## Title: Werkbesprechung: „Alimelek, Wirt und Gast, oder Aus Scherz – Ernst“ von G. Meyerbeer ## Author: Carl Maria von Weber ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031185 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ #lb#Prag, den 3ten Nov.Ueber die Oper Alimelek, Wirth und Gast, oder, aus Scherz – Ernst, in 2 Acten, von Wohlbrück, mit Musik von Meyer-Beer, auf dem landständischen Theater zu Prag aufgeführt d. 22sten, 24sten u. 30sten October 1815.Wiederholt durch meine diesjährige Urlaubs-Reise im Auslandeins Ausland überzeugt, dass unserer Stadt, und der in ihr erscheinenden und erzeugten Kunstwerke sehr selten, oder beynahe nie, in öffentlichen Blättern erwähnt wird; und ununterrichtet in meiner literarischen Abgeschiedenheit hier, und zugleich höchst zweifelnd, dass diesem Uebelstande seit einigenein paar Monaten abgeholfen seyn möchte – ergreife ich die Feder, um die Leser Ihrer geachteten, einflussreichen Zeitung auf ein treffliches deutsches Originalwerk aufmerksam zu machen, und von seiner Würdigung und Aufnahme hier Kunde zu gebenAufnahme und Würdigung hier zu unterrichten. Ich fühle dazu doppelt den Drang in mir, weil, trotz der vielfach ausgesprochenen Deutschheit, und des von Vorurtheilen mancher Art frey seyn wollenden Sinnes, unser Enthusiasmus nur gar zu gern noch fremde Werke unbedingt vergöttert, an den eigenen aber so lange neckt, krittelt, zupft und modeltzerrt, krittelt, zupft und meint, bis sie, herabgezogen und skeletirt, dem Geniessenden verleidet, oder spätererund der späteren Zeit erst zur Erkenntnis aufbewahrt werdensind. Hr. Meyer-Beer hat sich bis jetzt hauptsächlich einen Ruf als grosser Klavierspieler begründet; weil dies eine gleich sich selbst unbedingt aus sprechende Sache ist, die das Gefühl mit sich fortreisst, und den Beyfall des Zuhörersjedes Musikliebenden Menschen errungen hat, ehe dieser sich bey dem sich wichtig machenden Halb-, oder dem nicht seltenmeist neidischen Ganz-Kenner, um die Meynung sich erkundigen konnte, die er davon haben dürfe. Viel übler aber ist es ihm mit seinen Verdiensten als Componist ergangen. An den meisten Orten, wo er durch grössere Werke seinen Genius beurkundete, hat man für gut befunden, es mit Stillschweigen zu übergehen. Und so ist weder seiner grossen Oper, Jephta, in München, seines Wirth und Gast in Stuttgart, seines Oratoriums, Gott und die Natur, in Berlin etc., ja selbst des enthusiastischen Beyfalls, den sein Spiel in München, Wien, etc. der Volksstimme abgewann, je anders, als höchstens mit zweydeutigen, die Sache ins Unbedeutende ziehenden Ausdrücken, erwähnt worden *).*) Anm. In diesen unsern Blättern ist weder das Eine, noch das Andere geschehen: doch mag Hr. v. W. Recht haben, wenn er behauptet, man habe an jenem jungen Künstler zu wenig Theilnahme öffentlich bewiesen. Wir selbst haben Hrn. M. B. nur vormals als einen talentvollen, leibenswürdigen Knaben, und dann von seinen Compositionen einen kleinen, schönen Chor kennen gelernt, der von uns auch damals den Lesern dieser Zeit. als Beylage mitgetheilt worden ist. d. Redact. Es ist wahrlich traurig genug, dass die schönen Resultate der Zufriedenheit und des Entzückens eines Publicums, das der Künstler mit seinem Herzblut erkaufen muss, so oft in den Händen und der Willkür der Einzelnen liegen, die der Zufall, die Schreiblust, die Neigung, sich gedruckt zu sehen, oder gar der Hunger, zu den Herolden und Verkündern der öffentlichen Stimme bestellt hat. Ginge dieses Verkünden und Urtheilen selbst nur aus eigener reiner Ueberzeugung hervor: so wäre es doch immer noch etwas. Aber wie wird es meistens durch kleinliche Nebenrücksichten bey-, oder missfällig gemodelt! Die Erfahrung könnte hier weitläufig traurige Beyspiele von den unglücklichen Folgen eines nicht abgegebenen Visiten- oder Concert-Billets aufstellen! Doch genug hiervon, und wieder zu der Veranlassung dieser Abschweifung, der Oper Alimelek, zurück! Der Stoff derselben ist der erwachte Schläfer aus dem Mährchen der 1001 Nacht. Er ist mit ungemeinem Witz und echter Laune behandelt; weshalb man vor allem dem Componisten Glück wünschen muss, einen Operndichter, wie Hrn. Wohlbrück, zum Gefährten gehabt zu haben. Wo mit solcher Theaterkenntnis , Charakterzeichnung, und in solchen, Melodie erzeugenden Versen | geschrieben