## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Königl. Schaubühne: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 23. Juli 1822 (Teil 2 von 2) ## Author: Friedrich Kind ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030696 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.Der Freischütz.#lb#(Beschluß.)Für eine Ahnenfrau würde dieß untadelhaft seyn; aber paßt diese Attitüde und dieser Schleier der Verklärung auch für die Mutter eines Jägerburschens? passen beide zu den Worten: „So lag sie im Sarg, so ruht sie im Grab!“ und stört erstere nicht zugleich den nothwendigen Contrast mit der heftigen Bewegung der gleichnachher erscheinenden Agathe? Maxens Mutter muß sich hier in völligem Leichenkleide zeigen, einfach weiß oder grau mit schwarzen Schleifen, die Hände über die Brust geschlagen, anfänglich starr vor sich hinsehend und nur bei den Worten: „Sie fleht mit warnendem Blick, sie winkt mir zurück!“ Auge und Zeigefinger langsam erhebend. So – in Hinsicht auf Stellung und Geberde – ließ uns die berühmte fremde Künstlerin, mit der wir uns über diesen und ähnliche Gegenstände besprachen, augenblicklich und ohne alle Vorbereitung die dem Grab entstiegene mütterliche Warnerin erblicken, und – wohl Niemand würde sich dabei des Grauens erwehrt haben. *)*) Vielleicht ist es einigen unserer Leser nicht unangenehm, eine hiermit einigermaßen verwandte uns sattsam verbürgte Theater-Anekdote zu erfahren. Auf einer großen deutschen Bühne übernahm Einer der genialsten von den jetztlebenden Schauspielern, obgleich ein Anderer die Rolle das Samiels spielte, aus eigener Lust ein- oder einigemal die Stimme des Echo's in der Wolfsschlucht. Das von ihm dirigirte Echo konnte aber, dem Anscheine nach, die heilige gedritte Zahl nicht herausbringen, sondern stieß nur ein scharfes, fast klirrendes Drr aus. Wer die Sagen von einem oder dem andern nicht geheuren Widerhall kennt, – wir erinnern uns dunkel, etwas Aehnliches vom sogenannten Urner Loche oder vom Pilatussee gelesen zu haben – wird das Schauerlich-Angemeßne hievon zugestehen. Deshalb rathen wir aber keinesweges zu einer Nachahmung; denn erstens kann etwas dergleichen wohl nur durch Ueberraschung wirken, zweitens berührt auch das Grauenvolle sich sehr nahe mit dem Lächerlichen und wenn zwei dasselbe thun, ist es nicht immer dasselbe. – Endlich liegt es auch offenbar in der Natur der Sache, daß nach Caspars Fall einige seiner Jagdgenossen sich mit ihm beschäftigen müssen – die erst, als wegen Samiels Annäherung der Horizont sich verfinstert und röthet, schaudernd von ihm zurückweichen. Sey es uns schlüßlich vergönnt, noch einige gegen die Dichtung erhobene Ausstellungen zu berühren; wer das Gewebe angelegt hat, kann ja am besten die Fäden zeigen, und was wir kürzlich zu sagen haben, kann ja auch, wenigstens zum Theil, den Darstellenden zu statten kommen. Man hat Maxens Beängstigung und Verzweiflung für übertrieben gehalten; er habe beim Sternschießen nichts getroffen; das sey nun das ganze Unglück! Wenn es den Tadlern entgangen, daß Max, sonst der beste Schütz, eben jetzt, da er den verhängnißvollen Probeschuß ablegen soll, seit vier Wochen stets gefehlt hat; wenn sie keinen Begriff davon haben, was beim Jäger – besonders in je ner Zeit – ein versprochenes Gewehr, ein gestellter Waidmann besagen will – ist das die Schuld des Dichters? Man hat es fast lächerlich gefunden, daß Max, nach Caspars Ausdrucke, sich die Braut erschießen solle. Wenn den Tadlern der boshafte, Caspars heimtückischen Plan mit einem Worte andeutende Doppelsinn entgangen ist, wonach Erschießen eben so gut: durch einen Schuß gewinnen, als: durch einen Schuß tödten, heißen kann – ist es Schuld des Dichters? Man hat gefunden, daß der Dichter sehr unkünstlerisch den Glauben an die geheime Einwirkung magischer Kräfte selbst aufgehoben habe, da mehrere Personen aufgeklärt sprächen und nicht an dergleichen Dinge glaubten. Von dem letztern ist dem Dichter durchaus nichts bekannt. Daß Kilian an Freikugeln glaube, besagen deutlich seine Worte. – Wenn Cuno sagt: Possen! so geschieht das, weil er, wie Viele, vor dem Bösen sich scheuende, gottesfürchtige Leute, Dinge dieser Art lieber an ihren Ort gestellt seyn läßt, und am allerwenigsten jetzt, wo viele junge Schützen (Jäger und Bauern) zugegen sind, mithin leicht ein Mißbrauch entstehen könnte, eine Erörterung hierüber veranlassen mag. Daß er allerdings an Zauberei glaube, zeigen deutlich die Worte: „Hüte Dich, daß ich nicht noch Aergeres von Dir denke!“ – Daß Caspar an Freikugeln glaube, bedarf wohl keines Beweises: „Alfanzerei! nichts als Naturkräfte!“ so geschieht es ja augenscheinlich, um jeden Verdacht von sich zu entfernen und die Sache, vorzüglich gegen Max, als unschuldig, als nicht sündhaft darzustellen. – Könnte hierüber allenhalben noch ein Zweifel bleiben, so giebt das als kleiner Freigeist erscheinende Annchen über sich, mithin auch über die übrigen, weit weniger Zweifelnden, vollen Aufschluß mit den Worten: „Mein Vater meint, man müsse die Furcht nur verspotten, dann fliehe sie,“ pp. – Auch ihr ist in dem alten Eulenneste nicht wohl zu Muthe, aber sie stellt sich herzhaft, um Agathen zu erheitern und aufrecht zu erhalten. Doch selbst dieß ist nicht von Bestand: als die Todtenkrone zum Vorscheine kommt, wird auch sie vom lebhaftesten Schrecken ergriffen, und nur die ihr sich schnell aufdringende Nothwendigkeit, man dürfe Agathen nicht zum Nachdenken kommen lassen, verhilft ihr wieder einigermaßen zu dem frühern glücklichen Leichthinnehmen oder Leichtvorstellen. – Wenn dieß alles die Tadelnden nicht gefaßt haben, wenn sie nicht meinen, daß eine geheime Furcht, eine Furcht, die man vergeblich zu bekämpfen suche, desto wahrer und desto tiefer eingewurzelt erscheine – ist es die Schuld des Dichters? Man hat auch das Treffen und Aeffen, als gezwungen, als bloß durch den Reim erzeugt, getadelt. Samiel spricht, so viel dem Dichter bekannt, eben so wenig in Versen oder Reimen, als er singt – auch hiezu mögen Dichter und Componist ihre Gründe gehabt haben – Apels Erzählung ist, so viel wir wissen, in Prosa geschrieben. Wenn aber dergleichen Volkssprüchlein gewöhnlich einen An- oder Nachklang in sich haben, wenn den Tadlern unbewußt gewesen, daß das Sprüchlein von den Freikugeln nicht erfunden sey, sondern in der That also laute, wenn sie letzteres nicht wenigstens aus der Apelschen Erzählung kennen gelernt haben – ist es Schuld des Dichters?