## Title: Rezension der Klaviersonaten Nr. 3 d-Moll (WeV Q.4) und Nr. 4 e-Moll (WeV Q.5) von Carl Maria von Weber (Teil 2 von 2) ## Author: Rellstab, Heinrich Friedrich Ludwig ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030908 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ II. Recensionen.1) Grande Sonate pour le Pianoforte, composée par Charles Marie de Weber. Op. 49. No. 3 des Sonates. Berlin, chez A. M. Schlesinger. Prix 1 Thlr. 12 Gr.2) Sonate für das Pianoforte komponirt und dem Herrn Hofrath Friedrich Rochlitz gewidmet von Karl Maria von Weber Op. 70. 4. Sonate.(Schluß aus Nr. 41.) Die Sonate No. 2 gehört gewiß mit zu den besten und überlegtesten Hervorbringungen des Künstlers. Ein edler Geist spricht uns aus dem ganzen Werke an; allein ob er nicht hier und da mehr durch den Kampf gegen den Einfluß der Zeit, als durch diese selbst eine Richtung bekommen habe, von der sich wieder zu entfernen es Vortheil ist – das will ich als eine fragliche Anmerkung hinstellen, die mir der Verfasser zu verzeihen haben wird. Der erste Satz dieser Sonate (E-moll, -Takt) nach unserer Meinung der gelungenste von allen, hat nur zwei Hauptthemata, ein melodisches, sanft und schmerzlich, und ein figurirtes von düsterm aber energischem Karakter, dem fernen Getös eines Wasserfalles vergleichbar, das, je nachdem wir ihm näher oder ferner sind, von leisem dumpfem Gemurmel bis zum tosenden Donner wachsen kann. Diese beiden widerstrebenden Elemente sind indeß in eine schöne Vereinigung gebracht, und statt einander zu vernichten, dienen sie nur dazu, ihre gegenseitigen Vorzüge mehr herauszuheben. Wenn uns die Erfindung dieser Sätze tiefer und genialer erscheint, als die in der ersten Sonate, so müssen wir dagegen gestehn, daß uns der Bau des Ganzen nicht so künstlerisch vorkommt, indem das Wach sen bis zu einem Gipfel und das natürliche Herabsinken von demselben lange nicht so klar hervortreten; das Interesse wird ungleicher gefesselt. Nur beiläufig möchte ich zuerst fragen ob der Anfang dieser Sonate: Satz I, T. 1f. der ganz in G-dur liegt, aber doch in G-moll gedacht werden soll, nicht entweder durch den vorgeschlagenen Akkord, oder durch Verwandlung des d in dis, oder durch irgend sonst ein Mittel der Tonart, in der er gehört werden soll, mehr assimilirt werden müßte. Der Eindruck ist mir zwar jetzt verschwunden, allein ich entsinne mich wohl, daß, als ich diese Sonate zum erstenmal hörte, der Eintritt des Akkordes mich so plötzlich traf, daß ich die Ueberraschung nicht zu den angenehmen zählen konnte. Doch dies ist von geringer Bedeutung. Mehr als dieses stören uns einige harmonische Verbindungssätze pag. 5. Syst. 2 und 3 = Satz I, T. 31–38 wo der Komponist aus H-dur nach G-dur und pag. 8 und 9, Syst. 4 und 1 Satz I, T. 113–123 , wo er aus A- nach E-moll (11 Takte) in Akkordfolgen modulirt, deren grelle Schärfe uns fast zu absichtlich gewählt scheint, um überraschend aufzutreten, die aber um so weniger natürlich erscheint, als sie sich mit dem sonst so schönen ebenmäßigen Karakter diese Stückes nicht verträgt. Einige Stellen verlangen etwas mehr vom Spieler, als eine, selbst ausgewachsene und geübte Hand zu leisten vermag. Von folgendem möchte ich wol eine Fingersetzung kennen lernen, die es gestattete, die Melodie und das Akkompagnement, wie es der Karakter doch hier erfodert, gebunden vorzutragen. Pag. 5. Satz I, T. 52 | und Pag. 10. Satz I, T. 153 Ich muß mich hier gegen die Bemerkung verwahren, daß diese Anführungen aus einer gewissen Splitterrichterei entspringen, deren größter Feind ich selbst bin. Gegen den Schluß des Aufsatzes werde ich mich darüber rechtfertigen. – Der zweite Satz, Menuett und Trio, erfreut schon dadurch, daß er nicht fehlt, wie leider so oft in neuern Sonaten. Einen Karakter der Menuett anzugeben möchte schwer halten, da sie von der unruhigsten Bewegung bis zu einer Art von Choralschluß ihre Gestalt wechselt. Das Trio dagegen bewegt sich "leggerment murmurando" in folgender Figur Satz II, T. 101 die sich nur in den Intervallen unbedeutend ändert. Ich gestehe mit einiger Scheu vor dem Gewicht und Geschmack des Verfassers, daß weder Menuett noch Trio mir aus einem natürlichen Erguße des Genius hervorgegangen erscheinen, sondern sich mir vielmehr als etwas dastellen, wobei der Komponist nach dem Neuen und Abweichenden gestrebt, ohne das, was er innerlich ahnte, zu einer so deutlichen Kunstform zu befördern, daß auch der Hörer von demselben Geiste gefaßt werden müßte, der den Schaffenden antrieb. Worin ich diese Irrung, Herr v. Weber verzeihe das dreist ausgesprochene