## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Famile Anglade“ von Karl Theodor Winkler am 28. April 1818 (Teil 2 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030257 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Die Familie Anglade.#lb#(Beschluß).Hr. Julius spielte den Olsan in Ton und Geberden mit der aufregendsten Heftigkeit. Wir erinnern uns lange nicht, ein beredteres Mienenspiel gesehen zu haben, besonders während des Verhörs von d'Anglade. Trefflich war der erste, sich an René hinneigende, dann zurückschaudernde Geist (was Engel die gemischte Geberde nennt), als der Kammerdiener ihn in seinen teuflischen Plan einweiht. Vortrefflich der Ausdruck der Verzweiflung am Ende, wo er alles verloren giebt, rollende Augen, zuckende Lippen, krampfhafte Hände, schlotternde Kniee, schnelles Fortrollen der Stimme mit verbissenen Tönen. Nur glauben wir, daß er in der vorhergehenden Scene, wo er gegen seinen Verführer in Verwünschungen ausbricht, denselben auch noch derber bei der Brust ergreifen und schütteln mußte. Auch schien uns in der letzten Unterredung mit Frau von Cerval und Lina der Rückfall aus der Zerknirschung in die Verstockung, in der er Anglades Flucht zu begünstigen verspricht, durch einige eintretende Geberden seitwärts noch mehr motivirt werden zu müssen. Ihm gegenüber gab Hr. Geyer den ganz abgehärteten, kaltblütigen Bösewicht unverbesserlich, mit einem Humor, den man mehr Galgenlaune nennen möchte. Er hat gar keinen Begriff von einer Regung des Gewissens. Daher der schneidende Spott von der miserablen Gewissenhaftigkeit. Nicht einmal Schadenfreude beim Aufhorchen während des Verhörs. Eiserne Stirn gegen den Gärtner und gegen den Theilnehmer an seinem Bubenstück, gegen Fourbin, der von Hrn. Geiling gleichfalls sein volles Recht hält. Allerdings ist dies ein ganz gemeiner Gauner, den René nach Herzenslust übertölpelt und mißbraucht. Etwas weniger Plumpheit hätte Fourbin aber doch bei dem Hinblicken auf die zerbrochene Stufe, worunter er die 20,000 Fr. betragenden Banknoten versteckt hatte, zeigen, und noch einige Bewerbe, sich dort herum zu thun zu machen, erdenken sollen. Frau von Cerval, Olsan's Tante, wurde von Mad. Hartwig mit der edelsten Würde einer Frau, die gar keinen Begriff von solcher Bosheit hat, mit Selbstgefühl, wo ihr Stolz, mit zarter Theilnahme, wo ihre Freundschaft vorwaltet, zu einer sehr erfreulichen und gelungenen Leistung erheben. Die Frau von Welt erscheint und da, wo sie sich sogleich zu fassen weiß. Zu ihren ausdruckvollsten Scenen, die auch das Publikum laut anerkannte, war das, mit Drohung begleitete: gehorche! und die schöne Abstufung des immer mehr sich entwickelnden Verdachts. Wie wankte am Ende ihre Stimme, als alles klar vor ihr steht. Es giebt nur zu viel Ohnmachten in diesem Stück. Doch ist die beim Schluß von größter Wirkung, wie sie hier gegeben wird. Nichts ist zu stark aufgetragen. Wie gewinnend wird diese, mit so viel Anstand durchgeführte Mäßigung! – Aber auch Anglades Gattin ist eine wahrhaft musterhafte Darstellung von Mad. Schirmer. Sie ist anfangs höchst unbefangen. Als Olsan seine Liebe erklärt, zeigt sie nur abweisendes Befremden mit reinem Selbstbewußtseyn. Denn Olsan ist der Ordner des Festes und des Neffe der verehrten Freundin. Diese zarte Schonung gegen die Cerval giebt der Künstlerin zweimal die Gelegenheit, ein sehr feines Spiel zu entwickeln, wo sie sehr ungern in die Entlarvung des Bösewichts willigt. Wie bezeichnend greift sie dem, von der gerechten Sache glühenden Leon von Assandray, als er die Cerval enttäuscht, in den Arm, um ihn gleichsam zurück zu halten. Keine zürnende Geberde, nur trauernde Stellung mit auf die Brust gesenktem Haupt. Wie