## Title: Rezension und Aufführungsbesprechung Hamburg: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Februar 1822 (Teil 3 von 5) ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030335 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ [[fortgesetzt]] Carl Maria von Weber hat bereits durch mehrere Lieder-Compositionen, als auch neulich durch seine charakteristische Musik zu Preciosa bewiesen, wie sehr die romantische Dichtung mit dem Innersten seines Gemüthes in Verbindung stehe und zu dessen besonderster Eigenthümlichkeit gehöre. Es konnte ihm daher kaum ein günstigerer Stoff geboten werden, als wie er in dieser ächt romantischen Volkssage enthalten ist. Und wie ihm die Composition dieser Oper gelungen, das haben uns schon früher die lobpreisenden Berichte, welche von allen Seiten her darüber erschienen sind, einstimmig verkündet gehabt[.] Wenn auch behauptet werden möchte, daß der stürmische Beyfall, welchen gleich die erste Darstellung des Freyschützen in Berlin gefunden hat, zum Theil mit auf Rechnung einer Art von Parteylichkeit geschrieben werden dürfe, welche diese Gelegenheit benutzte, auch einmal das deutsche | Verdienst gegen die glänzenden Auszeichnungen, welche dem aus der Fremde herbeygerufenen erwiesen werden, geltend zu machen: so bleibt dennoch nicht nur in Berlin bey allen Wiederholungen dieser Beyfall sich gleich, sondern auch die Urtheile von Wien, Leipzig und von anderen Orten aus sind mit jenen enthusiastischen Aeusserungen völlig einverstanden "Alle Stimmen – heißt es in einem Schreiben aus Wien (im ersten Stück der musikalischen Zeitung von diesem Jahre, S. 13) – vereinigen sich zum Lob und Preise des denkenden, wahrhaft genialen Componisten, der das Vaterland gerade in dem Momente des dringendsten Bedarfes mit dieser köstlichen Geistesgeburt beschenkte, worin sich Harmonie und Melodie brüderlich verzweigen, und die ganze Kraft eines kunstgerechten deutschen Instrumentalisten in glänzender Herrlichkeit sich entfaltet." Auch andere haben den Componisten dieser Oper vorzugsweise einen Deutschen genannt, und wenn sie damit den besonderen Charakter der Musik bezeichnen wollten, gewiß nicht unpassend. Er steht in dieser Hinsicht in gleicher Reihe mit Beethoven, wenn wir an dessen Fidelio und an die himmlischen Musikstücke, die zu Göthe's Egmont gesetzt sind, uns erinnern wollen, so wie mit dem genialen Kuhlau, dem Componisten der Räuberburg, von dessen reicher Dichtungskraft für die Zukunft noch manche schöne Erzeugnisse zu erwarten sind. *)*) Hoffmann' s Undine ist hier nicht zu unserer Kenntniß gebracht worden. In Berlin selbst scheint man über den Charakter dieser Composition nicht ins Klare gekommen zu seyn. S. die Verhandlungen darüber besonders im Berliner Dramaturg. Wochenbl. Dritter halber Jahrgang. 1816. St. 7. u. ff. Mit Fleiß gedenke ich früherer Meister nicht in diesem Zusammenhange, zu deren Charakterisirung noch andere Rücksichten hinzugenommen werden müssen: und nament lich gehört Mozart so wenig Einer bestimmten Nation allein an, daß, wollte man einen Wettstreit beginnen, so wie um Homer sieben Städte, so um diesen Schöpfer der Harmonie alle musikalischen Nationen sich zanken würden. Daher es z. B. möglich geworden, daß unter allen denen, welche sich dem Charakter der Mozart'schen Compositionen am meisten genähert haben, keiner ihm ähnlicher gleichsam ein verjüngter geworden ist, als ein Franzose, der herrliche Mehul, dessen Joseph leider bis jetzt die einzige Oper geblieben, die auf unsere Bühne gebracht worden ist. Wesentlicher aber ist die Frage, worin der deutsche Charakter der Musik, der hier besonders gemeynt ist, eigentlich besteht? und wir wollen versuchen, diesen Begriff im Einzelnen näher zu erfassen. Wissenschaftliche Gründlichkeit, Kenntniß der Theorie, also hier des sogenannten Satzes, Reinheit und Sicherheit in Anwendung der Hauptregeln mag allerdings auch hier, wie in den übrigen Zweigen der Kunst und Wissenschaft, als das erste Kennzeichen dieses Charakters genannt werden; aber das ist doch ein Verdienst, das bald mehr, bald minder, zumal in der Musik, auch die Meister anderer Nationen mit uns theilen, keineswegs der einen oder der anderen ausschließend anzurechnen; und nur in der gegenwärtigen Zeit, wo so häufig verblendende Afterkunst, den Geschmack unsicher und trübe macht, gebührt demselben eine noch lautere Auszeichnung, wie denn Weber als eifriger Forscher und wirklich eingeweiheter Kenner der Harmonie bekannt ist. – Mehr schon