ist: da muss der Componist ergriffen und befeuert werden – was dieser ebenso trefflich auch hier bewiesen hat. – Die Einheit und Haltung der ganzen Oper ist ein Vorzug, den wenige Musiken, wie diese, besitzen; dabey die Beweise des ernsten Studiums der Kunst, die schöne Verbindung selbständiger Melodieformen, wo jeder Charakter sich selbst treu bleibt! Keine Weitschweifigkeit, alles dramatisch wahr, voll lebendiger, reger Phantasie, lieblicher, oft üppiger Melodien; stets richtige Declamation; viele reiche, neue Harmonie-Wendungen; sorgfältige, oft in überraschenden Zusammenstellungen gedachte Instrumentation –: so ist diese Oper, aus der es mir ein Leichtes seyn würde, alles hier Bemerkte mit Beweisen zu belegen, wenn nicht die Erfahrung mich belehrt hätte, dass dergleichen einzelne, herausgerissene Sätze und Stellen aufhören, das zu seyn, was sie nothwendig eben nur in der ganzen Zusammenstellung sind und bedeuten und daher selten überzeugend wirken. Gerade ein Jahr früher, d. 20sten Oct. 1814, erschien diese Oper auf dem Kärntnerthor-Theater in Wien und missfiel, aus tausenderley Rücksichten, von denen ich hier nur einige anzuführen brauche, um dies, trotz den Vorzügen des Werks, begreiflich zu machen. Hr. Meyer-Beer, der sie ursprünglich für das stuttgarter Hoftheater geschrieben hatte, arbeitete sie in Wien nach Local-Rücksichten, und hauptsächlich die Rolle des Alimelek für den Sänger, Hrn. Ehlers, der in dieser Gattung Rollen sich die Gunst des Publicums zu erringen und zu erhalten gewusst, um. Eingetretene Verhältnisse hinderten diese Besetzung; Manches wurde geändert, transponirt etc. Dem. Buchwieser hatte aus physischen Ursachen nicht die Kraft, diese schwierige Gesangpartie so gut zu geben, als man es von dieser Meisterin gewohnt ist, und zog sich – der Liebling des Publicums – jenen Abend den lauten Unwillen desselben zu. Hat der unglückliche Zufall einmal eine solche Verstimmung der Gemüther über eine Vorstellung verhängt: so ist es für den Tag um das Ganze geschehen; besonders bey einem Werke, wie dieses, dessen mannigfaltige Nüanzirung aufmerksames, ruhiges Hingeben verlangt. Die Oper wurde nur einmal gegeben, und ihr dadurch das Mittel geraubt, sich dem Publicum vertraut zu machen. Hier hatte sie mit doppelten Hindernissen zu kämpfen. Erstlich mit der von Wien herüber gewehten üblen Meynung, und zweytens mit dem Sonntags-Publicum, welches nie das ruhige, besonnen urtheilende ist, wie das gewöhnlich das Theater füllende. Dagegen hatten wir nun Hrn. Ehlers, eine Sängerin, wie Mad. Grünbaum, und von allen Seiten reine Liebe zur Sache. Der Beyfall des ersten Abends war getheilt: desto entscheidender aber der Triumph des schönen Werkes in der zweyten Aufführung, d. 24 Oct. (wo jedes Musikstück sehr gut , und viele mit Enthusiasmus aufgenommen wurden). Die Ouverture, ein Duett, Terzett, Finale etc. hatten schon den ersten Tag ihren Lorbeer erhalten. Und bey der dritten Vorstellung, d. 30sten, bewährte das volle Haus und der wiederholte Beyfall, dass man in Prag noch Gutes zu schätzen weiss, und die Stimme des grossen Publicums am Ende immer gerecht ist. Von der Aufführung selbst kann ich nichts weiter bemerken, da sie meiner Leitung anvertraut ist. Aber doch muss ich mir erlauben, neben dem bekannten Talent und Eifer des Hrn. Ehlers, unserer trefflichen Mad. Grünbaum, geb. Müller, zu erwähnen, die mit immer gleichem Fleisse das Publicum entzückt, und deren klangvolle, biegsame, herrlich intonirende Kehle, nebst dem Leben, mit dem sie ihre Rolle gab, gewiss nicht wenig zum Hervortreten der Schönheiten des Werks in ihrem ganzen Lichte beytrug. Ebenso ergreife ich von Herzen die Gelegenheit, einmal öffentlich auch meinem Orchester und Chor-Personale für den stets gleich regen Eifer und Fleis zum Gelingen alles Guten, zu danken. Der wahrscheinlich bald erscheinende Klavier-Auszug dieser Oper wird gewiss gern auf allen Klavieren gesehen werden, und erreicht ist meine Absicht, wenn ich durch diese Worte die Kunstfreunde auf einen, ihnen neu emporgekeimten Genuss aufmerksam gemacht habe. Hr. Meyer-Beer ist jetzt in Paris, von wo er bald seine weitern Reisen nach Italien etc. fortsetzen wird. Er arbeitet an einem theoretischen Werke, das eine bedeutende Lücke in der musikalischen Literatur ausfüllen soll. #lb#Carl Maria von Weber.