## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 4. und 7. November 1819: „Die vier Temperamente“ von Ziegler (Teil 3 von 4) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030560 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Die vier Temperamente.(Fortsetzung.)Doch sagen wir lieber noch einige Worte von der Aufführung des Stückes, durch deren rasche ineinandergreifende Belebung und wahrhaft fröhliches Zusammenspiel bis auf eine Rolle diese doppelte Vorstellung zu den gelungensten gerechnet werden mag, die wir seit langer Zeit im bürgerlichen Lustspiele gehabt haben – die uns stets neuen Genuß gewährende Donna Diana gehört zu einer andern Gattung. – Durch die Aufführung wnrde auch die Wahl des Stücks vollkommen gerechtfertigt. Voraus die einzige Bemerkung: es giebt Stücke, wo man mit den leidlich skizzirten Umrissen und mit den Rahmen der Bilder zufrieden seyn muß. Geniale, selbstschaffende, dem Gegebnen manches aus dem Stegreif hinzudichtende, anderes aber ungedenklich ausschnittelnde Schauspieler, haben oft große Freude daran. Denn wo es ihnen bei einem Lessingschen, Göthischen oder Müllnerischen Stücke Gewissenssache seyn würde, auch nur eine Sylbe zu verfälschen, da dürfen sie hier in freierer Willkühr schalten, veredeln, ausmalen. Dahin gehören nun alle Zieglerschen und Weißenthurnschen Stücke fast ohne Ausnahme. Wir glauben in unserem wackern Künstlerverein, dem zum ächten Lustspiel besonderer Beruf zu Theil wurde, bei diesen Temperamenten mannigfaltige Tendenz zu einer hier lobenswürdigen Entfesselung, zur Comödie aus dem Stegreif – dell' arte der italienischen Bühnen – bemerkt zu haben, und wünschen dies ja nicht unterdrückt zu sehen. Hätte es nur Hrn. Julius, dem eine ganz verzeichnete Rolle zu Theil geworden war, weil auch das Schwierigste ihm schon oft gelang, es dießmal gefallen, noch etwas freier mit seinem Melancholicus zu verfahren. Und wäre es sogar, welchen Ungeschmack ihn aufzubürden wir billig Bedenken tragen, Zieglers Absicht gewesen, durch die miserable Aengstlichkeit, Unbeholfenheit, und Feigheit dieses bis zu Ohnmachten und selbstmörderischen Versuchen gehetzten Jammermenschen Lachen zu erregen; so würde es doch gerade diesem Künstler hoch angerechnet worden seyn, wenn er durch mancherlei ihm gewiß zu Gebote stehende Milderungen und einzelne Striche diese Unnatur der Posse entnommen und in gemüthlichere Tiefe übersetzt hätte. So würde die dem gereizten Melancholicus durchaus unmögliche, von Ziegler aber doch vorgeschriebene Ohnmacht am Schluß des zweiten Akts recht füglich in einen Schwindel aus Ueberreizung verwandelt und mit dem Hinsinken auf einen von den Umstehenden untergeschobnen Stuhl abgethan worden seyn. So bedurfte es gewiß der lächerlichen Gesichtsmalerei beim bloß versengenden Pulverschuß am Ende so wenig, als der ins Alter gezogenen Maske überhaupt. Es müßte möglich seyn, die Gesinnungen des herzlichen Bedauerns, die der phlegmatische doch ehrliche Lammer gegen ihn ausspricht, auch allen Zuschauern zugleich mit dem Gefühl seines innern Werths einzuflößen. Dann würde auch Helenens Interesse an ihm in keinem zweideutigen Lichte erscheinen und mit dem feiner gehaltenen Spiel von Mad. Schirmer, der wir es im Namen der Sittlichkeit danken müssen, daß sie in ihre Rolle keine verbuhlte Coquette legen wollte, oder