unterscheidet den Deutschen vor den Anderen der seinem inneren Wesen eigenthümliche Ernst, der falschen Flitterstaat verschmähet, unwürdige Mittel, auf den Haufen zu wirken, von sich weiset, nicht leichtisnnig und locker, sondern lieber bedächtig und besonnen, ja nicht selten schwerfällig arbeitet, der in Allem mehr nach Einfachheit und Klarheit sich hin | neigt, sobald er sich eines sicheren Strebens deutlich bewußt geworden ist. – Der leichte Scherz, die gefällige Tändeley, der lose Muthwille gelingen ihm in der Regel weit weniger, als zumal dem Südländer, und seine Komik geht mehrentheils nicht über das Heitere, das Frohe, selten Lustige hinaus; aber sie wird – Ironie. Diese letztere Bemerkung dürfte schon in der Composition des Freyschützen ihre gründliche Bestätigung finden; so wie auch Kuhlau's Räuberburg, zumal in der Schilderung der alten Brigitte, Belege genug dazu liefert. Was aber hier ganz eigentlich mit dem deutschen Charakter bezeichnet werden sollte, ist Eines Sinnes mit dem romantischen überhaupt, und dieser besteht darin, daß Phantasie und Gefühl in gleich wechselnder Anspannung und Thätigkeit erhalten werden, jene, indem sie fortwährend angereizt Gestalten zu schaffen bemüht ist, die wie flüchtige Geister der Luft nie festen Stand halten, nie in klare, abgeschlossene Umrisse sich beschränken wollen und bunt und neckisch unter einander vorübergehen: dieses, indem es nach jeder solchen Anstrengung in sich selbst wieder zurückkehrt, und mächtig aufgeregt in den Ahnungen des Uebersinnlichen und Unendlichen sich verträumt, und dadurch sich wieder beruhiget. Alle Poesie, zu welcher die Musik als Hauptgattung gehört, schildert den Menschen, so wie die ihn umgebende Natur in einer dreyfachen Abstufung; den Menschen, indem sie entweder einen klaren Spiegel des wirklichen Lebens und der Gegenwart vorhält, oder indem sie ein vergangenes Heldenalter in die Erinnerung zurückruft, oder so wie die tiefer verborgenen Menschengefühle selbst erregen und erwecken will. Eben so schildert sie die Natur, indem sie uns ein Bild giebt von der gesammten äusseren Erscheinung derselben, von der Mannichfaltigkeit ihrer Reize und Wirkungen, wie wir sie um uns herum wahrnehmen können, oder von den gigantischen Schöpfungen derselben, wenn wir in die Abgründe ihrer frühesten Gestaltungen hinabsteigen wollen. Aber auch hier ist die dritte Stufe, aus welcher der Dichter mit der Natur in Berührung tritt, die durch das Gefühl. *)*) S. Fr. Schlegel' s Gesch. der alten und neuen Litteratur, Th. 1 S. 108 ff. In dem Rauschen des Stromes oder der Wälder glauben wir eine uns verwandte Stimme zu vernehmen, in Klage oder in Freude, als ob Geister und Empfindungen den unsrigen ähnlich, aus der Ferne, oder wie aus engen Banden zu uns hindurch dringen wollten, und sich uns verständlich machen. Ob auch wohl die Natur auf solche Weise beseelt, oder ob dies eine leere Täuschung sey, mag den Naturforscher beschäftigen, dem Dichter gilt es gleich; ihm, wie in jeder Menschenbrust lebt dies Gefühl, ist diese Ahndung vorhanden, und dieser Seele der Natur Sprache und Töne zu verleihen, das ist das eigenthümliche Geschäft des sogenannten romantischen Dichters und Musikers, indem von einer solchen Ansicht der Natur weder bey den Griechen noch Römern, noch bey allen denen, welche diese Muster allein als classisch und der Nachahmung allein für würdig betrachten, vielleicht mit weniger Ausnahme, keine Spuren vorhanden sind. Weit mehr aber, als der Poesie, welche sich durch Worte, durch in denselben mit strenger Abgeschlossenheit vorgezeichnete Begriffe aussprechen muß, ist es der Musik verliehen, auf dem unbegrenzten Wogenmeere der Töne uns in jene schauerlichen Geheimnisse der Naturwunder einzuführen, und den übersinnlichen Zusammenhang einer höheren Geisterwelt ahnden zu lassen, sie, die also vorzugsweise eine romantische Kunst genannt werden kann. Ihr vor andern gelingt es, **)**) Nach dem Prolog des Jägers vor L. Tieck's Prinzen Zerbino oder der Reise nach dem guten Geschmack. ce. (Jena, 1799) S. 4. | Daß uns der Busen sich erweitert, Daß man es gerne faßt und liebreich duldet, Wenn Phantasie vor uns die muntern Flügel In Wäldern wiegt, mit Abendröthe Scherz treibt. Denn es vermag die himmlische Musik mit Wunder, Gebehrden, und mit ihrer Stimme, die An's Herz geht, das, was sonst nicht Rede, Gebehrde irgend eines Menschen mag. Dann horcht man gern auf das Geräusch der Eichen, Das Waldgebrause, das wie Geisterspruch Vom fernsten Raume über unser