## Title: Philipp Spitta an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. Berlin, Donnerstag, 11. Mai 1876 ## Author: Spitta, Philipp ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A043897 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Berlin, W. Hohenzollernstraße 10 11. 5. 76. Sehr geehrter Herr Profeßor, Ihre freundlichst zur Einsicht zugestellte Arbeit über den „Freybrief“ habe ich mit großem Intereße gelesen. Darin stimme ich mit Ihnen ganz überein, daß durch Pohls Nachweise die Angelegenheit noch nicht erledigt ist. Man könnte in gewißer Beziehung sagen, sie sei verwickelter geworden. Denn es erhebt sich jetzt die neue Frage, wie sich Haydns Oper La fedeltà premiata zum Freybrief verhalte, ob letzterer in seiner ursprünglichen Gestalt (Hamburger Partitur, deutsches Textbuch) auch von Haydn herrühre, und wenn dies der Fall — was mir allerdings sehr wahrscheinlich, da beide Partituren u. Zulehner es bezeugen — wann Haydn die deutsche Operette „der Freybrief“ componirt hat, ob vor oder nach der „Fedeltà“? Im übrigen meine ich mit Ihnen, daß die Abweichungen der Deßauer Partitur, also die Einschiebung Mozartscher Stücke in theilweise überarbeiteter Gestalt, u. namentlich die neucomponirte Arie Nr. 10 von Fritz von Weber herrühren werden. Endlich — wer sagt uns, daß die nach Stuttgart gesendete Partitur dieselbe Gestalt hatte, wie die Dessauer? Zwischen 1789 u. 1809 liegen zwanzig Jahre, während derselben konnte Fritz v. Weber in der Oper noch mancherlei abgeändert u. umgearbeitet haben, u. sich deshalb um so mehr berechtigt glauben, diesem Pasticcio aus Haydn’schen, Mozart’schen u. eignen Elementen die Bezeichnung „seiner“ Oper beizulegen. Noch eins! In Nr. 6 sind Clarinetten verwendet. Diese Instrumente pflegte Haydn in seinen ältern Werken nicht anzuwenden; in der Capelle zu Esterhaz waren, so viel ich weiß, gar keine Clarinettisten. Sollte man daraus die Muthmaßung schöpfen können, der „Freybrief“ sei später gemacht, als „La fedeltà“? Mein lebhafter Wunsch ist, daß Sie Ihren Aufsatz in der Allgemeinen musikalischen Zeitung veröffentlichen möchten. Hier kommt er jedenfalls vor die rechten Leser. Ich glaube Ihnen im Voraus sagen zu können, daß Chrysander sich freuen würde ihn aufzunehmen. Sollten Sie mit Chrysander nicht bekannt sein, so bin ich gern bereit, die Bekanntschaft zu vermitteln. Die Partitur der Meße darf ich wohl noch ein paar Tage behalten? Mit bekannter Hochschätzung Ihr ergebener Philipp Spitta