auch ihrem innern Selbst nach nicht legen konnte, in wohlthuenderm Einklang gestanden haben. Eine Frau, die wissend einen Feigen ihre Hand giebt, will Amazone oder etwas noch schlimmeres seyn. Davon abgesehen war allerdings, wie's einem solchen Künstler eignet, sein in's Lächerliche gezogene Spiel vollkommen aus einem Stücke, und in allen den Scenen, wo er sich loslassen, seine Angst ausbrechen lassen konnte, z. B. in der Unterredung mit Lammers über die Folgen der ihm entwendeten Selbstgeständnisse – Protokoll ist ein sehr unschicklicher Name – ungemein ansprechend. Vielleicht war aber Uebereinstimmung und Einheit des ganzen Spiels gerade die Klippe, woran seine Kunst diesmal anzustoßen Gefahr lief. Mehr Ungleichheit, mehr Leidenschafltichkeit im Wechsel von Kleinmuth und Heftigkeit hätte in mancher vom Verfasser verschuldeten Unbegreiflichkeit etwas nachhelfen können. – Das mit Frohsinn und Weltsinn alles durchdringende und erheiternde Lebensprinzip des Stücks war auch diesmal Helene-Schirmer. Vom Dichter ist ihr Character flach, leichtsinnig genug gehalten worden. Durch hundert kleine Pinselzüge, in die Skizze hineingearbeitet, kommt erst Wahrheit und Haltung in diese leicht zur Gemeinheit herabzuziehende Rolle, die weder verschmitzt noch verbuhlt zu spielen keine geringe Aufgabe ist. Mit eigner Schalkhaftigkeit weiß sie alles um sich zu verblüffen und abzufertigen. Sie ist in demselben Augenblick vornehm-sträflich und wieder weich und zärtlich, was so vielleicht nur durch den ihr eignen Wohllaut und Tonwechsel hervorzubringen ist. In den Scenen mit Funk geht alles vom Herzen zum Kopf, mit Sieborn vom Kopf zum Herzen. So steht's mit der leserlichsten Schrift in jeder Miene und Geberde. Vortrefflich der kleine Monolog am Schluß der fünften Scene im zweiten Akt, wo es eigentlich zum Durchbruch und zur Entscheidung für Sieborn kommt: „Mein Herz sagt viel dummes Zeug für – Funk.“ Der Ton, womit das Wort Funk gesprochen wurde, sagte alles. Wie besonnen suchte sie in dem dunkeln Rendezvous durch Abziehen der Ringe, Zurückstreifen des Ermels, Ueberlegen des Handtuchs alles Verrätherische zu entfernen! Die Art, wie sie den zu sterben entschlossenen, schroffen Sieborn die verriegelte Brust aufzuschließen weiß und den Pfeil: ich werde mit Funk reisen, doch noch in Honig taucht, ist meisterhaft. – Neben ihr spielt Dem. Schubert die hohlköpfige Putzthörin Constanze mit einer Wahrheit und Natürlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt, und in der Scene, wo sie ihrem phlegmatischen Mann zur Eifersuchtelei reizen möchte, die höchste Spitze erreicht: Mad. Mayer aber die Verwalterstochter mit ächter Naivität, die durch eine reizende und niedliche Gestalt nur noch mehr gehoben wird und unserm an determinirter Handsperre beinahe kranksitzenden Publikum sogar in beiden Aufführungen das laute Zeichen des Beifalls abdrang. Man könnte sagen, sie habe mehr die naiv geschwätzige Soubrette als das harmlose Kind der Natur gespielt. Allein dann hat der Dichter gefehlt, nicht die junge, liebliche Schauspielerin, die wir alle oft zu sehn wünschen. Den drei übrigen Temperamenten geschah durch den Phlegmatiker, Hrn. Geyer, den Sanguineus, Hrn. Wilhelmi, und den Cholerikus, Hrn. Hellwig, volle Gnüge. Alles ging Schlag auf Schlag, wie es seyn sollte. (Der Beschluß folgt.)