## Title: Karl Seidel: „Der Brautkampf“, Novelle, Abdruck in der Abend-Zeitung 1819 (Teil 1 von 4) ## Author: Seidel, Karl ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031051 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Der Brautkampf.(Novelle von Karl Seidel.)In Sevilla wohnte einst in einem uralten angestammten Pallast Don Pantaleon de Pachecco, ein gar stolzer Herr, dessen liebste Beschäftigung es war, in seinem Familien-Archiv die Thaten seiner Ahnen zu lesen. Wenn er hier in behaglicher Ruhe die rühmlich bestandenen Kämpfe der Pachecco gegen die Mauren vernahm, so freute sich seine ganze Seele, und er bedauerte sehr, daß diese Triumphe kein Dichter in feurigen Redondillen aller Welt erzählt hatte. – In den letzten Kriegen mit Granada wäre bereits vor einigen Jahrhunderten sein Stamm gänzlich erloschen, wenn nicht, wie in breiten Worten verzeichnet stand, ein gewisser Don Carlos Fonseca den letzten Sprößling desselben aus Feindes Hand errettet hätte. Diesem längst verstäubten Fonseca nun wußte der alte Don Pantaleon noch herzlichen Dank für die Erhaltung eines so erlauchten Geschlechts, das zum höchsteignen großen Leidwesen mit seiner werthen Person erlosch. – Der Himmel hatte ihm keine männlichen Nachkommen, sondern nur eine einzige Tochter geschenkt, und diese sollte denn, wo möglich, keinen Anderen heirathen, als einen Fonseca; nur mit diesem ihm so werthen Geschlechte wünschte er den letzten Zweig der Pachecco vereint zu sehen. Da nun weder in Sevilla noch in ganz Andalusien jene Familie sich fand, so wur den Forschungen durch alle spanische[n] Königreiche angestellt, und nach vielen vergeblichen Bemühungen endlich entdeckt, daß in der estremadurischen Grenzfeste Badajoz ein Edler des gewünschten Namens lebte, der noch obenein in gerader Linie abstammte von jenem vorerwähnten Carlos. – Man denke sich die Freude des Don Pantaleon. Er schrieb sogleich an den Capitano Don Nunno Mansos de Fonseca, von dessen ritterlicher Tapferkeit er noch überdies viel Ruhmwürdiges erfahren hatte, und machte ihn mit seinen Wünschen bekannt. Dabei vergaß er nicht die jugendliche Schönheit und Liebenswürdigkeit seiner Tochter Clarissa zu rühmen; auch wußte er den Segen an irdischen Glücksgütern geschickt mit einfließen zu lassen. Dieser letzte Punkt klang besonders lockend, denn die Fonseca waren von jeher arme Teufel gewesen; doch schrieb unser Don Nunno zurück, daß er leider auf die ihm angetragene Ehre Verzicht leisten müßte, weil er als ein Sechsziger ein wenig zu alt für solche Ehe wäre. Er hätte aber, so hieß es weiter, ein gar gutmüthiges und folgsames Söhnlein, Pinto mit Namen, und wenn dieser des dargebotenen Glücks theilhaftig werden könnte, so würde der Verbindung kein Hinderniß im Wege stehen. Don Pantaleon fuhr bei dieser Botschaft so freudig aus seinem Sessel empor, daß er auf dem steinernen Estrich gleitete, und sich den Kopf am kantigen Rahmen eines Ahnherrn zerschlug. – | Noch nicht volle sechszehn Jahre zählte Clarissa zwar, doch hatte der Alte mehrere Gründe für deren baldigste Verbindung. Einmal wurden seine so lang gehegten Wünsche dadurch erfüllt; ferner fürchtete er bei weiterem Anstande irgend einen störenden Liebeshandel. Ihm waren nämlich die vielen schmelzenden Blicke nicht entgangen, die seit längerer Zeit schon auf Clarissen fielen, wenn er sich an seltenen Festtagen mit ihr auf der Alameda zeigte. – Unter diesen Umständen war es denn ganz natürlich, daß Don Pantaleon sofort an Don Nunno ein Antwortschreiben ergehen ließ, nach welchem er den lieben Pinto, wo möglich in väterlicher Begleitung, schon am nahenden St. Carlstag bestimmt in Sevilla erwarte. Clarissa wurde durch die Nachricht ihres nahen Glückes