## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer 17. Juli 1819 (Teil 2 von 3) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030609 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sappho.(Fortsetzung.)Wir glauben dieß um so mehr bemerken zu müssen, als dieß der Grundton alles leidenschaftlichen Ausdrucks im ganzen Stück seyn muß und dadurch dem nur zu leicht zu vergreifenden Ausdruck der Eifersucht und des sich ermannenden Entschlusses, nicht mehr zu leben, erst Einheit zum Ganzen gegeben werden kann. Dabei findet aber auch eine ganz eigene Schwierigkeit statt. Durch den Contrast zu wirken, ist stets gefährlich. Es verleitet nur allzu leicht zu falscher Schatten- und Lichtgebung, zu unwahren Effecten im Helldunkel. Die Rolle der Sappho wandelt in lauter Contrasten. In ihren Monologen knüpft sich immer das Zarteste mit dem Gewaltsamsten in seinen äußersten Spitzen zusammen. Es ist der Triumph der Künstlerin, daß zwischen den sich bekämpfenden sich gleichsam gegenseitig vernichtenden Leidenschaften nie eine schroffe Härte, eine klaffende Lücke erscheine. Dieß ist ihr aber nur durch die wunder-melodiereiche Stimme und die gehorsamste Biegsamkeit derselben, durch Schwellungen und Mitteltöne möglich, die so wir noch nirgend hörten. Alles Mienenspiel geht hier betteln. Die Stimme ist das Panharmonikon. Wir können, durch den Raum beschränkt, hier nur noch auf wenige Einzelheiten aufmerksam machen und fühlen am besten, wie mißlich dieß Zergliedern gerade da seyn muß, wo alles so zusammen wirkt und ein Guß ist; wo man immer wieder ausrufen möchte: „es muß so seyn!“ Welch ein süßeinschmeichelnder, Herzgewinnender Wohllaut im Recitiren der Ode an die Aphrodite, welches natürlich mit einigen Tongriffen in die Saiten (hinter der Szene), so wie wir uns die lyrische Declamation der Alten immer eingeleitet denken *)*) Also nicht Accompagnement, sondern nur einzeln eingreifendes Präludiren. Das ist eben das ἰ ν δ ὁ σ ι μ ο ν, pracire vocem der Alten, welches sehr oft mißverstanden worden ist. Hätte z. B. Forkel in seiner allgem. Geschichte der Musik, I., 492, dieß bedacht, so würde er sich die lyrische Poesie anders erklärt haben., in den Hauptabsätzen gestimmt wurde. Diese Recitation war ein vollendetes, auf- und niederschwebendes Tongemälde. Und da könnte jemand Reimgeklingel statt des Rhythmus wünschen! Sehr fein war in die Worte: „flieht er dich jetzt“ u. s. w. ein leiser Anstrich von Neckendem, von Scherz gelegt. Eben so meisterhaft wurde die Dankode am Schluß vorgetragen. Nur zuletzt bricht die Stimme und schmilzt in innern wehmüthigen Tönen bis zu dem nur als Seufzer hervorgehauchten: „erlasset mir den Kampf.“ Wie spricht sie in dem großen Monolog zu Anfange des 5ten Akts das dreimalige: „Undank“ aus! Das erstemal hell und stark. Es ist der Laut des Zorns. Das zweitemal tiefer herauf. Es steckt im Pful. Endlich mit einer Kopfwendung rückwärts und einer Bewegung der Hand, als werfe man etwas weg. Mit Unwillen verachtend! – Dieß führt uns zu der Stelle in der Unterredung mit Rhamnes, wie sie den Undank mit der Schlange vergleicht. Es versteht sich, daß bei der Erwähnung der übrigen Bestien, die Hand weder krallt, noch ballt. Sie macht bloß eine Handbewegung auswärts. Denn diese ganze Menagerie ist hier nur Wortbild, bewegt sich nicht in ihrer Fantasie. Aber als die Schlange kommt, da senkt sich die Stimme, wird nachspürend, leise. „So schön, so glatt, so bunt, so giftig.“ Bei jedem Beiworte senkt sich die Stimme mehr, und mit der Stimme die Körperhaltung. Hier ist es aber auch, wo wir die treffliche Künstlerin bitten möchten, über sich selbst zu wachen. Hier kann des Ausmalenden in Stimme und Geberdung leicht zu viel werden. Wer an beiden so reich ist, solcher Wirkung stets sicher, kann auch verschwenden, selbst des Besten zu viel geben. Die höchstleidenschaftliche Situation gestattet kaum ein Detail in einzelne Betonung. In ihrem Geberdenspiele, wenn, wo alles gelingt und ganz an seinem Orte ist, wo nichts studirt ist und dem Innersten in Eurhythmie zur Außenseite entquillt, doch etwas ausgezeichnet werden soll, mögen die milden, liebkosenden Szenen mit Melitten mit Reiz, das Zuhören beim Traume, den Phaon erzählt, mit Graus und Entsetzen übergossen genannt werden. Wie im ersten Akt gegen die, nun doch schon reife Melitta das Mutterverhältniß in das schwesterliche hinschmelzt! Unaussprechlich zart und anschmiegend und streichelnd die Erzählung ihrer Liebe und Pflege, als die Kleine zu ihr gekommen war. Aber eben so schneidend der Contrast, als sie durch das Erröthen des Mädchens ihrer Gegenliebe gewiß wird. Wer dieß mit ansieht, wird es begreifen, daß, hätte man damals Dolche getragen, Sappho zum Dolch greifen mußte. (Der Beschluß folgt.)