## Title: Reaktion auf eine Münsteraner Freischütz-Besprechung vom 28. Oktober 1823 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031326 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Theater-Nachrichten.#lb#Münster, den 3. November 1823.An unsern vorjährigen sowohl als diesjährigen Theater-Nachrichten hat man gerügt, daß sie zuviel Lobeserhebungen spendeten und das nicht Lobenswerthe und im Stillschweigen übergingen, während eine ächte Theater-Kritik über die Schauspieler – als öffentliche Personen – bisweilen herfallen und sie geißeln müsse. Ist nun gleich dieser Vorwurf ungegründet, als wir manches zum Besten der aufgetretenen Schauspieler dienende Bemerkung uns erlaubt und sie wohl auch beachtet gefunden haben; so muß man doch im Allgemeinen zugestehn, daß es genug ist, wenn sonst würdige Künstler und Künstlerinnen in Rollen, wo sie nicht genügten, mit Stillschweigen übergangen, und einer Zurücksetzung überlassen werden, welche das feinere Gefühl und edlere Selbstbewußtsein schon hart genug verletzt. Wenden wir dieses unser Glaubensbekenntniß auf den vom 28. v. M. datirten, in Nro. 248 dieses Blattes ersichtlichen Aufsatz über die Ausführung des Freischütz an, so können wir nicht bergen, daß uns die Stimme des Volks anders, als dort, erklungen ist. Was zuvörderst die junge, als Agathe aufgetretene Künstlerin anlangt, so entging keinem Unbefangenen ihre jugendlich frische, sonore Stimme, ihre Anlage zu richtiger Modulation und zum dramatischen Vortrag, ihre schöne Figur und liebenswürdige Bescheidenheit. Wir erkannten alles dies laut genug an und bemerkten mit Vergnügen, daß sie durch das herrliche Vorbild einer Mad. Spengler und unter der sorgfältigen Leitung des Herrn Lindner ausgezeichnet werden könne. Wir würden dies in unsern Theater-Nachrichten, wie hier, gelobt, nicht aber gleichzeitig und, so zu sagen, beiläufig eine andere brave Künstlerin unnöthiger Weise gedemüthigt haben. Denn einmal konnte hierdurch die junge, angehende Künstlerin nicht höher gehoben werden, als sie es schon war; und denn hatte ja die zu Gunsten der letztern erschollene Volksstimme sich noch nicht zum Nachtheil jener braven Frau geäußert, die uns Jahre lang durch ihren Gesang erfreuet und dadurch mindestens Toleranz und Dankbarkeit verdient hatte. – Wenn es gleich nicht zu leugnen ist, daß letztere in reiner Höhe und Intonation verloren hat, so sind dies doch nur etwa 3–4 Töne, welche ihr wohl abbrechen; wogegen ihre Tiefe und Mittelstimme noch jetzt vortrefflich ist und wir die Ueberzeugung hegen, sie werde z. B. als Tankred ausgezeichnet seyn, wenn ihr die Direction im Einverständnisse mit der Theater-Committee, welche jetzt die Volksrepräsentation in dieser Hinsicht bildet und daher die wahrhaften Mängel der Theater-Verwaltung zu rügen befugt ist, solche Rollen überweisen wollte. So hat jene durch ihre Bescheidenheit liebenswürdige Frau jetzt als Gräfin in Figaros Hochzeit und als Donna Elvira im Don Juan bewiesen, daß sie wohl noch singen kann, mit Ausnahme einiger Töne in der Höhe recht gut singt, und das Verbannungsurtheil keineswegs verdient. Ob dies unsere einseitige Ansicht und vorgefaßte Meinung oder die in und außer dem Theater dieser Tage allenthalben vernommene Volksstimme sey, möge bei einer passenden Rolle das Publikum selbst entscheiden.