nichts weniger als angenehm überrascht, sie wagte aber, den Zorn des heftigen Don Pantaleon fürchtend, keine Einwendungen. Bekannt waren ihr die Lieblingsgrillen des Alten längst gewesen, allein sie glaubte in schmeichelnden Hoffnungträumen alle Fonseca längst im Himmel, da sie bereits auf Erden eine andere Wahl getroffen hatte. – Don Gomez Freires, aus einem der edelsten Geschlechter, war der heimlich Erkohrene. Unter den Schattengängen der Alameda hatte sie den Liebenswerthen gesehen, der ihr schon oft in abendlicher Stille die Gefühle seines Herzens sang. Harmonisch wiederhallten die zitternden Klänge seiner Mandora in ihrem tiefsten Innern, doch verbarg sie sorgfältig die süßen Regungen ihres Busens, und wies in holder jungfräulicher Schüchternheit jede Annäherung des kühnen Jünglings zurück. So würde das reine Feuer dieser beglückenden Liebe gewiß noch lange im Stillen fortgeglimmt seyn, wenn nicht der fürchterliche Carlstag wie eine drohende Gewitterwolke immer näher und näher gerückt wäre. Clarissa fühlte nun erst, wie unaussprechlich theuer der zärtliche Sänger ihr war. Sie sah ein, daß irgend etwas geschehen mußte, sie vom sicheren Verderben zu retten, und auf wen anders, als auf den Geliebten, konnte sie dabei ihre Hoffnung setzen. Die verschmitzte Zofe, die früherhin taub bleiben mußte gegen alle Lockungen des Don Gomez, wurde jetzt die Liebesbotin, und es leitete sich, da der wachsame Don Pantaleon jede andere Annäherung unmöglich machte, sehr bald ein vertrauter Briefwechsel ein. Clarissa ergoß sich natürlich in rührenden Klagen über die Grausamkeit ihres Geschicks, und der edle Don Gomez versicherte dagegen in sü ßen Trostworten, daß er alles, selbst das Leben, einsetzen würde für ihren Besitz. Gern wären die schriftlichen Herzensergießungen der Liebenden hier ausführlicher gegeben worden, doch drängt der Verlauf der weiteren Ereignisse, den Faden der Geschichte fortzuführen. Versetzen wir uns also von Sevilla nach Salvaleon, um zu erfahren, was wenige Abende vor dem bedeutsamen Carlstage in der dortigen Taverne sich begab. – Hier saß ein gewisser Don Gaston Viratos und trieb wohlgemuth seinen Scherz mit der niedlichen Wirthstochter, als sein Diener Ambrosio lachend ins Zimmer stürzte und sprach: ach gnädiger Herr! Gracioso und Cosme und alle Hansnarren der ganzen Erde sind plötzlich in eins verschmolzen; sehen sie nur die Gestalt, welche die Gasse daher kommt. – Ein Narr, mit Namen Ambrosio, fehlte doch noch; erwiederte Don Gaston, und trat an's Fenster, um sofort mit seinem Diener ein Duo zu lachen. Ein dicker ungeschickter Tölpel von etwa ein und zwanzig Jahren, wälzte sich so eben mit Mühe von einem knochendürren Maulesel, der nebenher gesagt, herzlich froh zu seyn schien, daß er seiner lastenden Bürde entledigt war. Die Kleidung des Reiters war ein wundersames Gemisch aus mehreren Jahrhunderten, zum Theil militärisch, zum Theil altritterlich; ein langes Schwert und ein ungeheuerer Federhut machten dabei einen besonders drolligen Effect. Unter dem alten Deckel schauten ein Paar kleine, lebhaft blinzelnde Augen wohlgefällig hervor, und schienen bisweilen in schielender Richtung das Stumpfnäschen zu suchen, welches ganz verloren zwischen den strotzenden Bauswangen sich erhob. Wahrhaft possirlich wurde das seltene Gesicht, als der weite Mund freundlich lächelnd die Frage ertönen ließ, ob hier Nachtquartier zu finden wäre. Nachdem der Wirth dieses vernehmlich bejaht hatte, sagte Ambrosio: Herr, Ihr habt mich wegen dieses Dickwanstes einen Narren gescholten, ihm werde deshalb zur gerechten Rache ein Streich gespielt. Don Gaston wollte hierauf etwas erwiedern, aber in demselben Augenblick stolperte der neue Gast herein, grüßte