## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Königl. Schaubühne: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 6. Juli 1822 ## Author: Kind, Johann Friedrich ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030722 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.Am 6. Julius. (In der Stadt.) Preciosa. Schauspiel in 4 Akten mit Gesang und Tanz, von Alexander Wolff. Mein Freund und Mit-Herausgeber Th. Hell hat eine Kunstreise nach dem Riesengebirge angetreten, hauptsächlich wohl, um für die Abendzeitung einen tüchtigen Correspondenten über Rübezahls Familien-Theater anzuwerben, woselbst bekanntlich Decoration, Beleuchtung, Flugwek, Ballet, kurz alle, am rechten Orte sehr achtbare Ausschmückungen in der höchsten Vollkommenheit anzutreffen sind. Er hat mir die Verpflichtung hinterlassen, nicht nur im Allgemeinen über die hiesigen Bühnen-Darstellungen Bericht zu erstatten, sondern auch den seinigen über die Preciosa (s. No. 164 und 165) nach Befinden zu ergänzen. Freimüthig, doch ohne den mindesten Anspruch auf Untrüglichkeit, werde ich seinen Wünschen Gnüge leisten. Es ist schon genug, das Nachdenken zu wecken gegen manches Unwahre, aber oft Gesagte und daher auch Geglaubte, Zweifel zu erregen, und weitere Prüfung zu veranlassen; zu kritischer Ausführlichkeit mangelt Raum und Zeit. - Der geniale Verf. der Preciosa hat sich schon durch Cesario, Pflicht um Pflicht und den Hund des Aubry (welche Stücke nebst der Preciosa, dem Vernehmen nach, bald in einer Sammlung erscheinen werden) als Dichter bewährt. Dieß ist mehr, als den meisten Andern, die zugleich Schauspieldichter und Schauspieler sind, ob sie sich schon größtentheils auf Theater-Effect verstehen, nachzurühmen seyn möchte. In welchem Grade er auch bei der Preciosa ein Aehnliches gethan, wagen wir nicht zu bestimmen, weil uns jetzt eben so wenig die zum Grund liegende Novelle, als die Handschrift des Schauspiels zur Hand ist, und man bloß nach Aufführungen kein Dichterwerk vollkommen beurtheilen kann. Den einzigen Umstand abgerechnet, daß man bei Erwähnung eines reizenden, allgemeine Bewunderung erregenden Zigeuner-Mädchens auch sogleich an einen Kinderraub denkt – weßhalb man denn auch hier schon bei den ersten Scenen über den Ausgang ziemlich im Klaren ist – scheint uns der Stoff der Preciosa vortrefflich, aber nicht zu einem Schauspiele, sondern zu einer Oper! In dieser würde das, was uns hier fast nur zu Befriedigung der Schaulust herbeigezogen scheint, (die Bauernhochzeit, das Maulthier, die Illumination etc.) weit mehr an seiner Stelle seyn; hier aber müßte man, um jene, jetzt so beliebt werdenden Nebendinge einigermaßen zu vertheidigen, zu der abkömmlichen Bedeutung des Wortes Schauspiel seine Zuflucht nehmen, wonach es freilich mit Divertissement ziemlich für gleichbedeutend angesehen werden kann. Der Charakter der Preciosa (die man wohl mit Recht eine spanische Fanchon nennen kann) ist so gemischt und es ist so wenig begreiflich, wie die frühzeitig Geraubte und stets unter einer wandernden Horde Erzogene zu so vielseitigen Vorzügen des Geistes und Herzens habe gelangen können, daß es, wenn nicht unmöglich, doch höchst schwierig seyn möchte, eine vollkommen befriedigende Einheit hervorzubringen. Frau von der Klogen hat diese Aufgabe so gut gelöst, als es nur immer von einer zwar sehr talentvollen, aber auch noch sehr jugendlichen Künstlerin, und bei einer Rolle, welche nicht bloß im Spiel, sondern auch in Gesang und Tanz große Virtuosität erfordert, zu erwarten stand; der Werth ihrer Leistung ist von dem zahlreichen Publikum einstimmig anerkannt worden. Hat aber der Dichter von einer Darstellerin der Preciosa fast zu viel verlangt, so hat er dagegen, wenn wir nicht ganz irren, bei den beiden übrigen hervorstechenden Rollen (dem Zigeuner-Hauptmann und der Wiarda) den Darstellern (hier Hr. Hellwig und Mad. Hartwig, welche nichts zu wünschen übrig ließen) zu wenig aufgegeben; mit andern Worten, diese beiden Charaktere, doch vorzüglich der des Hauptmanns, scheinen uns, obschon bei einem oper-ähnlichen Schauspiele allerdings von nicht viel mehr, als von einer kräftigen Skizze die Rede seyn kann, zu wenig Tiefe zu haben. Von Leuten dieser Gattung darf man mit Recht weit mehr Gewandtheit und Kraft, weit mehr Verschmitztheit, Keckheit, Hohn und Trotz erwarten, und das Hauptinteresse an Preciosa würde in diesem Falle nicht vermindert, sondern gesteigert worden seyn; je größere Schwierigkeiten zu bekämpfen gewesen wären, desto höher würde die Zauberin gestanden haben, die durch Unschuld, Anmuth und natürlichen Verstand Halb-Wilde dieser Art zu zügeln vermocht hätte. Wer vielleicht hierbei, doch hauptsächlich in Beziehung auf den Zigeuner-Hauptmann (eine Figur, welche für die Bühne gewiß eine höchst reichhaltige Ausbeute geben könnte), unsere Foderung für überspannt hält, der lese das Volkslied *)*) S. das Feuerbesprechen in "des Knaben Wunderhorn", 1ster Band, S. 21.: Zigeuner sieben von Reitern gebracht, Gerichtet, verurtheilt in einer Nacht pp. und – sollte er auch, wie wir selbst vielen alten Volksliedern weit mehr weltsitten- und sprach-geschichtlichen, als ächten dichterischen Werth beilegen, sollte er auch, wie wir selbst, nicht daran glauben, daß eine Kreuzspinne durch hundert- oder mehrjährige Verschrumpfung sich zu einem Diamanten veredle – er wird dieß Volksgedicht herrlich finden und über das in Obigem Gesagte mit uns einverstanden seyn! Die kleine, aber vortrefflich gezeichnete Rolle des Pedro ist ungemein belustigend und wird von Herrn Pauli, ohne Uebertreibung, mit der ergötzlichsten Laune und mit dem rühmlichsten Fleiße gegeben, welchen an ihm gewiß alle Freunde des Theaters hochzuschätzen gelernt haben. – Das erste Costum des Don Alonzo war ein wenig zu prächtig. – Unter den Decorationen schien uns das Zigeuner-Lager, späterhin mit dem anbrechenden Morgen, die vorzüglichste; bei der, sonst recht schön in's Auge fallenden, Schluß-Illumination fernten wohl die Lampen-Pyramiden im Hintergrunde zu wenig, um die beabsichtigte perspectivische Täuschung vollkommen hervorzubringen. – Alles Sonstige ist in der Anzeige meines Vorgängers bereits nach Verdienst berührt worden. Am 7. Julius. (Auf dem Bade.) Johann, Herzog von Finnland. […]