schön motivirte sie ihr Spiel, als sie in der Unterredung mit der Cerval zum ersten mal der Gedanke durchblitzt: Olsan ist es! Harmlose Unwissenheit und Unbefangenheit beim ersten Erscheinen der Gerichtspersonen. Nun fortschreitende Angst in der richtigen Steigerung. Aber nirgends ein Händeringen oder Verrenken des Körpers. Dieser innere, stille Adel drückt sich selbst noch beim Niederknieen vor dem Polizeicommissär aus. Man begreift wohl, daß, wer nur diese Anzeige lieset, ohne Augenzeuge gewesen zu seyn, auf den Verdacht kommen könne, hier geschehe bei der gewaltsam erschütternden Situation viel zu wenig. Aber es gehört die, über das Ganze verbreitete Anmuth und Lieblichkeit, es gehören die weichen, dieser Künstlerin ganz eigenthümlichen Schmeicheltöne, womit sie z. B. hier die Diamanten opfert und sich an Angladen anschmiegt, dazu, um in ein so feingemäßigtes Spiel doch die seelenvollste Wahrheit zu legen, welche die Zuschauer auch diesmal zum lautesten Beifall hinriß. Wie schwindet dagegen alle falsche Lichtgebung und Ungeberdigkeit, die nur die Menge beklatscht! Um so mehr wirkte aber auch nun die Indignation, womit sie Olsan's Antrag zur Adolfs Flucht abweißt. Nur da, wo sie zu Anfang des dritten Acts, als Leon ausbleibt, zu ihrem Gatten ins Gefängniß eilen will, dürfte vielleicht, der Zartheit unbeschadet, noch einige Steigerung in der Heftigkeit des scheinbaren Fortstürzens anzubringen gewesen seyn. Denn hier hat ihre Angst die höchste Stufe erreicht. Wie vieles hängt hier aber von äußeren Zufälligkeiten ab, die keine Kunst beherrschen kann? – Leon von Assanday kann leicht vergriffen werden, weil er zu den Rollen gehört, von welchen man sagt, sie spielen sich selbst, wurde aber von Hrn. Burmeister ganz in der Intention des Dichters, oder in der gegebenen Situation und also sehr brav gespielt. Erst zugenköpft-abstoßend, mit scheinbarer Härte und Schroffheit. Doch nur scheinbar. Man muß es ihm abmerken können, daß es nicht vom Herzen geht. Nun fällt die Maske. Steigernde Heftigkeit in Rede und Geberde. Diese gelang vorzüglich. So muß der aussehen, der hier retten will. Aber darum doch kein bloßer Poltrer. Am meisten gefiel uns sein freies, wahrhaft vornehmes Benehmen gegen Frau von Cerval, wie er ihr die Augen öffnen will. Er setzt dreimal an. Er will seinen Freund retten, aber auch die edle Frau nicht kränken. Aber auch die Scenerei hatte bei dieser Vorstellung sehr gewonnen. Es war einiges neu dazu gemalt, anderes fein geordnet worden. Die Tänze mit den Chören und dem Gesang des Troubadours durchflochten, wurden mit Präcision ausgeführt und machten der Regie, so wie der, bei jeder Gelegenheit sich immer mehr erprobenden Gelehrigkeit der Choristen, eines neuen preiswürdigen Instituts bei unsrer Bühne, viele Ehre. So konnte ja wohl die Stimmung des Publikums nicht anders, als sehr angeregt und dankbar seyn. Diesmal hatte das gutbesaitete Instrument seine volle Resonanz. Wie oft ist dieses bei uns stumm und tonlos, wodurch sich das Publikum um seine schönsten Genüsse bringt. Heute klatschten die Mütter dem Kinde aus den Logen Beifall zu. Das Zischen des einen Theils der Zuschauer, während der andere Hrn. Geyers Spiel, in der Rolle des bis zum Scherz frechen Bösewichts, Beifall klatschte, ehrte den Meister. Auch ergriff ein Theil der Zuhörer mit Lebhaftigkeit eine Sentenz und brach in Klatschen aus, da, wo von den Richtern die Rede ist, die den Angeklagten durch den Aufschub hinhalten. Da sagt Leon von Assandray: „die Herren denken nicht daran, daß eine Viertelstunde, die sie ihrem Vergrüngen weihn, ein Jahrhundert von Qualen für den Armen ist, der im Gefängniß schmachtet!“ Hört es ihr Spruchcollegien und Gerichtshöfe! #lb#Böttiger.