Haupt In schauerlicher Ferne sich verliert. So gehn auch Töne hiehin, dorthin, Zweige Sind Zungen, führen Gespräch, und Waldgeflügel Schwärmt durch die grüne Nacht und ist so ämsig. Was in diesem Geiste gedichtet, componirt werden soll, muß dem innersten Gefühl entquollen auf den Schwingen kühner Phantasie daher getragen werden. Kunst und Studium vermögen das nicht zu schaffen, sie dienen der geistigen Schöpfungskraft nur als untergeordnete Mittel. Der ätherische Sinn dieses Gefühls selbst aber wird auch in der Anwendung und in dem Gebrauche der musikalischen Werkzeuge sich offenbaren, und die Wahrnehmung findet sich in der gegenwärtigen Composition vorzüglich bestätigt. Die Menschenstimme äussert ihre Kraft auf die Gemüther dann am eindringlichsten und ergreift das Innere der Seele dann am mächtigsten, wenn sie in mehrstimmigen Accorden daher tönt. So herrlich auch Webers Musiken in vielen anderen Hinsichten sind, am glänzendsten und erhabensten zeigt sich seine Begeisterung und die Harmonienfülle seiner Seele in den Chören, so wie in seinen auf mehrstimmigen Gesang berechneten Liedern. Ausserdem scheinen unter den übrigen Instrumenten, einige dem schwärmerischen Charakter dieser Poesie vorzüglich anzugehören, und der geheimnißvollen Sprache der Natur verwandt zu seyn, namentlich das Horn, die Viole und das Violoncello. Während die beyden letzteren Instrumente wie mit Geisterstimmen aus einer für uns unsichtbaren Region zu unserer tiefsten Empfindung reden, und uns zur Einkehr in uns selbst hinführen: so ruft uns der Zauberklang des Waldhornes aus uns selbst heraus, und reißt uns mit sich fort in die Unendlichkeit der Natur und ihre wunderbaren Erscheinungen. Kein Instrument giebt in seiner Vollendung einen Ton, der so sehr der allerschönsten Menschenstimme ähnlich wäre, als dieses; keines gestattet in Hinsicht des Vortrages, des Ausdruckes eine so mannichfaltige und edle Behandlung, gleich einer schönen Menschenstimme, als dieses; aber die Fülle und Ründung und das Metall des Tones hat es selbst vor der Menschenstimme noch voraus. Wer den mächtigen Zauber desselben in seiner ganzen Kraft empfinden will, der muß in romantischen Gebirgsgegenden, wenn die Natur in ihren schönsten Reizen sich entwickelt hat, und ringsum feyerliche Stille den Sabbath der Natur zu feyern scheint, aus der Ferne ein einfaches Adagio von zwey Hörnern vorgetragen hören! – Oder er möge in der kräftigen Morgenfrische durch den harmonischen Ruf der Jagdhörner zum frohen heiteren Gefühl des Lebens geweckt werden; wie auch das der vorredende Jäger Tieck's so schön empfindet: *)*) S Zerbino a. a. O. "Meiner Liebsten Stimm ist schön, Wenn ihr lockendes Getön Durch des Waldes Dämmrung bricht; Aber höher schwillt die Brust, Herz klopft dann nach Jägerlust, Wann des Waldhorns Stimme spricht. Ist dein Herz dir matt und bang, Schnell erfrischt es Waldgesang, Waldgesang und Hörnerklang!" | Wie sehr aber in der naturgetreuen Behandlung dieses Instruments unser von Weber Meister sey, erkannten wir längst schon aus seinen früheren Compositionen, zuletzt aus dem lebenvollen Chore der Zigeuner im Anfange des zweyten Actes der Preciosa: in diese neuesten Oper aber hat er es darin zu einer Vollendung begracht, welche in ihrer Art bis jetzt nichts Aehnliches finden dürfte. Doch wir wollen nun versuchen, den einzelnen Musikstücken der Reihe nach zu folgen, und ihren Charakter aufzufassen, so weit dies im Allgemeinen, ohne kunstrichterliche Zergliederung des Einzelnen, welche strengen Theoretikern überlassen bleiben mag, auch dem bloßen Musikfreunde möglich ist. Die Ouvertüre ist nicht nur an sich ein denk- und folgerechtes Musikstück, eins und vollendet in sich, klar und verständlich, gleich einer meisterhaften Rede, welche die Aufmerksamkeit von Gedanken zu Gedanken mit fortreißt und mit singender Ueberzeugung endet: sondern auch als Prolog oder Eingang gerade zu diesem romantisch-phantastischen Tongemälde ist sie als ein Muster zu betrachten, indem sie alle Hauptmotive und Grundgedanken der folgenden Handlung wie in einen schönen Kranz zusammenflicht, und den Hörer sogleich in den eigentlichen Charakter der Dichtung einweihet. Denn das allein ist der Zweck der Ouvertüre, wenn sie nicht ein müßiges Symphoniestück seyn will, das mit jedem andern beliebig vertauscht werden kann; und so allein ist es möglich, daß der Zuhörer in die Stimmung versetzt, die rechte Empfänglichkeit für die folgende Handlung in ihm geweckt werden kann. (Der Beschluß folgt.)