## Title: Aufführungsbesprechung: „Alimelek, Wirth und Gast“ von Meyerbeer am 22. und 24. Oktober 1815 in Prag ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031108 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Theater zu Prag.Den 22. und 24. Oktober. Alimelek, Wirth und Gast oder aus Scherz – Ernst. Komische Oper in 2 Aufzügen von Mayerbeer. Selten hat wohl ein Kunstprodukt in so kurzer Frist ein so sonderbar wechselndes Schicksal erfahren, als diese Oper in dem Zeitraum von zwey Tagen, und es scheint als hätte Herr Karl Maria von Weber (S. Nr. 294 unsres Blattes) in prophetischem Geiste gesprochen, als er bey deren Erwähnung an frühere Erzeugnisse der Tonkunst erinnert, deren Verdienste nicht bey der ersten Erscheinung anerkannt wurden; aber auch seine vertrauensvolle Behauptung „daß die Gesamtstimme des Publikums immer gerecht sey“ hat sich in diesen zwey Tagen auf das glänzendste offenbart. Manche Kunstrichter – uneingedenk, daß ein so tief gedachtes musikalisches Werk durchaus nicht nach der ersten Produktion gerichtet werden kann – sprachen laut und vorschnell ein ungünstiges Urtheil aus, und verursachten durch ihre Aeßerungen eine Stille im Publikum, die sie siegreich als Einstimmung in ihrer Kritik annehmen. Unbefangene Freunde der Kunst, durch die Bemerkungen eines geistreichen Künstlers vorbereitet und aufmerksam gemacht, wagten es nicht sogleich, ein Urtheil auszusprechen, und versparten dasselbe auf die nähere Bekanntschaft mit diesem Werke. Die zweyte Vorstellung hat dem Schönen einen reichen Sieg gewährt, und giebt dem Referenten Muth, hier seine Ansicht laut auszusprechen. Schon der Vorwurf der Oper – der erwachte Schläfer aus Tausend und einer Nacht – gehört unter die glücklichsten Stoffe, und ist von dem Dichter mit Geist und Laune aufgefaßt, und in einer edlen und gefälligen Form durchgeführt; noch vorzüglicher ist aber die musikalische Behandlung in den meisten Stücken, und vor allem bewunderswerth, die von Anfang bis zu Ende durchgeführte Haltung im türkischen Geschmack, ohne daß der Tonsetzer jemals in zweckloses Instrumental-Getöse verfällt. Schon die Ouverture ist ein reiches und abwechselndes musikalisches Gewebe, welches ganz dem Zwecke entspricht, dem Ganzen gleichsam als Prolog zu dienen, und den Zuhörer nicht allein in die für den Genuß des Werkes günstige Stimmung zu versetzen, sondern auch die Gestaltung des Ganzen gleichsam in Contouren an seinem Geist vorüber zu führen. Als Bild einer Vergangenheit, die Alimelek von sich geworfen, tritt in der Introduktion das laute Chor der Schmarotzer nun auf, und als die Unholde verschwunden, erscheint besänftigend das zarte Bild der hingebenden Zärtlichkeit unserm Gemüthe in der melodiereichen, wunderschönen Arie der Irene. Wenn etwas den Genuß der ernstern Musikstücke stören kann, so ist es wohl allein die öftere Unterbrechung derselben durch eingeschaltete Reden, die gleichsam den Fluß des Gesanges unterbrechen und aufhalten. Ein anderes ist es in der weichen italienischen Sprache, und wo selbst der Dialog noch eine Art Gesang bleibt, und diese Ruhepunkte oft die herrlichste Wirkung machen. Voll Leben und Frohsinn sind die beyden Gesänge Alimeleks, während der Mahlzeit und vielleicht an ihnen nur der allzugroße Reichthum der Motive zu tadeln, mit denen das jugendliche Genie beynahe zu verschwenderisch umgeht. Wahr und kräftig schließt das glänzende Finale den ersten Act, der den Liebhaber der Kunst reichlich erfreute. Einigermassen tadelhaft scheint es dem Referenten, daß die ersten Szenen des zweyten Acts, der abermals mit einer schönen zart gedachten Introduktion beginnt, so sparsam mit Musik ausgestattet sind. Wenn man gleich mit Recht sagen kann, daß die folgenden Musikstücke durch hohen Werth die geringere Zahl ersetzen, so hätte doch Alimelek nach den Szenen mit den Sclaven leicht eine kleine Arie singen, und selbst die Klage der beyden Weiber in ein komisches Terzett verwandelt werden können. Ganz vortrefflich ist der Marsch, das Chor der Imans, das Duett zwischen Haroun al Raschid und Irene und die beyden letzten Terzette. Doch bleibt nach der Ansicht des Referenten das Vorzüglichste des ganzen Werkes, der glückliche und tiefgedachte Gedanke, während Alimeleks Schlaf im Kerker die vorzüglichsten Motive der vorhergegangenen Musikstücke, gleichsam als ein erfreuliches Traumbild wiederkehren zu lassen. Ein Versuch, der zwar für viele Theaterliebhaber verloren ist, dagegen aber den Eingeweihten gewissermassen an Egmonts Traum erinnert, wenn gleich die Sache hier nicht so ernst genommen ist. Auch die Aufführung ließ wenig zu wünschen übrig. Hr. Ehlers trug den musikalischen Theil der Rolle mit dem ihm eignen Ausdruck vor, und zeichnete mit Meisterhand den Character des unbefangenen Lebemanns, der unbekümmert um Glanz und Hoheit, allen Reiz des Lebens mit Frohsinn hinnimmt, durch seine Verwandlung überrascht, zwar anfangs nicht recht weis, woran er ist, sich aber bald nach seiner Weise darein schickt, und den selbst bey allen Neckereien des Kalifen, selbst bey der Unruhe über seine Liebe nie seine gute Laune ganz verläßt, ja der selbst im Kerker noch seinen leichten Sinn erhält, und nur in dem Augenblick, wo die Geliebte auf ewig für ihn verloren scheint, in stummen Schmerz und zugleich die edle Resignation übergeht. Es steht dem Ref. nicht zu, zu entziffern warum das Verdienst dieser Darstellung nicht schon das erstemal den ganzen Tribut des gerechten Beyfalls erhielt – diesmal wurde er hervorgerufen, und theilte den Lorber bescheiden mit Mad. Grünbaum, deren herrlicher, seelenvoller Gesang als Irene nicht wenig beygetragen hatte, den Abend zu verschönern. Hr. Siebert sang den Haroun al Raschid sehr brav, und mit vieler komischen Laune gab Hr. Gerstel den Vorsteher der Imans, und Hr. Allram den Jussup; selbst die kleine Rolle des Kovad erhielt durch den wahren und herzlichen Vortrag des Hrn. Seewald vieles Interesse. Die übrigen Charaktere stehen zu sehr in Schatten, um darin ein Talent geltend zu machen. So wurde dieser melodienreichen und sinnvollen Composition bey der zweyten Aufführung die volle Anerkennung zu Theil, und es ist nicht zu zweifeln, daß sie sich mit jeder folgenden Produktion mehr in der Gunst des Publikums fest setzen werde.