## Title: Aufführungsbesprechung Berlin: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 22. Oktober 1822 (41. Vorstellung) ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030403 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Correspondenz-Nachrichten. […] Berlin.Ein wahres Freudenfest wurde am 22. October die ein und vierzigste Vorstellung des "Freyschütz;" denn die Erscheinung der Mad. Seidler, der hehren Repräsentantinn zarter Weiblichkeit und lieblicher Grazie, strahlte uns nach einer viermonathlichen Entbehrung in einer glänzenden Pracht entgegen. Sehnsuchtsvoll, wie die Bewohner der Polargegenden in ihren langen Nächten der Sonne oder dem Nordlicht entgegensehen, hatten wir der Lieblichen geharrt. Alle Plätze waren vorher vergeben; Scharen standen an den Eingängen, auf die Eröffnung der Pforten des Musentempels hoffend. Fast ohne Theilnahme ging der erste Act der Oper vorüber, denn die Erwartungen Aller waren zu freudig gespannt, zu angenehm aufgeregt ob der Dinge, die da kommen sollten. Da endlich, als der Vorhang zum zweyten Mahle in die Höhe rauschte, da erschien die fromme Agathe im einfach-häuslichen Schmucke, in jungfräulicher Bescheidenheit, aber umgeben von allen Genien der Kunst und der Freude, von der Anmuth Rosenflor umweht, das schöne Köpfchen umschattet von den Lorbeeren, die sie jüngst reichlich in der Fremde gepflückt hatte. Wer nun noch fragen kann, ob das Publicum seinem Lieblinge den lautesten und anhaltendsten Jubel zum Empfange entgegengetragen, ob es am Schlusse sein Wiedererscheinen verlangt und ihm abermahls enthusiastisch entgegengejauchzt habe, der ist ein ausgemachter Sceptiker und taub für die Stimme des Gefühls; bey ihm sind des Gesanges Wellen spurlos vorübergeströmt, ohne Segen und Fruchtbarkeit zu hinterlassen. Ihm brauchen wir daher auch nicht zu sagen, daß Mad. Seidler heute, wo möglich, schöner als je gesungen, daß sie die edelste Einfachheit mit den geschmackvollsten, am rechten Orte angebrachten, Verzierungen höchst sinnig und ausdrucksvoll zu paaren gewußt, und daß sich durch ihre Sirenentöne Jung und Alt wie mit Zauberkreisen umfangen wähnte. Der Fühlende wird uns verstehen, und gewiß in den Wunsch von Herzen einstimmen, daß die gefeyerte Künstlerinn, um die ganz Teutschland uns beneidet, uns noch recht lange durch den wunderherrlichen Klang ihrer Engelsstimme erheben und erfreuen möge.