch nichts zu wünschen übrig blieb. Von ganz prächtiger Wirkung waren die in dieser Oper so gut benuzten 4 Hörner und 3 Posaunen. So bewies die ganze Leistung des Orchesters – manchmal nur zu feurig – Liebe und Würdigung der großen Meister-Talente Weber’s, und beurkundete zugleich die eigenen auf das Schönste und Preiswürdigste. – – Möge nun auch die verehrl. Intendantur von Seiten des Publikums, sich gleich ehrender Anerkennung zu erfeuen haben, wenn sie es sich angelegen seyn läßt, Meisterwerke dieser Art in die Scene zu bringen. v– K*.–*.