linkisch, knipp dem lächelnden Mädchen im Vorbeigehn die Wange blutrünstig, und pflanzte sich sofort in gemächlicher Lage hinter den großen Eßtisch. – Schnell Wein her, und Brod, Fleisch und viele andere Speisen, denn ich habe gewaltigen Hunger. Also rief er und trallerte darauf mit mißtönender Stimme vor sich hin. Ihr scheint, edler Herr, redete Don Ga | ston ihn an: sehr heiteren Sinnes. Ja Herr, war die wohlgefällige Antwort, Ihr würdet es auch seyn, wenn Ihr Don Pinto de Fonseca wäret, und eben hinzöget, das reichste und schönste Mädchen der großen Stadt Sevilla zu heirathen. – Dann gewiß wäre ich ebenfalls fröhlich, entgegnete Don Gaston, doch kann auf so ein Glück nur ein Mann von Euren Verdiensten Anspruch machen. – Ei der tausend, sprach der holde Bräutigem sehr freundlich, woher wißt Ihr denn, daß ich etwas werth bin? ich habe doch den Brief nicht aus der Busentasche gehabt, in dem alle meine Tugenden dem alten Pachecco aufgezählt sind. – Die Erwiederung hierauf, wie überhaupt die weitere Fortführung des Gesprächs kann man sich leicht denken. Don Gaston vernahm binnen Kurzem alles, was er zu wissen begehrte, und er würde noch viel mehr erfahren haben, wenn nicht das Essen bald aufgetragen worden wäre. Von diesem Augenblick an sprach Don Pinto kein Wort; selbst das hübsche Mädchen kümmerte ihn nicht mehr. Drei volle Viertelstunden hindurch aß und trank er ohne Unterbrechung nach besten Kräften; darauf stützte er sein müdes Haupt auf beide Arme und versank sofort in süßen Schlummer. In Don Gaston war während dessen ein großer Plan gereift, dem zu Folge benutzte er einen günstigen Augenblick, und nahm dem Schläfer geschickt den vorher bezeichneten Brief. – Der schlaue, junge Herr war, beiläufig erzählt, ein erzlustiger Vogel, der unlängst die hohe Schule verlassen hatte, und jetzt im Lande umherstrich, Abenteuer zu suchen. Bei diesem kurzweiligen Geschäft fand er denn einen wackeren Gehülfen in seinem Diener Ambrosio. Dieser hatte unterdessen zum Zeitvertreibe den alten Schildknappen des Brautritters betrunken gemacht, und ihm darauf die Steigbügel von den Sätteln gestohlen; bloß um den wohlbeleibten Jüngling wo möglich morgen bei der Abreise voltigiren zu sehen. Eben trat der Spitzbube in das Zimmer und berichtete die neue Heldenthat seinem Herrn. Dieser aber gebot, das Reitzeug wieder in Ordnung zu setzen, weil es hier auf wichtigere Schwänke ankäme. Sodann erzählte er ihm in der Stille alles Vorgefallene, und schloß endlich mit folgenden Worten: sollte ich, ein ritterlicher Beschützer aller Damen, es zugeben, daß dieser Gracioso Eine derselben vielleicht namenlos unglücklich macht? Nein! Nimmermehr! – Ich eile sofort, einen alten Narren von seinen stolzen Grillen zu heilen; ein liebenswerthes Mädchen vom Verderben zu retten und, wenn wir einander gefallen sollten, dasselbe zu heirathen. Von diesem Augenblick an bin ich Don Pinto de Fonseca; sattle mir sogleich das Pferd; die einbrechende Nacht finde mich schon auf dem Wege nach Sevilla. – In wenigen Minuten saß der neue Don Pinto schon auf seinem muthigen Andalusier, gab dem zurückbleibenden Ambrosio noch gewisse Aufträge und trabte lustig von dannen. – Ohne alles Hinderniß legte er seine Reise binnen wenigen Tagen zurück. Schon hatte er die Vorstadt Triana im Rücken, und wollte eben einziehen in Sevilla's gastliche Thore, als ein Mensch, in reicher Kleidung eines Dieners, ihn aufhielt und höflich nach seinem Namen fragte. Ohne Bedenken nannte Don Gaston Viratos dem vermeinten Diener des Don Pantaleon seinen erborgten Namen, und ließ es sich darauf gefallen, daß man ihn durch die labyrinthischen Gassen sofort geleiten wollte zum künftigen Schwiegerpapa. (Die Fortsetzung folgt.)