## Title: Aufführungsbesprechung Wien, Theater an der Wien: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Sommer 1822 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031579 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Novellistik.Theater an der Wien.Herr Hambuch vom Studtgarter Hof-Theater, trat bereits in drey Rollen mit ziemlich glücklichem Erfolge in k. k. priv. Theater an der Wien auf, nähmlich: als Max in Weber's Freyschützen, als Johann von Paris und als Don Juan. Er zeigte sich als braver Sänger und routinirter Schauspieler. Seine Stimme ist ziemlich wohlklingend und abgerundet, obgleich sie in den tieferen Corden etwas hohl klingt, sein Umfang nicht unbedeutend, seine Intonation gewöhnlich rein, sein Vortrag ist oft durchdacht zu nennen, und grössten Theils passend. Er ist einer von den wenigen Sängern, denen es gelingt, auch durch ihr Spiel sich bisweilen geltend zu machen. (Diess „geltend“ bezieht sich doch nur immer wieder auf Sänger. Denn es ist doch nur wenigen Glücklichen vergönnt, als dramatische Sänger so in das innerste Wesen der Schauspielkunst zu dringen, dass ihre dargestellten Charakterbilder ein wahres lebendiges Colorit mit einer ganz correcten und schönen Zeichnung verbinden. Wie viel gehört beym Schauspieler dazu, dass er den Beschauenden nicht jeden Augenblick an die Regeln der Dramaturgie störend erinnere, sey es nun durch Beobachtung und Vernachlässigung. Aber noch weit seltner ist's, dass zugleich die schwere Kunst des dramatischen Gesanges in einem gewissen Grade der Vollkommenheit ausgeübt werde. Gewöhnlich sagt man also vom Sänger, dass er ein guter Schauspieler sey, wenn er nicht gerade auf eine ganz entgegengesetzte Art die Worte betont, accentuirt und durch Minenspiel und Körperbewegung begleitet. Wenn er also nicht nach Art eines wilden Volkes beym Jasagen mit dem Kopfe schüttelt.) Von Herrn Hambuch aber muss zur Ehre der Wahrheit gesagt werden, dass seine Routine recht lobenswerth ist, wenn wir auch mit seiner geistigen Ansicht der Rolle nicht immer zufrieden sind. Er spielt mit Freyheit, wenn auch gleich ohne poetische Auffassung. So war sein Spiel im Freyschützen nicht eben störend, aber sein Max war etwas zu materiell. Von der romantischen Sentimentalität, welche der Dichter sowohl, als auch ganz besonders der geniale Compositeur in diesen Charakter legten, blickte wenig durch. Der Vortrag seiner Arie: "durch die Wälder" wurde sehr beyfällig aufgenommen, aber noch schöner nüançirte er in den Ensemble-Stücken des zweyten Actes. (In der Wolfsschlucht schien' es als ob eben seine Theater-Routine ihn allzu feuerfest gemacht, und mit der transparenten Natur der Gespensterwelt allzu bekannt gemacht hätte; denn nach dem Donnerschlag war Max schnell wieder bey der Hecke, und wollte noch dem fast ohnmächtigen Kaspar auf die Beine helfen. Max sollte sich doch ein Bisschen mehr fürchten, als Caspar). Diese ganze Aufführung des Freyschützen zeigte übrigens bey allen Mitwirkenden, wie lieb ihnen ihre Parthien seyen, und wie innig die Composition auf sie wirke, es war eine Darstellung con amore, auch von Seiten des Orchesters. Dlle. Schröder machte als Agathe grossen Effect durch den Klang und die sonore Kraft ihrer Stimme sowohl, als durch den gemüthlichen Vortrag ihrer Parthie. Die Fortschritte welche sie in der Singkunst machet, sind rühmliche Beweise ihres Fleisses. Manche Stellen, welche bis jetzt gar oft mangelhaft erschienen, waren heute schön deutlich und präcis zu hören. (Wer kann sich aber wundern, wenn eine junge Sängerinn gewisse Momente, die im Piano vorgetragen werden sollen, so leise singt, dass sie die | selben zwar Piano selbst hört, aber vom entfernten Publicum wenig oder gar nicht verstanden wird. Die Berechnung der Kraft der Stimme, die genaue Kenntniss von der Wirkung, welche der Gesang in der Ferne macht, diess kann nur durch eine längere Übung erworben werden. Wie glücklich wäre der Sänger, wenn er bey seinen früheren Auftritten bey der Casse auch einen gesperrten Sitz für seine werthe Person lösen, und sich mit ganzer Aufmerksamkeit und halber Eigenliebe anhören könnte, um zu begreifen, wie viel Kraft erforderlich sey, um das zarteste Piano doch so verständlich zu machen, dass die in den Logen, im Parterre und den Gallerien vertheilten Zuhörer auch jeden Ton wirklich verstehen, und die dem Gesange vermählten Worte des Textes vernehmen hönnen. Manche Anfänger der dramatischen Singkunst fehlen daher sehr leicht bey ihren ersten Versuchen, indem sie zarte Stellen nach demselben Massstabe behandeln, den zu beobachten, sie sich bey ihren Studien am Fortepiano angewöhnt haben. Noch eines ist zu sagen! Ein Sänger, der zum dramatischen Gesange übertritt, gleicht gewöhnlich einem Maschinisten, der auf seine im Modell aufgestellte und geprüfte Erfindung ein Privilegium erlangt hat, und nun im Vertrauen auf die gewaltige Hebel- und Springfederkraft dieselbe zum ersten Mahle im Grossen aufstellt, aber bey der Verwirklichung seines idealen Traumes durch die sonderbare Erscheinung ganz gewaltig erschreckt wird, weil er alle nach dem verjüngten Massstabe berechneten Kräfte nun in der Anwendung viel zu schwach findet. Er wundert sich, dass er alles anders findet, als er in seinem Laboratorium sich einbildete. Gerade so verhält es sich mit dem Theater-Sänger, wenn er von seinem Fortepiano wegtritt, und das erste Mahl auf den durchschnittenen, glatten, gefahrdrohenden Bret[t]ern der Bühne wandelt. Diess beyläufig. Mdlle. Schröder hat übrigens in so kurzer Zeit bedeutende Forschritte gemacht). Demoiselle Thekla Demmer sang und spielte ihre Annchen so brav, dass ihr recht aufmunternder Beyfall zu Theil wurde; eben so wurde die Rolle des Caspar heute zum ersten Mahle von Herrn Seipelt mit dem lebhaftesten Eifer gegeben, so zwar, dass er, obwohl es sehr schwer war, nach seinem trefflichen Vorgänger Effect zu machen, dennoch mit gerechtem Beyfalle belohnt wurde. Die Chöre gingen vortrefflich, das Publicum war mit der ganzen Vorstellung zufrieden. […]