## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 4. u. 7. November 1819: „Die vier Temperamente“ von Ziegler (Teil 2 von 4) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030900 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Die vier Temperamente.(Fortsetzung.)Und doch hat dieß Stück nirgends ganz mißfallen, an vielen Orten sogar sehr unterhalten, und auch hier bei zweimaliger Aufführung nach einander das Publikum mannigfach angeregt und belustigt! Ja, wenn es mit so viel Fleiß eingeübt und mit so fröhlichem Zusammenspiel, wie auf unserer Bühne, dargestellt wird, mag es, wenigstens in den ersten 3 Akten, ohne bittere Langeweile noch manchen Abend weit erträglicher ausfüllen, als es bei den jetzt so manche Bühne heimsuchenden Duzzendstücken möglich ist. Indeß beweißt dieß doch nur zuerst und am allermeisten die dramatische Hungersnoth, wie man selbst halbgebackenes Commisbrot, in schwarzer Tunke aufgeweicht, gierig hinabschlingt. Das Uebel wächst mit jedem neu zu entwerfenden Repertorium fürchterlich und wird der brüchtigten Stallfütterung zu Anfange der aristophanischen Farce, die Friedensgöttin genannt *)*) Wir versprechen zur Ergötzlichkeit der Leser, die kein Griechisch verstehn, und auf die längst vollendete Uebersetzung des ganzen Aristophanes von dem Altmeister Voß vergeblich warten, den Anfang dieser ächt poetischen Farce in diesen Blättern auszugsweise mitzutheilen., täglich ähnlicher werden, so lange trefflich begabte Dichter, die allein helfen könnten, lieber die Constabler zu kritischen Batterien oder gar die Pfefferküchler für allerlei Eingemachtes machen, und so lange wir nicht zu alten guten Kernstücken, die doch nur einer verständigen Anfrischung bedürften, zurückzukehren den Muth haben. (Wir wollen bei dieser Gelegenheit den dringenden Wunsch vieler achtbaren Theaterfreunde noch Lessing's Minna und Iffland's Elisa von Valberg pflichtmäßig zur Sprache gebracht haben.) Denn mag auch zweitens billig anerkannt werden, daß Ziegler einen recht glücklichen Fund in der eigentlichen Fabel des Stücks gethan und dabei durch auffallende Contraste und Situationen recht drastisch zu wirken verstanden hat, welches Verdienst ihn von uns in der höchsten Wiener Währung angerechnet werden soll. Ein in Böhmen wirlich vorgekommener Fall, daß vier Einsetzer auf ein Loos eine ansehnliche Herrschaft gewinnen, diente wahrscheinlich zur Grundlage. Nun sitzen sie zusammen auf ihrem Gute und sind die leibhaften vier Temperamente. Was hätte sich aus diesem wahrhaft beneidenswerthen Stoffe nicht alles machen lassen, wenn sich nicht alles um die alltäglichste Liebelei herumdrehte und wenn außer der sehr prosaischen Stallfütteru[n]g jedem der Herren eine bestimmte Liebhaberei gegeben worden wäre. Ein solcher Stall voll Steckenpferde im steten Wettkampf, welche unerschöpfliche Fülle von komischen Situationen hätte dieß dargeboten! Endlich kann gutes Bühnenspiel auch wohl der hinkenden Mittelmäßigkeit für einige Abende auf die Beine hel fen. Aber der Krüppel kömmt endlich doch in's Invalidenhaus. Schade nur um den Kraftaufwand, mit welchem etwas weit Vorzüglicheres errungen worden wäre! Jammer wegen der heillosen Wechselwirkungen, wenn, was anderswo wohl oft der Fall seyn mag, Schauspieler und Publikum sich gegenseitig immer mehr herabziehn und Sinn und Geschicklichkeit für Wiederbelebung guter alter Kernstücke nach und nach gänzlich abstumpfen. Um auf das, was man die Intrigue dieses Stücks nennen mag, noch einmal zurückzukommen, so ist dem Verfasser durch das völlige Vergreifen des Charakters des trüb- und blödsinnigen Melancholikus eine ganze Reihe von Fehlgriffen und Ungehörigkeiten zugewachsen. Helene, die angebetete Geliebte von drei Temperamenten und die Schwester des vierten Temperaments, hat als lebenslustige Weltfrau alle drei Liebhaber bis jetzt an ihrem Witwenwagen trottiren lassen, wird aber durch die sonderbarsten Liebesproben völlig überzeugt, daß nur der schwarzgallige, ungalante Sieborn Farbe hält. Ein frisches Landmädchen, die nebenbei der sanguinische und cholerische Sponsirer zu umgarnen suchen, wird von Helenen selbst zu einem nächtlichen Stelldichein abgerichtet, wobei die weltkluge Frau die den Nebenbuhlern zugedachte[n] Huldigungen empfängt und so beiden die Maske abzieht. Wer sollte nun nicht glauben, daß der Verfasser aus dieser komisch genug angelegten Situation den Vortheil ziehen würde, daß beider Laffen Flattersinn vor unseren Augen nach Gebühr abgefertigt und Sieborns schmerzlich geprüfte Treue belohnt würde, womit alles sein Recht und sein Ende hätte? Statt dessen fällt der abgeschmackteste Schuß von der Welt. Von der erwarteten Beschämung kein Wort. Helene sinkt dem blödesten aller Gimpel in die Arme und damit hat der dumme Spaß – wie ihn Lanimer in der Schlußrede selbst betitelt – leider noch kein Ende. Ziegler fühlte, daß er der feinen Helene, so wie den verständigen Zuschauern ein bessere Auflösung schuldig sei. So beginnt er 14 Tage nach dem Schuß das alte Spiel im Nachspiele noch einmal. Da hat sich die kluge Frau ihren Liebhaber allerdings schon recht artig zugeschnitzt, allein nun halten auch die zwei abgedankten Liebhaber noch ein Wettrennen um das schöne Landmädchen. Galt irgend eine poetische Gerechtigkeit, so müßte sie keiner von beiden erhalten. Der Heirathlustige Jäger Puliz hat genug aufgepaßt. Dem allein gönnen wir sie. Statt dessen schnappt sie Funk weg. Es wird sehr schlechte Ehen und – zum Nachspiel, ein Duell, geben. So ist nichts recht beendet. Wie ganz anders hat der brittische Komiker, dem Schröder in den vier Vormündern nachbildete, wie ergötzlich hat Goldoni in seiner Vedova scaltra die vier Liebhaber in vier verschiedene Nationen eingetheilt. Warum sehen wir in angemessener Bearbeitung diese zwei Stücke nicht einmal wieder auf der deutschen Bühne. (Die Fortsetzung folgt.)