Wort, suche, werde ich später noch anführen. Der Hauptsatz des Andante hat eine so reizende und süße Melodie, von pikanter Harmonie unterstützt, daß wir es gern überhören möchten, wie anders dagegen die Zwischensätze diese Stückes klingen. Vorzüglich scheint mir das Forte pag. 19 nicht nur aus dem Karakter dieses Stückes, sondern auch aus dem Karakter jedes Andante zufallen, da es durchaus den Rythmus eines Allegro hat. Schnelle Noten in der Melodie und bewegtes Akkompagnement bilden noch kein Allegro; wohl aber ein beschleunigter Rhythmus, der uns hier statt zu finden scheint. Man urtheile: Satz III, T. 62f. Würde man glauben, daß dieser Satz einem Allegro oder demselben Andante angehörte, aus dem ich folgende überaus graziöse Wendung abschreibe? Satz III, T. 45–47 Dem letzte Satze, la tarantella, prestissimo (E-moll 2/4 Takt) möchte wohl kaum ein Vorwurf zu machen sein, wenn es nicht der ist, daß derselbe Rhythmus in dieser Länge etwas Ermüdendes hat. Die Melodie bewegt sich dagegen mit so leichter schalkhafter Grazie, daß wir die tanzenden Italienerinnen mit der muntern beweglichen Laune vor uns zu sehen glauben. Besonnen angewendete Kunstmittel erzeugen ein künstliches Erhöhen und Fallen des Interesse und führen uns so auf die angenehmste Weise zum Schluße. Einige Härten sind wohl durch den Karakter des Ganzen und durch die Anfoderungen an den Tanz zu rechtfertigen, der zu der excentrischen Bewegung des Menschen auch bisweilen etwas scharfe Dissonanzen verlangen darf. | Wollen wir nun zum Schluß einen vergleichenden Blick auf beide Werke richten, so finden wir in dem ersten Anordnung und Erfindung in gleichzeitiger Uebereinstimmung; im zweiten zwar vorherrschend tiefere Erfindung, dagegen in der Anordnung, im Bau einige nicht ganz zu rechtfertigende Willkührlichkeiten, und in der Erfindung selbst manches, was unsers Erachtens zu weit geht. Bei einem so reichen Genius, bei einer so tiefen musikalischen Ausbildung, wie die des berühmten Komponisten, müßen Abweichungen dieser Art einen Grund haben, der tiefer liegt, als sich bei andern Tonsetzern von minderm Talente vermuthen ließe, denen man entweder Unbehülflichkeit, oder Mangel an Ausbildung des Geschmacks vorwerfen könnte. Bei Herrn v. Weber scheinen mir dies indeß rühmliche Wunden zu sein, die er in einem großen Kampfe gegen einen gefährlichen Feind empfangen hat. Dieser Feind ist der ausartende Zeitgeist der Musik. Wir sehn nicht Herrn v. Weber allein, sondern auch manchen andern bedeutenden Mann gegen ein Verderben ankämpfen, das aus verschiedenen Gegenden über die Musik hereinströmt. Jede Opposition muß eine gewisse Parteilichkeit erzeugen; ein im Kampfe gezogenes Schwerdt kann, selbst für die gerechteste Sache geführt, nicht das Schwerdt der Gerechtigkeit sein. So sehn wir z. B. L. Spohr, im Bestreben ausartender Formlosigkeit entgegen zu arbeiten, nach einer vielleicht zu strengen Gebundenheit sich hinneigen; in Herrn v. Weber, der den Kampf gegen Rossini vorzugsweise geführt hat, scheint sich dagegen die sybaritische Weichlichkeit des Italieners fast in eine zu rauhe spartanische Strenge zu verwandeln. Diese Erscheinung ist nützlich und hat sich zu allen Zeiten erzeugt, wo ein Element des Verderbens Uebergewicht bekam. Denn wer sich einem Verderben kräftig entgegen stemmen will, kann nicht gerade aufrecht stehn, sondern muß sich selbst vorwärts beugen. So wurde Kato ein zu rauher Censor der Sitten, als Rom anfing, fremde Ueppigkeit in seinen Mauern zu leiden; Brutus that zu viel für die Republik, als Cäsar zu viel um die Herrschaft that, und die Stoiker erhoben sich in der Zeit, wo die Lehre Epikurs Eingang fand. – Aus diesem Gesichtpunkte betrachte ich die Stellen in den vorliegenden Werken, mit denen ich mich nicht befreunden kann. Ja selbst die angeführten, die der Mechanik des Spiels zuwider laufen, sind vielleicht daher zu leiten. Denn wie leicht entsteht Sorglosigkeit in diesen Dingen, wenn in andern Feldern der Musik eine zu weit getriebene Sorge dafür, unser Entgegenwirken und unsere Thätigkeit für Wesentlicheres in Anspruch nimmt? – In wie weit ich mich selbst hierin täusche, da der Einfluß der Zeit auch mich auf gleiche Weise trifft, das wag’ ich nicht zu entscheiden. Doch glaube ich mit dem Vertrauen schließen zu dürfen, daß der ausgezeichnete Mann selbst in diesem, wie ich sie schon genannt, fraglichen und scheuen Einwürfen gegen seine Leistungen nur ein Vereinigen meines Bestrebens mit dem seinigen sehn wird, das Beste des Ganzen in der Kunst zu fördern, so weit es an dem Theil jedes Einzelnen ist. L. Rellstab.