## Title: Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 13. März 1817 (Teil 1 von 2) ## Author: Winkler, Karl Gottfried Theodor ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030092 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 13. März: Der Fähnrich, oder: Der falsche Verdacht, Schauspiel in 3 Akten von Schröder. Es läßt sich vieles über die Titel der Stücke sagen; wie viel mehr über Titel der Bücher? wer zweifelt daran? Treffliches in der ersten Beziehung hat uns Lessing gegeben. Es ist wohl der Mühe werth, es sich noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen und wohl erlaubt, ein Paar Bemerkungen dabei zu machen. Er sagt: „Ein Tittel muß kein Küchenzettel seyn. Je weniger er von dem Inhalte verräth, desto besser ist er. Dichter und Zuschauer finden ihre Rechnung dabei, und die Alten haben ihren Komödien selten andre als nichtsbedeutende Titel gegeben.“ Lessing hat Recht; ein Küchenzettel soll der Titel allerdings nicht seyn, eben so wenig als – ein oft zu rügender Fehler neuerer Dichter – die Namen komischer Personen schon ihren ganzen Charakter andeuten sollen, aber allzu allgemein darf doch auch der Titel nicht werden, weil der Dichter sonst ja eben so gut gleich seine Stücke numeriren, und sie blos unter No. 1. bis so weit es ihm beliebt, recht genau unterscheidend vorsetzen konnte. Denn wir möchten es doch nicht zur Nachahmung aufstellen, wenn Plautus von dem aller unerheblichsten Umstande, nämlich daß der Sykophant ein Dreipfennigstück für seine Mühe bekam, ein Lustspiel, das weit zweckmäßiger der Schatz geheißen hätte, den Dreiling benannte. Und Lessing scheint es nicht einmal mit dieser Aeußerung selbst voller Ernst zu seyn, denn späterhin sagt er: „Warum soll ein Stück nicht zwei Titel haben? Haben wir Menschen nicht auch zwei bis drei Namen? Die Namen sind der Unterscheidung wegen, und mit zwei Namen ist die Verwechslung schwerer, als mit einem.“ Also müssen diese Namen auch wirklich etwas Unterscheidendes haben, das in dem individuellen Gange des Stücks liegen muß. Folglich darf aus der unbedeutendsten Kleinigkeit der Name nicht gewählt werden, denn diese kann ja, eben weil sie unbedeutend ist, in hundert andern Stücken von ganz verschiedner Anlage, ganz verschiedenen Charakteren unbedenklich wiederkehren. Der Titel des heutigen Stücks hat uns auf diesen Gegenstand gebracht, weil er uns eben theils viel zu allgemein, theils nicht zweckmäßig aus dem Gange des Stücks hergeleitet scheint. Der Fähnrich! Könnte es nicht eben so gut der Lieutnant, oder der Wachtmeister, oder nach dem Namen jeder andern Militärperson unter dem Hauptmann heißen? Abgerechnet, daß nur in wenigen militärischen Corps dieser Name noch vorkommen wird, veraltet ist, und daher wenigstens nicht von 1817 gesprochen werden sollte. Und ist denn der Fähnrich eigentlich der Hauptcharakter, von dem doch wohl der Name hergenommen seyn sollte? Wir halten dafür, daß es weit mehr der Baron Harwitz ist. Der falsche Verdacht! Dieser Titel wäre wohl bezeichnender, aber es ist wieder nur ein Moment des Stücks, den er berührt, und welche Menge von Intriguen im Lust- und Schauspiel beruhen auf einem falschen Versachte, so daß also diesen Ausdruck wieder der Vorwurf der Allgemeinheit treffen würde. So viel Bedenklichkeiten hat ein armer Dichter schon bei einem Titel zu beseitigen, wie muß es ihm erst beim Ausarbeiten seines Werkes selbst gehen, wenn jedes Wort so geanu gewogen werden sollte. Aber dafür geschieht das auch Gottlob nicht, so wie ja oft das Aushängeschild schon im Voraus über den Werth der Waare entscheidet, und unser Lessing auch darüber noch gar wahrhaftig sagt: „Mancher Stümper hat zu einem schönen Titel eine schlechte Komödie gemacht, und blos des schönen Titels wegen. Ich möchte doch lieber eine gute Komödie mit einem schlechten Titel.“ Und ein in mancher Hinsicht recht wackeres Stück bleibt doch immer dieser Fähnrich, an dessen Namen wir solchen Anstoß genommen haben. In Hinsicht der Darstellung haben wir besonders Hrn. Burmeister, als Baron Harwitz, auszuzeichnen, und in seinem gedachten Spiele, vorzüglich den Augenblick, wo er Wilhelm von Vizar die erdichtete Erzählung von der entwendeten Uhr macht, und der Löffel ihm dabei vor die Füsse fällt. Th. Hell.